Die UN-Mission in Darfur läuft aus, während der Krieg weitergeht

Einsatz ohne Frieden

Ende Juni läuft das Mandat der Friedensmission Unamid in der sudanesischen Region Darfur aus. Nach dem Abzug der Truppen wird eine weitere Verschlimmerung der Lage befürchtet.

»Jetzt zeigen wir euch die wahre Hölle.« Das seien die Worte der Soldaten gewesen, als sie das Haus betraten, erinnert sich die Frau aus Tabit, einer Stadt im Norden der sudanesischen Region Darfur. »Sie haben meine drei Töchter und mich vergewaltigt«, heißt es in einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), der im Februar veröffentlicht wurde. Demnach haben Soldaten der sudanesischen Armee zwischen dem 30. Oktober und dem 1. November 2014 Tabit drei Mal heimgesucht. Dabei sollen sie Häuser angezündet, Männer verprügelt und insgesamt 220 Frauen und Mädchen vergewaltigt haben. »Die gezielten Angriffe auf Tabit sind ein neuer Tiefpunkt im Katalog der Gräueltaten in Darfur«, kommentierte Daniel Bekele, der Afrika-Direktor von HRW.
Die UN forderten uneingeschränkten Zugang für die Friedenswächter, die seit 2007 im Rahmen der »United Nations–African Union Mission in Darfur« (Unamid) an Ort und Stelle sind. Die Mission ist der erste gemeinsame Einsatz von Friedenstruppen der Vereinten Nationen (UN) und der Afrikanischen Union (AU). Ein Unamid-Team war zwar bereits in Tabit, konnte aber wegen der Einschüchterungen durch die sudanesische Armee keine Befragung der Bevölkerung vornehmen. Einen zweiten Besuch hat die sudanesische Regierung den Vertretern von Unamid seither verwehrt.

In Darfur begannen 2003 heftige Kämpfe zwischen Rebellengruppen und Truppen der Zentralregierung. Die Rebellen – in erster Linie die Sudan Liberation Army (SLA) und das Justice and Equality Movement (JEM) – warfen der Regierung in Khartoum vor, die Menschen in Darfur politisch zu vernachlässigen und religiös zu unterdrücken. Eine zentrale Rolle spielte die Verteilung der Einnahmen aus der Erdölförderung zwischen dem mehrheitlich arabischsprachigen Norden des Landes und dem nicht-arabischsprachigen Süden. Verschärft wurde der Konflikt durch die Konkurrenz um Wasser und fruchtbares Land zwischen nomadisch lebenden Viehzüchtern und sesshaften Bevölkerungsgruppen, die Ackerbau betreiben. Die Regierung reagierte mit Gewalt auf die Aufstände. Sie rüstete arabischsprachige Milizen, die Janjaweed, auf, die Dörfer plünderten und Frauen und Mädchen vergewaltigten. Über 300 000 Menschen kamen ums Leben. Der Internationale Gerichtshof stufte den Krieg gegen die Bevölkerung in Darfur später als Genozid ein.
2006 einigten sich die Regierung und ein Teil der Rebellen auf ein Friedensabkommen, das jedoch bald von beiden Seiten gebrochen wurde. Daraufhin kam es zur Entsendung der Friedensmission Unamid. Zu ihren Aufgaben gehören die Überwachung und Umsetzung des Friedensabkommens, der Schutz der Zivilbevölkerung und sicheres Geleit für Mitarbeiter humanitärer Hilfsprogramme. Mit zeitweilig bis zu 19 555 Soldaten, 6 432 Polizisten und einem Etat von 106 Millionen US-Dollar pro Monat gilt die Unamid als größter Friedenseinsatz der UN.
Im UN-Sicherheitsrat unterstützt Russland, das im Sudan wirtschaftliche Interessen hegt, die dortige Regierung, die den Abzug Unamids verlangt. Sudans Präsident Omar al-Bashir forderte bereits im November »eine klare Exit-Strategie«. Im Dezember verwies er zwei hochrangige UN-Vertreter des Landes und veranlasste die Schließung des Unamid-Menschenrechtsbüros.

Ende Juni läuft das Unamid-Mandat offiziell aus. Menschenrechtsorganisationen befürchten, dass sich die Situation in Darfur nach dem Abzug der Truppe verschlimmern wird. Die Region ist nie wirklich zur Ruhe gekommen. Seit Februar 2014 jedoch greifen die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) wieder vermehrt Dörfer an, deren Bevölkerung sie der Unterstützung oppositioneller Rebellengruppen bezichtigen. Die RSF rekrutieren sich vorwiegend aus ehemaligen Rebellen um General Mohammed Hamdan Dagolo, kämpfen nun allerdings auf Seiten der Regierung. Die International Crisis Group berichtet jedoch, die RSF hätten sich mancherorts untereinander Scharmützel geliefert und in einigen Fällen sogar reguläre Regierungstruppen attackiert.
Die sudanesische Armee verstärkt indes ihre Luftangriffe, insbesondere auf die Rebellenhochburgen in den Marra-Bergen. Im April hat die Regierung zudem eine weitere Bodenoffensive gestartet, bevor die Regenzeit derartige Aktivitäten behindern würde. Insgesamt sollen nach Zählungen der Organisation »End Genocide« im vergangenen Jahr mehr als 3 000 Dörfer zerstört worden sein. Al-Bashir hat die Militäroperationen verteidigt. Oppositionelle, die das Vorgehen der Regierung kritisierten, ließ er inhaftieren. Hinzu kommen Spannungen zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen, seit April etwa zwischen bewaffneten Gruppen der Rizeigat und der Ma’aliya, arabischsprachigen Beduinen. Oppositionelle werfen der Regierung vor, den Konflikt gezielt zu schüren, weil sie beide Seiten mit Waffen beliefere.
Selbst die über 330 000 Menschen in den Flüchtlingscamps sind nicht sicher. So wurden 2014 etwa die Camps al-Salam, Dereije und Ottash von Regierungstruppen gestürmt, vorgeblich auf der Suche nach Waffen, Alkohol und anderen verbotenen Gegenständen. Augenzeugen berichteten HRW von wahllosen Schlägen, auch gegen Frauen und Kinder. Die Unamid hat zwar kurz über diese Vorfälle berichtet, aber seit 2009 keinen umfassenden Bericht mehr zur Menschenrechtslage in den Camps in Darfur veröffentlicht. Nach UN-Schätzungen flohen allein im vorigen Jahr mehr als 450 000 Menschen vor der Gewalt. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres sollen erneut 40 000 Menschen geflohen sein, die Gesamtzahl der Flüchtlinge in und aus Darfur liegt bei rund drei Millionen. Nach Ansicht der UN ist von den 6,5 Millionen Menschen, die vor dem Krieg in Darfur lebten, inzwischen die Hälfte auf Hilfsleistungen angewiesen. Zuletzt verließen Dutzende Hilfsorganisationen das Land – auf Druck der Regierung oder aus Sicherheitsgründen.

Während die Zahl der Schutzbedürftigen weiter steigt, wird das Unamid-Kontingent seit April sukzessive abgebaut. Aicha Elbasri, die ehemalige Sprecherin der Unamid, sieht darin »das tragische Ergebnis einer anhaltenden Fehlinterpretation der Lage in Darfur«. In einem Bericht im Magazin Foreign Policy beschuldigte sie die Unamid, die Lage in Darfur herunterzuspielen, die Verantwortlichen würden es zudem nicht wagen, das Regime in Khartoum zu kritisieren. Ihre Anschuldigungen untermauerte sie mit Berichten wie diesem: Am 24. März 2013 sollten drei Busse Flüchtlinge zu einer Friedenskonferenz bringen, beglei­tet von Unamid-Fahrzeugen. An einem Checkpoint wurden sie von Rebellen angehalten, die die Flüchtlinge ohne Gegenwehr seitens der bewaffneten Unamid-Soldaten entführt und misshandelt haben sollen. Der Sudan-Analyst Eric Reeves meint: »Die Mission war von Anfang an zum Scheitern verurteilt, vor allem, da man der Regierung in Khartoum starken Einfluss auf wichtige Entscheidungen überließ, etwa wo welche Truppen eingesetzt werden.« So hatte das Regime viele hochqualifizierte Friedenswächter zurückgewiesen, etwa ein norwegisch-schwedisches Bataillon. Auch ein UN-Bericht hält fest, dass es »mehrere Zwischenfälle gab, in denen Soldaten nicht angemessen auf bewaffnete Angriffe reagierten«.
Wie ernst es die »internationale Gemeinschaft« mit ihren Maßnahmen gegen das Regime in Khartoum meint, ließ sich Mitte März auf einer Wirtschaftskonferenz in Kairo erahnen. US-Außenminister John Kerry posierte auf einem Gruppenfoto zusammen mit al-Bashir, gegen den der Internationale Strafgerichtshof Haftbefehl 2008 wegen des Genozids in Darfur erlassen hatte.