Der Film »Heil«

Wenn aus Nazis Neandertaler werden

Mit »Heil« liefert der deutsche Film eine gescheiterte Satire über die politischen Zustände des Landes. Dabei scheinen die Ansichten des Regisseurs Dietrich Brüggemann gar nicht falsch zu sein.

Prittwitz. Ein Ort in Brandenburg, an der Grenze zu Thüringen und Sachsen. Moment, seit wann haben Brandenburg, Thüringen und Sachsen eine gemeinsame Grenze, ein sogenanntes Dreiländereck? Egal, ist ja nur ein Film. Es handelt sich um »Heil«, Regie und Drehbuch von Dietrich Brüggemann, beworben wird der Film als Satire. Es beginnt allerdings recht unsatirisch mit Leichenbergen vor Konzentrationslagern, Bildunterschrift »Deutschland 1945«. Schnitt. Bildunterschrift »70 Jahre später«, willkommen in Prittwitz, willkommen in der Satire.
Eine solche Geschmacklosigkeit zu Beginn steht symptomatisch für den pädagogischen Gestus, der den Film durchzieht und die Komik ins Oberlehrerhafte abgleiten lässt – Gesellschaftskunde im komödiantischen Gewand. Worum geht es? Deutschland ist gespalten, aber nicht in BRD und DDR, sondern in Prenzlauer Berg und Prittwitz. Im Prenzlauer Berg wohnt die multikulturell-liberale Elite, so auch der afrodeutsche Integrationsschreiberling Sebastian Klein (Jerry Hoffmann) mit seiner hochschwangeren und notorisch eifersüchtigen Freundin Nina (Liv Lisa Fries). In Prittwitz wohnen die Nazis, angeführt von Sven (Benno Fürmann), die keine zwei Worte Englisch (White Power ist mal Wheit Pauer, mal Weit Baur), aber auch keinen deutschen Satz schreiben können. Warum das so ist? Weil Nazis dumm sind.
Das ist zumindest die Erklärung, die der Film nahelegt. Damit sind wir auf dem Niveau von Bernhard Schlinks »Der Vorleser« angelangt, mit dessen hanebüchenen Überlegungen zum Zusammenhang von Analphabetismus und Nazitum inzwischen mutmaßlich jede deutsche Gymnasialklasse traktiert wird. Unterwegs in integrativer Absicht gelangt der Autor Klein nach Prittwitz, wo ihn die Nazis auf den Kopf hauen, was dazu führt, dass er sein Gedächtnis verliert und alles nachredet, was man ihm sagt. Er wird deswegen von den Nazis als Vorzeigeintegrationsnazi benutzt. Der Effekt, der durch die Schläge auf den Kopf entsteht, lässt sich bei bestimmten Figuren im Film beliebig wiederholen (Schlag, Gedächtnis aus, Schlag, Gedächtnis an, Schlag, Gedächtnis aus, und so weiter), was als Mittel des Öfteren eingesetzt wird. Sven will die Anführerin einer konkurrierenden Prittwitzer Kameradschaft, Doreen (Anna Brüggemann), beeindrucken, die wiederum die Bedingungen für ein Date klarmacht: Deutschland regieren und in Polen einmarschieren. Sven, als Nazi pflichtbewusst und unverzagt, beginnt in umgekehrter Reihenfolge, also damit, Polen zu überfallen. Er bedient sich der historisch bewährten List, mit seinen Kameraden unter Zuhilfenahme eines entwendeten Bundeswehr-panzers einen Angriff auf Deutschland unter polnischer Flagge zu fingieren, die dann allerdings eine österreichische ist (die Dummheit wieder).
Anschließend wird es nahezu lustig. Weil sich der schwule Nazihund Jesus an Wotan rangemacht hat, werden beide Hunde von einem Nazi ohne weitere Verhandlungen exekutiert, was bei dem anderen Nazihundehalter keineswegs Freude hervorruft, der dann wiederum das Mittel der Erschießung (jetzt des anderen Hundehalters) zur Anwendung bringt, was andere Nazis als Gelegenheit zum Putsch begreifen und auch noch ein paar Kameraden umlegen, kurz: die gesamte Angelegenheit ist der Disziplin der Truppe nicht zuträglich. Noch dazu ist man ja gerade dabei, das westliche Oderufer zu beschießen, wo sich inzwischen ein paar Kameraden zur Verteidigung des Vaterlandes zusammengefunden haben, die dann allerdings recht zackig mittels Sprenggranaten aus der 120mm-Glattrohrkanone des Panzers aus dem Leben befördert werden. Ende gut, Nazis tot.
Immerhin ist Brüggemann so konsequent, dass er nicht nur die Nazis – und das Prenzlauer-Berg-Milieu – der Dummheit überführen möchte. Als dumm dargestellt werden auch, in ungeordneter Reihenfolge, der Verfassungsschutz (»Ach Scheiße, das gibt doch wieder einen Untersuchungsausschuss«), die politischen Parteien, der Bürgermeister von Prittwitz (»Nazis raus aus den Medien«), die Antifa (antiimperialistisch), Talkshows, die Bundeswehr (dumm und zudem kaputt), Akademiker, Sprecherinnenpositionsdiskussionen, die Medien, Ökos (»Holocaust an Tieren«), die Justiz (wortwörtlich auf dem rechten Auge blind), das Theater, Hundeliebhaber, Nipster (Nazi-Hipster), Sachbuchautoren (»Mindestens 100 Prozent« von dem dreifachen Ironman-Gewinner) und selbst der Regisseur tritt als Witzfigur im Fernsehen auf – nur der Polizist von Prittwitz wird von der allgemeinen Tendenz ausgenommen und fungiert als Sympathieträger. Jeder ist Klischee und Karikatur in einem.
Statt die Figuren ihrer immanenten Idiotie zu überführen, werden sie durch das Karikatureske rein äußerlich beurteilt. »Heil« wirkt, als wolle Brüggemann Zustimmung für eine Sammlung seiner Meinungen über die politische Situation in Deutschland heischen. Man kann Brüggemann zugutehalten, dass seine Ansichten durchaus nicht die schlechtesten sind.
Das Problem des Filmes jedoch ist, dass der Stoff nicht künstlerisch bewältigt wird. In der Kunst werden Tatsachen der Wirklichkeit anschaubar, weil sie ästhetisch geformt, vom reinen Dasein zur Bedeutung gewandelt werden. Wenn man darauf verzichtet, hat man nur die unbewältigte Stoffmenge zusätzlich der subjektiven Meinungsäußerung des Filmemachers. Handwerklich schlecht ist weiterhin, dass die Figuren sich nicht im Laufe der Handlung lächerlich machen, sondern im Voraus als lächerlich konzipiert wurden und in der Handlungsführung auf Gesinnungswechsel durch kräftige Schläge auf den Kopf zurückgegriffen wird. Und aus schlechtem Handwerk kann nun einmal kein guter Film, keine gute Kunst werden. Wie man überzeugende Figuren zeichnet, eine plausible Handlung sowie eine großartige Komik entwickelt und auch noch einen politischen Film macht, kann man zum Beispiel an der Komödie »Burn After Reading« der Coen-Brüder oder auch »Schtonk!« von Helmut Dietl sehen.
Brüggemann behauptet in einem Gespräch mit der Zeit, dass »Dummheit per se lustig« sei. Doch er täuscht sich in diesem Punkt. Dummheit ist per se erstmal dumm. Und oft nicht lustig. So ist es auch mit dem Film. Man kann allerdings nicht sagen, dass »Heil« die dümmste deutsche Kinokomödie des Jahres ist. Immerhin sind noch ein paar Monate Zeit bis zum Jahresende und auf die Filmindustrie ist in Sachen Unterbieten der eigenen Standards zumeist Verlass. Zudem kommt schon Anfang September, mit »Fack Ju Göthe 2« ein Schwergewicht dieser Kategorie in die deutschen Kinos. Brüggemann sagt selbst über sein Machwerk: »Im Prinzip ist dieser Film eine große Feier des Phrasendreschens, der Unvernunft, der Idiotie und des Wahnsinns.« Der Rezensent, der dieses Zitat um der Schlusspointe willen grob aus dem Kontext gerissen hat, wüsste nicht, was dem noch hinzuzufügen wäre.

»Heil« (D 2015). Regie und Buch: Dietrich Brüggemann.
Darsteller: Benno Fürmann, Liv Lisa Fries, Jerry Hoffmann. Der Film ist bereits angelaufen.