Proteste von indigenen Gruppen an der Grenze zwischen Venezuela und Kolumbien

Benzin ist das neue Kokain

Auf der venezolanischen Halbinsel La Guajira leben viele Menschen vom Schmuggel nach Kolumbien. Indigene Gruppen in der Grenzregion protestieren gegen die Militarisierung und den Abbau von Rohstoffen.

Seit 1990 wird am 22. April der von den Vereinten Nationen ausgerufene »Tag der Erde« begangen. Dieser Ehrentag soll nicht nur Michael Jackson zu seinem »Earth Song« inspiriert haben, sondern bietet alljährlich den Rahmen für zahllose Veranstaltungen, um die Wertschätzung für die Natur zu steigern und das eigene, umweltschädliche Konsumverhalten zu hinterfragen. Was stark nach oberflächlicher Kapitalismuskritik klingt, kann zumindest Anlass für von Umweltschäden Betroffene sein, auf ansonsten unbeachtete Konflikte aufmerksam zu machen.
So nutzte in diesem Jahr das Bündnis »No al Carbón Zulia«, ein breiter Zusammenschluss indigener und nicht indigener NGOs in Venezuela, den Tag, um in der Hauptstadt Caracas gegen die forcierte Ausbeutung der Rohstofflagerstätten im Land zu demonstrieren. Konkret wandten sich die etwa 200 Demonstrierenden gegen ein Dekret von Präsident Nicolás Maduro, mit dem über 24 000 Hektar Land auf der Halbinsel La Guajira im äußersten Nordwesten Venezuelas für den Kohleabbau durch das staatseigene Unternehmen Carbones del Zulia freigegeben wurden. Der venezolanische Teil der mit Kolumbien geteilten Halbinsel ist bisher ökonomisch kaum erschlossen, was nun im Zeichen der ökonomischen Probleme Venezuelas offenbar geändert werden soll.

Mit Verweis auf die Verfassung von 1999, die die ökologische, soziale und vor allem territoriale Integrität indigen besiedelter Regionen garantieren soll, protestieren indigene Gruppen wie die Wayúu, Yukpa, Barí und Añú im Westen Venezuelas seit Jahren gegen die befürchtete Zerstörung der von ihnen bewohnten Gebiete. Sie fordern die Rücknahme der präsidialen Konzession zum Kohleabbau und warnen vor den sozialen und ökologischen Folgen für La Guajira. Nicht nur die Vertreibung der Indigenen aus dem unmittelbaren Abbaugebiet wird befürchtet, sondern auch eine Zerstörung oder zumindest starke Kontamination des Guasare-Beckens. Dort entspringen die einzigen Süßwasserquellen in der durch Trockenheit gekennzeichneten Region. Für die häufig als Viehzüchter und Hirten lebenden indigenen Wayúu hätte ein Versiegen dieser Quellen gravierende Auswirkungen.
Ohnehin ist das Verhältnis zwischen den indigenen Gruppen im Westen Venezuelas und der Regierung von Maduro längst nicht mehr so gut wie unter seinem verstorbenen Vorgänger Hugo Chávez. Dieser hatte sich öffentlich für die Rechte der Indigenen eingesetzt. Tatsächlich wurden zahlreiche Verbesserungen erreicht, was diese mit politischer Loyalität dankten. Allerdings gab es auch Kritik von indigenen NGOs. Neben der nur schleppend fortschreitenden Demarkation der indigenen Territorien barg die Ausbeutung der zahlreichen Rohstofflagerstätten Venezuelas bereits unter Chávez stets Konfliktpotential.
Verstärkt wurden die Spannungen durch die in den vergangenen Jahren erfolgte Militarisierung der Grenzregion. Im Dezember 2010 wurde die Grenze zu Kolumbien in Militärdistrikte unterteilt, die Provinz Alta Guajira im Nordwesten des Bundesstaats Zulia wurde zum Militärdistrikt Nummer 1 erklärt und es wurden zusätzliche Einheiten der venezolanischen Armee stationiert. Seitdem meldeten die indigenen Organisationen dieser Region eine beständige Zunahme von Zusammenstößen mit militärischen Einheiten.

Neben der allgemeinen Grenzsicherung stellt der Kampf gegen Schmugglerbanden das Hauptziel des militärischen Engagements dar. Schmuggler, »ausländische Agenten«, die kolumbianische Mafia und die alte oppositionelle Oligarchie werden offiziell als Hauptschuldige für die derzeit miserable Versorgungslage in Venezuela verantwortlich gemacht, da sie dem heimischen Markt wichtige Nahrungsmittel und Konsumgüter entziehen und dadurch das politische System des Landes destabilisieren würden.
Dabei stellt der Schmuggel nun wahrlich kein neues Phänomen in La Guajira dar. Bereits die spanische Krone verzweifelte an der Hartnäckigkeit, mit der die Wayúu den klandestinen Handel mit der europäischen Kolonialkonkurrenz aus Großbritannien und den Niederlanden betrieben. Salz, Perlen, Agrarprodukte und auch Sklaven wurden bevorzugt gegen Waffen eingetauscht, die im Kampf gegen die spanischen Kolonisierungs- und Missionierungsversuche von Nutzen waren. Auch nach der Unabhängigkeit Venezuelas und Kolumbiens bewährten sich Schmuggel und Schwarzmarkt in der kargen Grenzregion als Überlebensstrategie, was in Zeiten ökonomischer Prosperität bei noch keiner venezolanischen Regierung gesteigertes Interesse geweckt hat.
Das ist nun anders. Bis zu sieben Kontrollpunkte des Militärs und der Polizei müssen auf der etwa 100 Kilometer langen Strecke von Maracaibo nach Paraguaipoa, der Hauptstadt des Bezirks Guajira, passiert werden. Die Straße ist eine der Hauptachsen für den Handel zwischen der Erd­ölregion am Maracaibo-See mit der wirtschaftsstarken Metropole Maracaibo und der kolumbianischen Grenze. Nicht nur Schmuggel, sondern auch legaler Handel wird über diese Route abgewickelt. Zusätzlich ist sie aber auch einer der wenigen Zugänge zum Territorium der Wayúu; jede Reise nach Maracaibo wird durch die Checkpoints zur Tagesaufgabe.

Bis zu 100 000 Barrel Benzin sollen nach Angaben der Regierung täglich illegal über die Grenze transportiert werden. Dass ein Teil der Wayúu derzeit von diesem Schmuggel profitiert, bestreitet niemand ernsthaft. Auch die indigenen NGOs verteidigen nicht generell die bachaqueros, die klandestinen Benzinhändler, sondern wenden sich vor allem gegen die Folgen der Militarisierung für die gesamte Bevölkerung, sagt Jesús Mario Montiel vom Radio Fe y Alegria Paraguaipoa. »Es ist kein Geheimnis, dass viele Familien vom illegalen Treibstoffhandel leben. Aber das Militär greift das schwächste Glied der Kette an.«
Korruption sei an der Tagesordnung. So würden die großen Konvois Richtung Grenze zwar kontrolliert, könnten sich jedoch leicht freikaufen. Schließlich sind die Gewinne für die Groß­exporteure immens. Ein Liter 95-Oktan-Benzin kostet in Venezuela umgerechnet etwa 0,02 Euro und kann in Kolumbien leicht für das 40fache verkauft werden. Nur wenn die Händler den »Wegzoll« nicht zahlen, komme es zu Problemen mit dem Militär, wovon hauptsächlich jene Kleinhändler betroffen seien, die das Benzin in vergleichsweise geringen Mengen über die staubigen Pisten La Guajiras transportieren, um sich und ihre ­Familien zu ernähren.
Das Menschenrechtskomitee La Guajira regis­trierte bis Ende 2014 insgesamt 13 Todesfälle und 28 zum Teil schwer Verletzte in Zusammenhang mit Einsätzen des Militärs gegen mutmaßliche Schmuggler. Außerdem würden Menschen gefoltert, eine Person sei von Angehörigen der Armee entführt worden und eine weitere spurlos verschwunden. Mindestens 760 Menschen seien ohne Anklage festgenommen worden. Der Erfolg dieser Einsätze ist fraglich. »Der illegale Handel hat sich weiter ausgebreitet. Das Schmuggeln von Kraftstoff von Venezuela nach Kolumbien ist heute das lukrativste Geschäft in der Grenzregion und der Versuch, das zu kontrollieren, hat eine Welle der Gewalt zwischen den bewaffneten Banden, den zivilen und militärischen Autoritäten und der Bevölkerung entfacht«, schreibt Blanca Diego in ihrem Blog »Periodismo Humano« und meint: »Benzin ist das Kokain dieser Grenze.«
Ein Ansatz zur Beendigung der Gewaltspirale wäre die Schaffung anderer Einkommensquellen für die bachaqueros. Die Initiative »No al carbón Zulia« schlägt vor, dass einheimische Kooperativen den wind- und sonnenreichen Küstenstreifen La Guajiras zur Energiegewinnung nutzen. Dann müsste indigenes Territorium auch nicht dem Kohleabbau weichen. Die Militarisierung der Region erschwert letztlich nicht nur das Leben der Schmuggler, sondern verhindert auch wirkungsvollen Protest gegen die Abbaupläne.