Das Ende des Waffenstillstandes in Kolumbien

Konflikt mit Sprengkraft

In Kolumbien ist der einseitige Waffenstillstand von der Guerilla Farc wieder aufgehoben worden. Die Friedensverhandlungen von Havanna sind in Gefahr.

An der Brücke über den Río Mandivá staut sich wie immer der Verkehr. Der Grund dafür sind die an beiden Enden mit Sandsäcken geschützten militärischen Stützpunkte. Die kolumbianischen Soldaten kontrollieren Kofferräume und Papiere der Vorbeikommenden. Alltag auf dem Weg von Cali nach Santander de Quilichao. Die Kreisstadt, rund 60 Kilometer von Kolumbiens drittgrößter Stadt Cali entfernt, liegt im Verwaltungsbezirk Cauca. Dort ist die Guerilla Farc traditionell besonders stark, deshalb gilt der Bezirk als Kriegs­gebiet.
In Cauca ist dieser Krieg im Mai wieder aufgeflammt, trotz des einseitigen Waffenstillstands, den die Farc im Dezember vorigen Jahres bekanntgegeben hatte. Der Waffenstillstand sei weitgehend eingehalten worden, sagt Feliciano Valencia. Der kleine, stämmige Mann mit der Baseballkappe ist einer der Anführer der indigenen Gruppe der Nasa. Ihre Mitglieder sind gut organisiert und traten in der Vergangenheit immer wieder in Erscheinung, weil sie sich gegen den Krieg zwischen Regierung und Guerilla wandten und auf ihre Neutralität pochten. »Daran hat sich nichts geändert«, erklärt Valencia. »Doch unsere Neutralität wird nicht akzeptiert. Allein im Mai sind acht unserer Leute ermordet worden. Der Krieg ist zurückgekehrt«, sagt der 48jährige mit bitterer Miene. Die meisten Morde werden im Kontext des Drogenhandels verübt, unklar ist der Hintergrund des Todes von zwei Jugendlichen, deren Leichen gleich um die Ecke in Caloto aufgefunden wurden. Der Ort befindet sich nur wenige Kilometer entfernt vom Resguardo Toez, dem indigenen Schutzgebiet.
An diesem Tag findet dort ein Bergbauseminar der Nasa statt. Bergbau könne, so die Referentin, zu einer neuen Herausforderung nach dem Friedenschluss werden, denn für große Teile der Region sind Konzessionen vergeben. Das ist ein Grund dafür, dass die Region, die bislang agrarisch und durch Großgrundbesitz geprägt ist, Kriegsgebiet ist. Hier wird meist nachts gekämpft und die Polizeiposten in der Region gleichen Festungen, die oft mit präparierten Gaszylindern von den Farc angegriffen werden. So auch im ein paar Dutzend Kilometer entfernten Toribio und in La Esperanza, einem kleinen Dorf, bei dem Mitte April eine Armeeabteilung in einen Hinterhalt der Farc geraten war, dabei starben elf Soldaten. Die Regierung kritisierte dies als Bruch des Waffenstillstands.

Als Reaktion auf den Angriff erteilte Präsident Juan Manuel Santos, gleichzeitig Oberbefehlshaber der Streitkräfte, wenig später der kolumbia­nischen Armee den Befehl, die gerade erst ausgesetzten Luftangriffe wieder aufzunehmen und Stützpunkte der Farc zu bombardieren. Dabei starben nach Armeeangaben bis Ende Mai rund 40 Guerilleros. Am 22. Mai, nach einem dieser Luftangriffe, hob die Farc ihren einseitigen Waffenstillstand auf, seitdem werden wieder Polizeistationen angegriffen und Strommasten gesprengt. So gab es Ende Mai in der Hafenstadt Buenaventura keinen Strom, Anfang Juni blieb Tumaco, eine Hafenstadt im Departamento Nariño, im Dunkeln. Für die Nasa, die die Friedensverhandlungen im kubanischen Havanna begrüßen, ist das ein Rückschritt, der das Leben in den umkämpften Regionen gefährlicher macht. »Zwischen Januar und Anfang April war es hier relativ ruhig. Seit Anfang April ist das aber vorbei«, sagt der Nasa-Anführer Valencia.
Das legen auch die nationalen Statistiken nahe. »Der Waffenstillstand der Farc hat weitgehend funktioniert, rund 85 Prozent weniger Gewalttaten wurden registriert«, sagt Gustavo Gallón, der Leiter der kolumbianischen Juristenkommission (CCJ). Keine schlechte Bilanz, weshalb der Jurist auch zur Besonnenheit mahnt, um den Friedensprozess von Havanna nicht zu gefährden. »Es gibt ein Risiko, aber Regierung und Farc haben die Verhandlungen im Konflikt begonnen und die Regierung hat sich von vornherein entschieden, die Waffen erst schweigen zu lassen, wenn der Vertrag unterzeichnet ist. Das ist oft und zu Recht kritisiert worden, aber es ist die Realität.« Als gefährlicher für den Friedensprozess schätzt Gallón die Fraktion der Gegner einer friedlichen Lösung ein, die sich um den ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe Vélez gesammelt haben und systematisch Stimmung gegen die Verhandlungen machen.

Der Menschenrechtsaktivist Gallón findet es problematisch, dass Fortschritte in Havanna von der Presse nicht immer ausreichend gewürdigt werden. Und nach wie vor gebe es einen Faktor, der den Prozess scheitern lassen kann: »Die Existenz der Paramilitärs ist eine entscheidende Hürde, man hätte ihnen schon längst entschieden gegenübertreten müssen.« Dafür, dass dies nicht geschehen ist, gibt es zahlreiche Gründe, wie die Prozesse gegen die Netzwerke von paramilitärischen Gruppen und Politikern gezeigt haben, die in Kolumbien unter dem Stichwort Parapolítica bekannt sind. »Die vom Obersten Gericht initiierten Prozesse haben aufgedeckt, dass die Paramilitärs Tausende von Komplizen in den staatlichen Strukturen hatten und haben – beim Militär, aber auch in den zivilen Behörden, der Staatsanwaltschaft, den Bildungseinrichtungen oder in der Verwaltung«, so Gallón.
Diese Strukturen sind mindestens genauso gefährlich wie die 4 000 bis 6 000 Kämpfer, die Schätzungen von Experten zufolge auf den Lohnlisten der paramilitärischen Banden stehen, wie »Águilas Negras«, »Los Urabeños« oder »Los Rastrojos«. »Mit den paramilitärischen Verbänden ist das Risiko, dass sich die Geschichte wiederholt, denkbar groß«, meint auch Iván Cepeda, Senator der Oppositionspartei Polo Democrático Alternativo. Sein Vater war Senator der Unión Patriótica, die Mitte der achtziger Jahre gegründet wurde und als der Farc nahestehend galt. Er wurde 1994 von Agenten des kolumbianischen Staats, die gemeinsam mit paramilitärischen Gruppen agierten, ermordet. Mitte 2014 erkannte der kolumbianische Staat dies offiziell an. Doch an der Praxis hat sich wenig geändert. Das ist Cepeda zufolge jedoch dringend nötig.