Aus der NPD wurden die V-Leute abgezogen, in rechtsextremen Gruppen aber sollen sie Straftaten begehen dürfen

Der Hitlergruß ist ein Muss

Im Zuge des NPD-Verbotsverfahrens haben die Verfassungsschutzämter die Zusammenarbeit mit V-Leuten in der Parteiführung beendet. Im Nazimilieu soll es jedoch weiterhin Spitzel geben – mit größeren Befugnissen als bisher.

»Die Länder haben die Voraussetzungen geschaffen, damit wir nicht sozusagen im technischen Verfahren schon bei Gericht scheitern«, zeigte sich der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier (CDU), kürzlich zuversichtlich. Die sogenannte Abschaltung von V-Leuten in der NPD ist notwendig für den Erfolg des Verbotsverfahrens gegen die Partei. Zum Stichtag 1. Dezember 2011 wurden von den elf V-Leuten in der Parteiführung nach Informationen des Spiegel drei vom Bundesamt für Verfassungsschutz geführt, zwei vom Bayerischen Landesamt und zwei weitere vom Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen. Über die weiteren ist nichts bekannt. Die Klarnamen der Spitzel wurden nicht öffentlich gemacht.

Ein erster Versuch, die rechtsextreme Partei zu verbieten, war im Frühjahr 2003 gescheitert, weil derart viele V-Leute des Verfassungsschutzes in der NPD-Führungsebene tätig waren, dass der Verdacht, diese Personen könnten die Partei maßgeblich steuern, nicht hinreichend ausgeräumt werden konnte. Ob es sich bei der NPD um eine verfassungswidrige Partei handelt, wurde deshalb nicht weiter geprüft. Der Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach weiteren Belegen für den antidemokratischen Charakter der NPD kamen die Bundesländer im Mai nach. »Wir haben natürlich diese Aufgabe auch dementsprechend wahrgenommen«, bekundete Caffier bei dieser Gelegenheit. So sollen in »beispielloser Weise« und »an der Grenze des rechtlich Zulässigen« interne Vermerke, Erlasse, Gesprächsprotokolle und andere Akteninhalte der Behörden dem Gericht offengelegt worden sein. Die Verfahrensbevollmächtigten des Bundesrates, die Berliner Juristen Christoph Möllers und Christian Waldhoff, hatten das Material zusammengestellt. Ein Gerichtssprecher bestätigte den Eingang von insgesamt vier Aktenordnern.
Zu den Dokumenten gehören auch sogenannte Abschalterklärungen. V-Leute unterschreiben solche Papiere, wenn die Zusammenarbeit mit ihnen beendet wird. Sie erhalten dann eine letzte Prämie, deren Höhe von der Dauer der Mitarbeit abhängt. Im Fall der NPD dürfen die Ämter nach dem »Abschalten« keine weiteren Informationen im Rahmen der üblichen »Nachsorgetreffen« mehr einholen, weil sonst die geforderte Staatsferne der Parteifunktionäre wieder in Zweifel gezogen werden könnte. Das derzeit vorliegende Material zeigt, dass die Zusammenarbeit mit den letzten relevanten Quellen Ende März 2012 beendet wurde. Nach Dezember 2012 sollen die Behörden keinerlei Kontakte mehr zu den ehemaligen Spitzeln gehabt haben.
Diese müssen, um nicht enttarnt zu werden, über einen Zeitraum von ungefähr fünf Jahren – auch gegen eventuelles eigenes Interesse – Mitglied in der NPD bleiben. In einem konkreten Fall aus Niedersachsen erhält ein ehemaliger Zuträger aus diesem Grund für die nächsten zwei Jahre Spesenzahlungen. Dieses Geld solle »im Wesentlichen« für die politische Arbeit ausgegeben werden, aber »unauffällig« und in »kleinen und für die Umwelt nachvollziehbaren Beträgen«, berichtet die Taz.

Um die ehemaligen V-Personen zu schützen, wurden in den Akten entsprechende Stellen geschwärzt. Dies geschehe, um Leib und Leben der ehemaligen Informanten nicht zu gefährden, heißt es in einer Erklärung des Bundesrats. Sollten die Richter die Klarnamen der V-Leute wissen wollen, könnte es ein »In-camera-Verfahren« geben, bei dem nur die Richter die wahre Identität der Spitzel erfahren. Hintergrund der Sorge ist, dass auch die NPD als prozessbeteiligte Partei Einsicht in die geheimen Unterlagen der Behörden erhält. Trotz geschwärzter Stellen besteht die Gefahr, dass die Zuträger des Verfassungsschutzes enttarnt werden. »Das Identifizierungsrisiko hat sich jedenfalls erhöht«, stellen Landesbehörden fest. Immer wieder äußern deshalb die Landesämter für Verfassungsschutz große Bedenken wegen des Verfahrensablaufs.
Der Süddeutschen Zeitung zufolge wollen die beiden Verfahrensbevollmächtigten des Bundesrats nicht zuletzt dem Verdacht entgegentreten, der Verfassungsschutz könnte die Prozessstrategie der NPD ausgeforscht haben. Zwar seien im Zusammenhang mit strafrechtlichen Ermittlungen mehrmals Telefone überwacht worden und in Brandenburg sei »auch eine Randerkenntnis zum bevorstehenden NPD-Verbotsverfahren« in ein Abhörprotokoll gelangt, aber diese sei nicht verwertet und »zeitnah vernichtet« worden. Detailliert wird in dem Material aufgezeigt, wer für das nationaldemokratische Parteiprogramm von 2010 verantwortlich war. Spitzel des Verfassungsschutzes seien nicht darunter gewesen. Und weil das Programm beim Parteitag mit überwältigender Mehrheit angenommen wurde, sei »die Anwesenheit einzelner Quellen unter den Parteitagsdelegierten für die Meinungsbildung« irrelevant gewesen.
Caffier wies in seiner Stellungnahme aber darauf hin, dass die Abschaltung der Informanten nicht für die rechtsextreme Szene insgesamt gelte. V-Leute bleiben »weiter ein Instrumentarium«, bestätigte der Landesinnenminister. Im Zuge der von der Großen Koalition geplanten Verfassungsschutzreform ist vorgesehen, die Befugnisse der Behörden trotz der Skandale der vergangenen Jahre auszuweiten. In Zukunft sollen die Spitzel bestimmte milieuspezifische Straftaten verüben dürfen, ohne deshalb strafrechtlich verfolgt zu werden. Nur wenn eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten ist, soll ermittelt werden. Das Zeigen des Hitlergrußes, das Vermummen auf Demonstrationen und die Mitgliedschaft in der Terrormiliz des »Islamischen Staates« soll in Zukunft für V-Leute erlaubt sein. »Wer nicht in der Lage ist, einen Hitlergruß zu zeigen, kann sich auch gleich einen Strick nehmen«, zitiert die Welt aus »Sicherheitskreisen«. Auch das Werfen von Steinen und Flaschen müsse in begrenztem Maß straffrei bleiben.

»Die Große Koalition bleibt ihrer Linie massiver Angriffe auf die Bürgerrechte treu«, beklagen Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender, und Irene Mihalic, Sprecherin für Innere Sicherheit der Bundestagsfraktion der Grünen. »Nach den ebenfalls fragwürdigen Antiterrorpaketen von Bundesjustizminister Maas« lege nun Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) nach. Die Verfassungsschutzreform sei »ein schwerer Schlag gegen die Bürgerrechte«. Die geplante Erweiterung der Befugnisse von V-Leuten des Verfassungsschutzes zeige deutlich, »dass Union und SPD ganz offensichtlich nicht bereit sind, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und Konsequenzen aus den NSU- und NSA-Skandalen zu ziehen«.