Ein Aktionsplan für mehr Lebensqualität

Stagnieren bis zum Schluss

Die Bundesregierung lädt zum »Bürgerdialog«. Dort verraten die Bürger, was sie sich vom Leben wünschen: noch mehr Sterbenslangeweile.

Die sympathische Auffassung des Liberalismus, wonach eine gute Regierung sich dadurch auszeichnet, dass sie die Bürger so weit wie möglich in Ruhe lässt und dafür Sorge trägt, dass sie einander in Ruhe lassen, war in Deutschland noch nie populär. Hier sind Regierungen im Gegenteil umso beliebter, je mehr sie sich für die »wirklichen Bedürfnisse« der Menschen interessieren und diese animieren, sich gegenseitig mit ihrer Geistlosigkeit und Langeweile auf die Nerven zu fallen – sich also, wie es im Jargon der Basisdemokratie heißt, »einzubringen«, um die »Lebensqualität« zu erhöhen.
Für die »Lebensqualität« interessieren sich die Bürger eines Staats umso mehr, je unverhohlener sie das Leben verachten. Weil »Leben« in Deutschland die Bezeichnung für die Wartezeit zwischen Geburt und Tod ist, die irgendwie rumgebracht werden muss, sind die Bürger hier besonders engagiert, wenn es darum geht, dem Leben Qualität zu verleihen. Darum veranstaltet die Bundesregierung im Rahmen der Initiative »Gut leben in Deutschland – was uns wichtig ist« bis zum Oktober 100 lokale »Bürgerdialoge«, die den Menschen die Möglichkeit geben sollen, Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihren Ministerinnen und Ministern anzuvertrauen, was ihnen »im Leben wichtig« ist. Auf dieser Grundlage soll ein »Aktionsplan für mehr Lebensqualität in Deutschland« entworfen werden. Dabei orientiert sich die Bundesregierung an Thesen der Ökonomen Joseph Stiglitz und Amartya Sen, die für ihre Einsicht, dass das Bruttosozialprodukt »die tatsächlichen Lebensverhältnisse in einem Land nicht vollständig abbilden kann«, den Nobelpreis für Wirtschaft erhalten haben.
Die »Bürgerdialoge«, die im Sommer stattfinden, werden unter anderem von der Deutschlandstiftung Integration, der Evangelischen Kirchengemeinde und der Friedrich-Ebert-Stiftung organisiert. Wer annimmt, dass die dabei drohenden Gähnkrämpfe für eine geringe Beteiligung sorgen werden, dürfte sich täuschen. Die authentischen Lebenswünsche, die auf der Website der Initiative mitgeteilt werden, lassen eher den Schluss zu, dass die Bürger engagiert dafür kämpfen werden, dass ihr Alltag noch witzloser wird, als er es ohnehin ist. »Selbstbestimmtes, bezahlbares Leben mit Interessenverwirklichung«, »Entscheidungsfreiheit, besonders bei der Wahl des Entbindungsortes«, »vorzeitige Rente mit Abzügen«, »ein würdevolles Leben bis zum Schluss«, »Lebensqualität durch Work-Life-Balance«, »Dope rauchen dürfen« und »Europäische Normalzeit ganzjährig beibehalten« – das sind die Dinge, die den Deutschen am Herzen liegen. Die »Bürgerdialoge« werden also rege besucht werden, auf dass Lebens- und Sterbenswirklichkeit künftig noch schwerer unterscheidbar werden als bisher.
Immerhin legen die Antworten auch die Vermutung nahe, dass die Bürger einstweilen keine große Lust auf Revolte haben, was in Deutschland schon immer eher beruhigend war. Den Staat wünscht man sich offenbar vor allem als effizienten Stagnationsverwalter. Solange Lebensqualität für seine Bürger bedeutet, bei garantierter Europäischer Normalzeit die Bezahlbarkeit der eigenen Existenz zu überprüfen und straflos bekifft über ihren Entbindungsort zu entscheiden, geht keine unmittelbare Gefahr von ihnen aus.