Ungarn macht die Grenzen dicht

Zaungäste unerwünscht

Durch Ungarn verläuft derzeit eine der Hauptrouten für Flüchtlinge. Die ungarische Regierung will deshalb einen Zaun entlang der Grenze zu Serbien errichten.

Die Mitglieder von Migszol tragen schwere Holzbalken und Betonplatten auf den Platz vor dem ungarischen Parlament in Budapest. Die Balken werden in die Betonplatten gesteckt und dazwischen werden etwa 20 Meter Maschendraht aus Plastik gespannt. Die Gruppe, die im ganzen Land Migranten unterstützt, hat an diesem 14. Juli zur Demons­tration gegen den geplanten Zaun an der ungarisch-serbischen Grenze aufgerufen.
In dem kleinen südungarischen Dorf Mórahalom bei Szeged schlägt das Militär derweil mit schwerem Gerät eine breite Schneise durch den Wald. Seit einigen Tagen werden dort vier verschiedene Typen von Zäunen gebaut, an denen getestet werden soll, welches Modell sich am besten zur Abwehr von Migranten eignet. Bis Ende November soll der gesamte Zaun auf einer Länge von 175 Kilometern fertiggestellt sein, um das irreguläre Überqueren der grünen Grenze zu Serbien zu unterbinden. Als der Regierungssprecher Zoltán Kovács die Baustelle vorvergangene Woche besuchte, machte er abermals klar, dass für ihn Migration nichts mit Menschenrechten, sondern vielmehr mit organisierter Kriminalität zu tun habe, die es zu bekämpfen gelte.

Die Zahl der irregulären Grenzübertritte nach Ungarn ist seit 2014 stark gestiegen. Im Vergleich zu 2010 ist die Anzahl der Festnahmen wegen fehlender Papiere um 2 500 Prozent gestiegen. In diesem Jahr beantragten bereits mehr als 53 000 Menschen in Ungarn Asyl. Vor Wochen begann die ungarische Polizei, die Grenze zu Serbien verstärkt zu kontrollieren; sie führt großangelegte Razzien in den Dörfern und Städten der Region durch. Teils wurden während eines einzigen Einsatzes Hunderte Migrantinnen und Migranten festgenommen. Derzeit lauert die Polizei mit Fahrzeugen in Wäldern und an den Straßen rund um Szeged, um Ausweisdokumente zu kontrollieren. In Bussen werden dann all jene ohne Papiere in einen alten Hangar nach Röszke gefahren, um ihre Fingerabdrücke zu registrieren.
Nach maximal zwei Tagen müssen sie das Durchgangslager wieder verlassen. Erneut kommen Busse, um sie zurück zum Bahnhof von Szeged zu fahren. Mitglieder von Migszol versorgen sie dort mit Wasser, Sandwiches und bei Bedarf mit gespendeten Kleidungsstücken. Nach einer kurzen Pause werden die Migranten hastig durch einen Seiteneingang des prunkvollen Bahnhofs geschleust, um schließlich in einem Sonderwaggon der Bahn Richtung Budapest zu fahren. »Nach sechs Stationen müsst ihr in den Zug nach Debrecen umsteigen!« ruft ihnen eine erschöpft wirkende Unterstützerin immer wieder zu. In Debrecen, im Osten des Landes, befindet sich eines der beiden zentralen Aufnahmelager Ungarns. Sie waren ständig überfüllt, bereits bevor die Razzien begannen. Insassen klagen über schlechtes Essen, prügelnde Wärter und miserable hygienische Bedingungen.
Der neue Grenzzaun soll 2,5 Meter innerhalb des ungarischen Staatsgebiets liegen. Somit hätten alle, die den Zaun von der serbischen Seite aus erreichen, Ungarn bereits betreten. Die ungarische Regierung scheint all das zu ignorieren und verabschiedete Anfang Juli ein neues Asylgesetz, das es erlaubt, Asylsuchende länger zu inhaftieren, ihre Fälle schneller abzuschließen und sie in Drittstaaten abzuschieben. Außerdem gibt es Pläne, die Aufnahmelager zu schließen und durch temporäre Zeltlager zu ersetzen.

In Budapest wackelt der symbolische Plastikzaun im Wind, während die Demonstration um die Ecke biegt und auf das Parlament zusteuert. Mehr als 800 Menschen sind gekommen, obwohl es in der Vergangenheit immer wieder Drohungen und Angriffe von rechten Gruppen gegen Personen gab, die sich für Migranten einsetzen. Als ein serbischer Demonstrant den Zaun erblickt, rennt er los und bringt ihn mit einem beherzten Sprung zu Fall. Eigentlich sollte der Zaun vor laufenden Kameras mit Scheren und Zangen zerschnitten werden.
Amy Rodgers von Migszol sagt anschließend in ihrer Rede: »Während sich um uns herum die größte Flüchtlingskatastrophe der Geschichte abspielt, hat es die Regierung irgendwie geschafft, es klingen zu lassen, als seien wir die mit den Problemen. Um diesen Kontinent ein bisschen humaner erschienen zu lassen, brauchen wir viele Dinge, aber eines brauchen wir ganz sicher nicht: einen Zaun.«