Berlin Beatet Bestes. Folge 300

Der Tod der Kartoffel-Ideologie

Berlin Beatet Bestes. Folge 300. Andy Fisher: Kartoffel Beat (1969).

Die Deutschen scheinen immer deutscher zu werden. Die national aufgeheizte Stimmung gegen »die Griechen« und die »Flüchtlingsströme« machen die Kartoffeln derzeit jedenfalls immer kartoffeliger. Sogar ich selbst ertappe mich dabei, über die Fremden zu schimpfen. In meinem Viertel sehe ich kaum noch Einheimische und bin genervt von den gemütlich flanierenden Horden, die mir im Weg sind, wenn ich meine Einkäufe nach Hause schleppe. Mein Kreuzberger Kiez rund um die Bergmannstraße ist nämlich in den vergangenen Jahren ein Touristenmagnet geworden, vor allem im Sommer. Meine Freundin ist überzeugt, das alles wäre irgendwelchen Reiseführern geschuldet. Sie würde am liebsten die Autoren ausfindig machen und ihnen Touristen vor ihre Haustüren schicken. Aber dann sage ich immer: Ist doch klar, dass es ihnen hier gefällt, es ist ja auch wirklich schön hier. Sollen sie doch auch genießen, was wir genießen. Ich kleide mich jetzt oft wie ein Tourist, das macht die Sache viel einfacher. Und wenn das Wetter im Herbst und Winter ungemütlich wird, verschwinden sie sowieso und die bunte, multikulturelle Vielfalt Kreuzbergs zeigt sich wieder.
Anfang der neunziger Jahre war ich ein glühender Antideutscher. Lasst uns nicht allein mit diesen Deutschen, flehte ich. Die Kartoffel muss weg, sie hat schließlich den Holocaust zu verantworten. Dieses Denken fiel nicht vom Himmel, ich wurde so erzogen. Mein Vater wuchs im Rheinland auf, ging mit 15 zur See und lebte seitdem nie mehr für längere Zeit in Deutschland. Er arbeitete nicht auf deutschen Schiffen und nur mit internationalen Crews. Überall war er »the german«, aber stoffelige Deutsche mied er. Wenn wir im Ausland welche trafen, legte er mahnend den Finger auf die Lippen. Meine Mutter kam mit 21 aus Siebenbürgen nach Deutschland. Ein Jahr lebte ihre fünfköpfige Familie »im Lager«. Trotz eines starken Anpassungswillens pflegte sie die rumänische Sprache und vor allem ein übertrieben südeuropäisches Temperament. Von ihr lernte ich, dass es nicht darauf ankommt, was man ist, sondern wie man ist.
Zum Glück hat sich demographisch in den vergangenen 25 Jahren viel verändert. Heute bin ich kein Antideutscher mehr, ich bin Deutscher. Alle die hier leben, sind Deutsche. Aber wenn Millionen von Menschen nach Jahrzehnten in diesem Land immer noch Ausländer bleiben, stimmt etwas nicht. Erst wenn sie Deutsche werden, stirbt die Kartoffel-Ideologie.
Der 1930 geborene österreichische Jude Johann Ernst Fischer konnte 1939 mit einem der letzten Kindertransporte aus Wien flüchten und wuchs in England auf. Zurück in Wien, nannte er sich Johnny Fisher und arbeitete als Jazzmusiker und Produzent. In seiner kurzen Schlagerkarriere als Andy Fisher zwischen 1967 und 1970 hinterließ er die interkulturellsten Nonsens-Songs, die je in Deutschland aufgenommen wurden. Eine Kombination, die heute wieder dringend nötig wäre: »When you’re feeling blue, here’s what you need/Pick up your feet with Kartoffel Beat«.