Das Small-Island-Dilemma auf den Antillen

Ärger im Paradies

Ein Luxushotelprojekt spaltet eine Insel in der Karibik. Denn auf Barbuda bestimmen die Inselbewohner, was mit dem Land ­geschieht.

Sanft spülen die Wellen an den schneeweißen, acht Kilometer langen Strand von Cocoa Point. Einige Yachten liegen vor Anker und wiegen sich im türkisblauen Wasser sanft hin und her. Touristen kommen hier nur gelegentlich vorbei, die meiste Zeit liegt der Strand verlassen da und der Wind rauscht leise durch die verwilderten Palmen. Auch die staubigen Straßen des Inselortes Codrington sind fast immer leer, nur ab und zu schlurft ein Bewohner vorbei und grüßt freundlich seine Nachbarn. Hier kennt jeder jeden. Die Broschüren in der kleinen Zuwanderungsbehörde preisen Barbuda als »unberührtes Paradies« an, was zugleich Fluch und Chance der Insel ist. Und der Grund, warum Barbuda seit einigen Monaten in zwei Lager gespalten ist und die Bewohner leidenschaftlich über den Tourismus und die Zukunft der Insel streiten – mal wieder.
Anlass der wütend geführten Debatte sind die Pläne von Paradise Found LCC, einem millionenschweren Konsortium mit Schauspieler und Hotelbesitzer Robert De Niro an der Spitze, 250 Millionen Dollar zu investieren, um den verlassenen K-Club wiederzueröffnen. In dessen Bungalow-Ruinen befand sich einmal ein Luxushotel, in dem sich Stargäste wie Prinzessin Diana einfanden, um für 1 500 Dollar pro Nacht einzuchecken. Der alte Glanz soll wiederbelebt, der K-Club in ein Fünf-Sterne-Boutique-Hotel mit Casino und Superyacht-Marina verwandelt werden.
Ein Flughafen für Privatjets soll dazugehören, weshalb die Investoren, zu denen auch der australische Casinomogul Robert Packer zählt, zusätzlich Land pachten wollen. Für den auf 198 Jahre angelegten Pachtvertrag über insgesamt 550 Hektar Land will die Paradise Found LCC 6,2 Millionen US-Dollar zahlen. Das sind jährlich 17 Dollar pro Hektar für den vielleicht schönsten Strand der Karibik.
Barbuda liegt am nordöstlichen Rand der von Puerto Rico nach Venezuela verlaufenden Inselkette der Antillen. Obwohl Barbuda etwa 50 Kilometer feinste weiße Sandstrände besitzt, gibt es nur drei Hotels und einige kleine Guesthouses. Drei Mal pro Woche setzt eine kleine Fähre zur größeren Schwesterinsel Antigua über, einmal pro Tag bietet sich die Möglichkeit, in Codrington, Barbudas einziger Stadt, in ein kleines Flugzeug zu steigen.
Die 1 600 Einwohner Codringtons führen ein vom Massentourismus unberührtes Leben. Im Gegensatz zu anderen Karibikinseln stehen in Codrington fast keine Holz-Shanties. Der Wohlstand in den einfachen Steinhäusern ist bescheiden, die Regale der drei kleinen Lebensmittelläden aus rohem Holz sind meist halb leer. Gruppen von arbeitslosen jungen Männern sitzen auf Bänken, viele Barbudaner sind in die USA oder nach Großbritannien ausgewandert. Der größte Arbeitgeber der Insel ist der Barbuda-Gemeinderat, eine Art Inselregierung, die derzeit von der Antigua & Barbuda Labour Party (ABLP) dominiert wird. Die Partei betreibt eine Kokosnussplantage, etwas Landwirtschaft und im großen Stil den Export von Barbudas wertvollstem Gut: Sand.
Barbuda brauche dringend Investitionen und Tourismus, sagt Hildina Gore, die früher im K-Club tätig war. Gerade die junge Genera­tion wolle ein besseres Leben führen und sei an der Entwicklung der wirtschaftlich schwachen Insel interessiert. Die Paradise Found LCC hat versprochen, 120 Arbeitsplätze zu schaffen. Für die Inselbewohner nur bedingt ein Grund zur Freude, denn für sie wären nur einfache Jobs im Sicherheitsdienst, als Putzkräfte und Kellner vorgesehen, das qualifizierte Personal wird von außerhalb angeworben. Aber das sei nicht der einzige Grund, weshalb das Hotelprojekt kein guter Deal für die Insel ist, sagt Claire Frank vom Barbudas Peoples Movement (BPM), die das Hotelprojekt verhindern will.
Eigentlich sind Claire und Hildina Nachbarinnen und gute Freundinnen. Claire betreibt den Community-Blog Barbudaful und ein Café, Hildina arbeitet in der Zuwanderungsbehörde des Barbuda-Gemeinderats, die ihren Angestellten Gehälter in Höhe von 1,8 Millionen US-Dollar schuldet.
Ginge es nicht um die Zukunft der Inselbewohner, wäre der Konflikt die perfekte karibische Inselkomödie, kommentierte der Trinidad & Tobago Guardian. Es gehe um das »klassische Small-Island-Dilemma«: »Du lebst an einem unglaublich schönen Ort und weißt nicht, woher das Geld kommen soll? Willst du von Regierungssubventionen leben oder einen Teil des Landes an einen Investor verscherbeln?«
Dass die derzeitige Debatte so hitzig geführt wird und auf Barbuda nicht jeder Strand mit Hotels zugebaut ist, liegt in den historischen Eigenheiten der Insel begründet. Während im 16. und 17. Jahrhundert auf den fruchtbaren Antillen eine Vielzahl von Plantagen entstand, verfolgte der englische Geschäftsmann und Aristokrat Christopher Codrington für Barbuda andere Pläne. Für die Einrichtung von Plantagen schien die Insel ungeeignet, denn Barbuda, umgeben von gefährlichen Riffen, konnte weder einen natürlichen Hafen noch eigene Wasserquellen vorweisen, das Inselinnere besteht zudem aus steinigem Muschelkalk. 1685 leaste Codrington die Insel für »die jährliche Miete eines fetten Schafes« von der britischen Krone. Zwei Jahrhunderte lang betrieb seine Familie »Sklavenzucht« auf Barbuda und erwirtschaftete Holzkohle und Lebensmittel für die Plantagen auf Antigua. Schon damals entwickelte sich jedoch eine relativ unabhängige Community auf Barbuda, die sich gegen ihre Herrscher auflehnte. Ein Angestellter Condringtons richtete sich 1829 in einem Brief an seinen Chef: »Sie erkennen keinen Herrn an und denken, die Insel gehöre ihnen!« Mit der Sklavenbefreiung erkannte die britische Krone 1835 den Inselbewohnern das Recht zu, das Land gemäß ihren Vorstellungen zu nutzen.
Nachdem die Codringtons Mitte des 19. Jahrhunderts Barbuda verlassen hatten, versuchten diverse Geschäftsleute, die Insel durch königliche Pachtverträge in Besitz zu nehmen – ohne Erfolg. Als Antigua 1981 seine Unabhängigkeit erreichte, wurde die Insel dem neu entstehenden Inselstaat Antigua und Barbuda zugeschlagen. Die Regierung Antiguas, seit 1961 von der Labour-Partei – insbesondere den Angehörigen der sozialdemokratischen Familie Bird – dominiert, versuchte seit 1970 ebenfalls, Land an ausländische Investoren zu vergeben. Reihenweise scheiterten die ambitionierten Hotelprojekte in den Folgejahren. Entweder an den Investoren oder am Widerstand der Inselbewohner.
Den Anfang machte der Investor Robert Vesco, der zwar äußert wohlhabend, aber auch auf der Flucht vor den US-amerikanischen Behörden war, die ihn wegen dubioser Geldgeschäfte – später kamen diverse Vergehen wie Drogenschmuggel hinzu – angeklagt hatten. Er kaufte das Land unter falschem Namen und versuchte, einen souveränen Staat namens New Aragon zu errichten. Als seine Identität enthüllt wurde, setzte er seine Flucht fort. 1984 versuchte Ed Joiner, ein Investor aus Atlanta, der später wegen Betrugs verurteilt wurde, einen erheblichen Teil der Insel mit einem Hotel, einer Bank, einer Eisenbahnlinie und einem Golfplatz zu bebauen. Firmen mit Namen wie Sand Castles Limited, Martello Development und Hylandale Limited folgten und kamen entweder nicht über die Planungsphase hinaus, glänzten mit Inaktivität oder verschwanden spurlos, oft ohne ihre Steuerschulden zu zahlen.
Als 1998 die britische Firma Unicorn auf dem Gelände des Nationalparks bauen wollte, rückten 150 Inselbewohner an und stießen einen Baucontainer in die See. Seit 2009 steht der ­K-Club leer, weil die Besitzerin Mariuccia Mandelli, eine italienische Designerin, sich weigert, Steuern zu zahlen.
Nach Jahren der Herrschaft der Labour-Partei und ständigen Konflikten mit der widerständigen Bevölkerung kam 2004 die United Progressive Party (UPP) mit dem Versprechen an die Macht, dem Klientelismus und der Korruption ein Ende zu bereiten. 2007 wurde der »Barbuda Land Act« verabschiedet, der »endgültig bestätigt, dass alles Land in Barbuda Gemeinschaftseigentum ist«. Der Barbuda Land Act soll gewährleisten, dass die Insel nachhaltig und im Sinne der Bewohner entwickelt wird. Was auch beinhaltet, dass fortan sämtliche Konzepte von Investitionsprojekten den Inselbewohnern vorgestellt werden müssen. Erst prüft der Gemeinderat das Vorhaben, dann wird es dem nationalen Kabinett vorgelegt und anschließend wird auf einer Inselvollversammlung darüber abgestimmt.
Doch die Ära zwielichtiger Geschäfte ist offensichtlich nicht vorbei. Mit Bekanntgabe des Hotelprojekts ernannte Gaston Browne, Ministerpräsident Antiguas, Robert De Niro zum »speziellen Tourismusberater«.
Auf dem ersten Treffen, das Anfang Januar stattfand, wurden nur wenige Informationen bekannt gegeben, Anfang März erfolgte dann das abschließende Treffen, auf dem jedoch noch immer keine detaillierten Pläne oder Zeichnungen präsentiert wurden. Das Ergebnis der Zusammenkunft war kein Konsens, sondern es folgten wütende Diskussionen und die Spaltung der Insel. Fabian Jones, ein ehemaliger Abgeordneter des Gemeinderats, wurde festgenommen, nachdem er gefordert hatte, Antiguas Ministerpräsident Gaston Browne solle auf der Inselvollversammlung nicht zu Wort kommen. Dem Land Act zufolge dürfe sich schließlich niemand von außerhalb in die Landfragen Barbudas einmischen.
Tatsächlich seien auch ABLP-Unterstützer aus Antigua gekommen, um abzustimmen, kritisiert Claire. Browne habe nach dem Treffen außerdem Geld aus seinem Truck heraus an die lokalen ABLP-Unterstützer verteilt. Das Ergebnis der Versammlung: Eine knappe Mehrheit von 206 zu 175 Stimmen sprach sich für die Bewilligung des Projekts aus. Hildina hat gar nicht erst an dem Treffen teilgenommen. »Zu emotional« sei die Stimmung auf der Insel.
Die Opposition bemängelt, dass die Abstimmung nicht wie vorgeschrieben in geheimer Wahl per Wahlurne, sondern offen mit einsehbaren Papierlisten erfolgt und deshalb ungültig sei. Auf der einen Seite seien die Namen aller Fürsprecher und auf der anderen die aller Gegner aufgeführt worden. Der ehemalige BPM-Senator Mackenzie Frank legte vor Gericht eine Beschwerde ein, die Ende März abgelehnt wurde. Jetzt liegt der Fall dem Obersten Gericht vor.
Noch problematischer als die Abstimmung findet Frank einige Klauseln der Vereinbarung mit den Investoren. In Punkt 1.2.7 heißt es etwa: »Wenn im Zeitraum des Pachtvertrags privater Grundbesitz möglich wird«, solle es »zur Umwandlung des Pachtvertrags in einen privaten Grundbesitztitel kommen«.
Bei den Wahlen Ende März wurden vier der elf Sitze des Gemeinderats neu vergeben, und die ABLP bekam den Unmut der Inselbewohner zu spüren. Obwohl sie einen teuren Wahlkampf führte und Codrington mit Plakaten, Aufklebern und Girlanden dekorierte, gingen zwei der Sitze an die oppositionelle BPM.
Auch das zweite leerstehende Hotel Barbudas könnte schon bald wiedereröffnet werden. Ende Juni soll das »Lighthouse Bay Resort« in New York versteigert werden. »Ultra-Exklusiv«, ein »Juwel in der Karibik« – so bewerben die Makler von Concierge Auctions das Hotel und beschwören einen neuen Boom für Luxusimmobilien auf Barbuda.
Claire will einen anderen Weg gehen. Sie wünscht sich mehr Besucher auf der Insel und eine florierende Wirtschaft – aber nicht um ­jeden Preis: »Ausbeutung und das Verschenken von Land müssen aufhören!« Sie gibt sich kämpferisch: »Mr. De Niro, Sie sollten ihr Engagement auf Barbuda überdenken. Andernfalls werden Sie sich in die lange Liste derer einreihen, die versucht haben, den Menschen aus Barbuda ihr Land zu stehlen – und damit gescheitert sind.«
Währenddessen befindet sich ein Ingenieursteam von Paradise Found LCC bereits auf der Insel und räumt die Ruinen des K-Clubs auf, für Robert De Niro.