Klaus Theweleits „Das Lachen der Täter. Breivik u.a.: Psychogramm der Tötungslust“

Männerphantasien revisited

Klaus Theweleit, der mit seinem Erstlingswerk »Männerphantasien« ein Schlagwort prägte, hat sich zurückgemeldet. In seinem jüngsten Buch bringt er den Körper moderner Terroristen ins Spiel.
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Klaus Theweleit ist sich treu geblieben, weshalb er in den vergangenen Jahren mehr und mehr in Vergessenheit geriet. Kein Wunder, missachtet er doch akademische Moden und ignoriert den sogenannten linguistic turn, den die Kultur- und Sozialwissenschaften vor nunmehr über 30 Jahren nahmen. Dort setzt man auf eine Auflösung des Physischen in Diskurse und Sprechakte, und genau das sah und sieht Theweleit, der mit seinen »Männerphantasien« Ende der siebziger Jahre einige Berühmtheit erlangt hatte, in allem, was er seither geschrieben hat, ganz anders. Auch mit seinem jüngsten Buch »Das Lachen der Täter« erinnert er unnachgiebig an die, wenn man so will, Leibhaftigkeit des Bösen, an die körperlichen Impulse als Handlungsantrieb, an den somatischen Kern von Kommunikation und Kriminalität.
Genau deshalb hatte sich die neuere Forschung seiner schon entledigt – was Theweleit sicher nicht wenig fuchste, war er doch ein, wenn nicht sogar der Pionier der Rekonstruktion des »soldatischen Mannes«, bei dem vordergründige Normalität im Alltag zusammenfiel mit enthemmter Grausamkeit im innerlich ersehnten Ausnahmezustand. Theweleit kommt in der neueren Literatur zur Täterforschung im Nationalsozialismus schlicht nicht vor, weder in Frank Bajohrs und Andrea Löws Forschungsübersicht »Der Holocaust« (2015) noch in »Soldaten« von Harald Welzer und Sönke Neitzel (2011). Vor diesem Hintergrund ist »Das Lachen der Täter« wohl nicht zuletzt als Versuch zu lesen, die Stichhaltigkeit der »Männerphantasien« auch fast 40 Jahre nach ihrem Erscheinen nochmals zu erweisen; zu zeigen, dass der moderne Terrorismus eines Anders Breivik und auch jener der aus dem Westen kommenden Jihadisten nicht zu verstehen sind, wenn die Erklärungsversuche das im Körper sedimentierte Triebschicksal ignorieren.
Um dieses zu ergründen, setzt Theweleit auch diesmal wieder auf seine große Stärke, die Montage. Bereits in »Männerphantasien« hatte sich die Psychopathologie des »soldatischen Mannes« aus einem ebenso minutiös wie genial assoziativ zusammengesetzten Kaleidoskop von Lebenserinnerungen, Briefausschnitten und Tagebuchauszügen geformt. Zusammen ergibt das den überwältigenden Eindruck des Mannes, der gegen die Auflösung seiner Konturen ins Uneindeutige, Unkontrollierbare, weiblich Konnotierte, in den »Schlamm« kämpft – und das mit allen Mitteln, auch der Ausrottung jener »Rasse«, in der sich scheinbar jenes Uneindeutige, Uneinheitliche verkörperte.
In »Das Lachen der Täter« gleicht Theweleits Herangehensweise nicht der kategorialen eines Sozialwissenschaftlers, sondern der kinematographischen eines Regisseurs. Wie dieser konstruiert er ein Psychogramm der Tötungslust aus den Fundstücken des Alltags, aus den Bildern und Selbstzeugnissen – wenn auch diesmal Quellen aus dritter Hand, Zeitungsartikel und Essays einen weit größeren Raum einnehmen als in »Männerphantasien«. Konsequenterweise benennt Theweleit den italienischen Regisseur Sergio Leone als seinen Kronzeugen, denn Henry Fonda verkörpere in dessen Western-Epos »Spiel mir das Lied vom Tod«, die, wie Theweleit schreibt, »hochkarätige, theoretische Einsicht vom Lächeln oder Lachen als emblematischen Abzeichen des Killers«.
Um die Frage zu klären, wer nun warum und wie zum »lachenden Killer« wird, geht Theweleit auf die Diachronie des Grauens zurück: Denn das Vergangene ist in ihm immer gegenwärtig, das historisch Scheinende ist immer auch Jetzt – deshalb spielen indonesische Massenmörder amerikanische Gangsterfilme nach, ist wahhabitische Gnadenlosigkeit zum einen 400 Jahre alt und zum anderen durch den »Islamischen Staat« (IS) ein Klick-Renner im Internet, sieht sich Breivik als moderner Tempelritter. Sie alle empfinden sich als Teil eines Körpers, der größer ist als ihr eigener; der sich durch Gewalt selbst konstituiert. Das ist der erste gemeinsame Zug all jener lachenden Killer, das erinnert auch an den soldatischen Mann, dessen Körper sich durch die Organisation gegen die eigene Schwäche abdichtet. »Ihre Aktion«, schreibt Theweleit, »richtet sich auf die Herstellung einer Weltordnung, wie sie sie für notwendig erachten. Notwendig für sie selbst – zur Herstellung ihres eigenen körperlichen Gleichgewichts – und für die sie umgebende ›Kultur‹ (Rasse, Religion et cetera), die (…) den eigenen ›Spannungsausgleich‹, die ›Homöostase‹ nicht stört, sondern vielmehr garantiert. Dieser Vorgang läuft zwar im einzelnen Körper ab, ist aber auch überpersonal; ist körperlich-politischer Ausdruck des Agierens in solchen Einrichtungen mann-dominierter, kriegerischer Organisationen und Gesellschaften, deren bedeutender Teil sie werden wollen.«
Dieser »Über-Körper« könne nur entstehen durch einen politisch-öffentlichen Geburtsakt, inszeniert als »Mordtheater«. Die stolz und publicitywirksam zugefügten Foltern und Qualen sind die Existenzweise dieses neuen Körpers, dessen Organ der lachende Killer bildet; und seine Freude ist echt, er gehört nun körperlich einer anderen Gattung an, er erlebt den Tötungsakt als Wiedergeburt, als sein neues Leben, und das Lachen, das Spiel mit den Köpfen, ist der Festakt. »Jubel des Terrors zur eigenen Körperstabilisierung«, resümiert Theweleit. Dabei sei Ideologie austauschbar, solange sie nur die Mordlust legitimiert, solange sie sich als Notwehr gegen und als gerechte Strafe für die unterstellten monströsen Verbrechen der Feindgruppe darstellen kann. Nicht, dass die Breiviks, die Jihadisten oder auch afrikanische Milizionäre aller Schattierungen das ernsthaft glauben würden; umso fröhlicher aber wollen sie es glauben, ermöglicht es doch, alle archaische Lust an Überwältigung, alle zivilisatorischen Versagungen des Realitätsprinzips abzuschütteln: »Ihr dürft hier tun, was immer ihr wollt«, so lautet der gemeinsame Nenner aller Mord-Ideologien.
Alle, wenn man so will, »soldatischen« Ideologien – sei es der konsequente Islam, sei es das männlich-militaristische Gesellschaftsideal des Neonazismus – besitzen darüber hinaus einen weiteren gemeinsamen Zug: den antiweiblichen Geschlechterkampf.
Einer wie Breivik sei deshalb, konstatiert Theweleit, »strukturell patriarchaler Muslim wie auch norwegisch-christlicher Antisemit wie auch germanisch-sektiererischer SS-Mann«. Diese Austauschbarkeit sei »herzuleiten aus den Bedrohtheiten des eigenen Fragmentkörpers; mit der zentralen Angst vor den körperauflösenden Fähigkeiten des bedrohenden Weiblichen.« Psychosexuell gesehen können alle Killer, die sich diesen Ideologien verschreiben, nicht zwischen tot und lebendig unterscheiden; wenn ohnehin alles Sachen sind, die mich umgeben, dann werden sie umso reizvoller, je mehr sie nicht ihrem eigenen, sondern dem Willen des radikalen Muslims, des patriarchalen SS-Manns et cetera gehorchen (müssen); im Extremfall, beim Töten, das sich so mit einer sexuellen Inbesitznahme mischt, die im Tod irreversibel wird, versichert der Killer sich gerade dadurch des eigenen (Über)lebens; Erich Fromm hatte in diesem Zusammenhang einst von der »Nekrophilie des Nationalsozialismus« gesprochen.
Warum aber wird so unernst gemetzelt, warum ist gerade das Lachen Indiz besonderer Grausamkeit? Theweleit erinnert, dass Lachen vielleicht die zwieschlächtigste aller Mimiken ist. Anthropologisch betrachtet, wohl aus dem Zähnefletschen vor dem Beißen entstanden, kann es zugleich Aggression als auch ihre Rücknahme darstellen; in ihm birgt sich – auch nach der Beobachtung Horkheimers und Adornos in der »Dialektik der Aufklärung« – die Gewalt der Natur wie die Möglichkeit ihrer Mäßigung. Physiologisch ist es aber zweifelsohne ein orgiastischer Ausnahmezustand, an dem nicht weniger als 97 Muskeln beteiligt sind. Das Lachen des Killers ist, Theweleit zufolge, das »Begleitempfinden zur eigenen Körperkomplettierung; die Begleiteruption zur eigenen Selbstgeburt. Solches Lachen lässt kein Mitgefühl zu und richtet sich gegen das Fühlen überhaupt«; es dichtet sich ab gegen die Wahrnehmung von etwas anderem als dem Körper des Lachenden selber. Dieser Körper hat mit den (lebenden) Objekten nur insofern zu tun, als dass er ihnen etwas antut.
So sehr Theweleit aber nicht zuletzt mit seinem Gespür für die Abgründe der Metaphern (beispielsweise denkt er über die Erektionen jugendlicher Killer und den Ausdruck »sich einen ›Ast‹ lachen« nach) überwältigt, so viel lässt sich auch einwenden gegen die allzu gradlinige Argumentation seines Buchs: dagegen, dass in seinem jüngsten Werk biomechanische, neurowissenschaftliche Begründungen die psychoanalytischen ersetzen. Dagegen, dass die theoretische Einbindung des neueren, wohl eher narzisstisch-medial zu nennenden Sozialcharakters in die Erkenntnisse über den älteren soldatischen nur rudimentär gelingt. Und natürlich dagegen, dass Theweleit kaum darauf reflektiert, unter welchen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen die männliche Tötungslust oder das Lust-Töten einigermaßen erfolgreich sublimiert und dadurch marginalisiert werden (wie im Fall Breivik) und welche Milieus andererseits den Zusammenhang zwischen Lust und Gewalt systematisch produzieren wie im Fall des Jihadisten-Nachwuchses.
Die psychosexuelle Förderung des männlichen Narzissmus im islamischen Familien-Setting ist für Theweleit kein Thema. Dementsprechend schwammig wird es an den Stellen, wo Konkretisierung eigentlich nötig wäre: »Westeuropäische Jugendliche, die sich dem IS anschließen, sind dabei nicht notwendigerweise ›soldatische Männer‹ älteren Stils, die den Zusammenbruch ihres angedrillten Körper­panzers fürchten. Dieser entsteht heute in Gesellschaften mit marginalem Militär nur noch in Ausnahmefällen. Es sind vielmehr (…) junge Menschen mit fundamentalen gesellschaftlichen und körperlichen Unsicherheiten, welchen sie zuerst ›ideologisch‹ zu begegnen versuchen.«
Dennoch ist Theweleit ein gutes Buch gelungen, denn es stellt zumindest die Frage nach dem Körper und benennt das Defizit der politisch-ideologischen Erklärungsversuche für den Terrorismus der Schein-Integrierten: »An die möglichen psychophysischen Turbulenzen spätpubertierender Adoleszenten – zu denen selbstverständlich auch die jungen Soldaten der Weltkriege noch gehören – mag offenbar keiner denken.« So ist das »Das Lachen der Täter« ein lesenswerter und notwendiger Einspruch gegen die Bagatellisierung des Bösen und der Lust – und vor allem: der Lust am Bösen.

Klaus Theweleit: Das Lachen der Täter. Breivik u.a.: Psychogramm der Tötungslust. Residenz-Verlag, Wien 2015, 248 Seiten, 22,90 Euro