Klaus Farin über die Südtiroler Band Frei.Wild

Unverkrampfte Wurzeldenker

Der Autor Klaus Farin versucht in der Bandbiographie »Frei.Wild. Südtirols konservative Antifaschisten« die umstrittenen Musiker zu rehabilitieren. Zu Unrecht.

Musik ist ein Seismograph der Gesellschaft«, schreibt Klaus Farin, ehemaliger Leiter des Berliner Archivs der Jugendkulturen, in seinem jüngsten Buch. Daher dürfe es niemanden verwundern, wenn in den vergangenen zwei Jahrzehnten »im Rock-Universum … verstärkt konservative Facetten durchscheinen«. Diesen neuen Konservatismus repräsentiert die 2001 gegründete, derzeit wohl erfolgreichste Deutschrockband Freiwild. Am Erfolg von Freiwild lässt sich also viel über den gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft ablesen, über die Sehnsucht nach Heimat und Patriotismus, über die Forderungen nach einem unverkrampften Umgang mit der deutschen Vergangenheit und einem Schlussstrich unter die Geschichte, über Geschlechterverhältnisse und Männlichkeit und dergleichen mehr.
»Ich vertrete die Position, dass die Band Freiwild nicht das Problem ist, sondern ein Symptom für ein Problem, den ›Rassismus der Mitte‹«, beschreibt der Musikwissenschaftler Thorsten Hindrichs im Gespräch mit der Jungle World die Problematik der Band, »auch wenn das die Band, beziehungsweise die Äußerungen ihrer Einstellungen, nicht besser macht.«
Hindrichs kommt in Farins Buch als Experte zu Wort, daneben wurden über 4 000 Fans mittels Fragebogen zur Bedeutung der Band, den eigenen Wertvorstellungen und dem Verhältnis zur rechten Szene befragt, zudem wurde den vier Bandmitgliedern Philipp Burger, Jochen Gargitter, Christian Forer und Jonas Notdurfter in umfangreichen Einzelinterviews viel Raum zur Selbstdarstellung gegeben. Ergänzt um Exkurse zur Geschichte Südtirols, zu Deutschrock und dem Heimatbegriff in der Musik sowie um Songtexte und Bandfotos ist viel Stoff versammelt, um das »bedenkliche Signal einer Geisteshaltung« in der Mitte der Gesellschaft, die sich im Aufstieg von Freiwild spiegele, wie es der Filmsoziologe Carsten Heinze im Buch beschreibt, wahrzunehmen.
Doch leider beginnen die Probleme des Buches bereits mit dem Titel: »Freiwild. Südtirols konservative Antifaschisten«. »Das ist ein Schlag ins Gesicht all jener, die sich sinnvoll und konstruktiv mit Antifa-Arbeit beschäftigen«, sagt Hindrichs. Er wirft dem Buch »billigen Populismus« vor, und bereut, dass er sich »zum Teil einer Inszenierung« hat machen lassen, in der sein eigenes Interview gleichberechtigt neben etwa jenem mit Frank Krämer steht, Gitarrist der Rechtsrock-Band Stahlgewitter, der unkommentiert antisemitische und rassistische Aussagen absondert. Freiwild selbst habe den Titel »überraschenderweise gut gefunden«, schreibt Farin im Vorwort. Kein Wunder, inszenieren sich die Musiker doch als Gegner des Faschismus und Opfer des Nationalsozialismus: »Wer die Geschichte Südtirols kennt, weiß, dass Faschismus und Nationalsozialismus und der Pakt zwischen Hitler und Mussolini fast zum Untergang unseres schönen Landes geführt hätten.« So Philipp Burger in einem offenen Brief, in dem er sein kurzes parteipolitisches Intermezzo bei den »Freiheitlichen« 2008 für beendet erklärt – aufgrund der Probleme für die Band, die sein Engagement mit sich brachte. Den Drang, seinen Herkunftsort vor dem Fremden und dem Einfluss der Moderne zu schützen, teilt er weiterhin mit den »Freiheitlichen«: »Sprache, Brauchtum und Glaube sind Werte der Heimat/Ohne sie gehen wir unter, stirbt unser kleines Volk/ … Warum habt ihr das verkommen lassen/Die Wurzel des Landes, wie kann man die hassen?« heißt es im Song »Wahre Werte«.
»Wenn sie heute von ›Heimat‹ sprechen, fehlt der frühere völkische Duktus schon weitgehend und sie definieren Heimat zweifelsfrei inklusive Zuwanderern. Sie haben sich mehrfach empathisch in die Asyldiskussion eingemischt und die Hasskampagnen gegen Flüchtlinge kritisiert«, führt dagegen Farin im Gespräch mit der Jungle World aus.
»Wahre Werte« ist kein Einzelfall, immer wieder finden sich in den Songtexten von Freiwild, deren Gründung fast nahtlos an das Ende der Kaiserjäger anschloss, rechte Diskurse. Songschreiber Philipp Burger formuliert seine Texte jedoch meist uneindeutig und bedeutungsoffen, seine Sehnsucht nach »Heimat« beispielsweise, deren völkisches Verständnis als Abstammungsgemeinschaft zwischen den Zeilen verbleibt: »Edle Schlösser, stolze Burgen und die urigen Städte/Wurden durch die knochenharte Arbeit unserer Väter erbaut/Kurz gesagt, ich dulde keine Kritik/An diesem heiligen Land, das unsere Heimat ist« (»Südtirol«).
Entgegen solcher Songtexte werden Freiwild in Farins Buch konsequent zu missverstandenen »konservativen Antifaschisten« und Rebellen erklärt. Farin schreibt: »In der Tat lässt sich anhand mancher Songzeilen und Interviewaussagen Freiwild als völkische, revisionistische Band darstellen. Verschwörungstheoretisch wird daraus sehr schnell von linker/Antifa-Seite her gefolgert, Freiwild seien wesentlich weiter rechtsaußen orientiert, als sie es öffentlich zugeben, die ›Anweisungen des Managements‹ und der kommerzielle Druck zwängen sie zur Tarnung. Nur gelegentlich würden sie halt klare Botschaften einstreuen, die ihre Gesinnungskameraden schon verstünden. Das ist natürlich Blödsinn. Die Band taktiert nicht in Richtung rechte Szene, ihre Abgrenzung ist ernst gemeint.« Also alles nur ein Missverständnis, eine »Kampagne« von links, gegen die ein Buch »zurückschlagen« muss, wie Farin im Vorwort erklärt?
Bei aller Kritik ist Farin darin zuzustimmen, dass man die Positionierungen, Inszenierungen und Abgrenzungen von Freiwild in Songtexten, Interviews, Videos und Aktionen gegen »Extremismus« sehr genau beobachten muss. Denn Freiwild als Rechtsrock zu etikettieren verkennt die Stoßrichtung der Band, die wesentlich problematischer und gefährlicher ist, als jede Rechtsrockband, die in der Regel ein überschaubares Publikum erreicht. Freiwild spielen in einer anderen Größenordnung, wie Farin darlegt: »Die verkaufte Auflage ihrer bis heute zehn Studio- und fünf Live-Alben liegt bei rund 1 100 000 Exemplaren.« Allein deshalb ist es notwendig geworden, sich mit Freiwild zu beschäftigen, deren Mitgliedern das Potential ihrer politischen Einflussnahme durchaus bewusst ist. Ihr Beharren auf dem Gestus der Missverstandenen und Opfer von »Lügenpresse« und »Gutmenschen« ist ein Ablenkungsmanöver, in dessen Windschatten die Fans mit vermeintlichen Antworten auf Fragen und Probleme der Gegenwart versorgt werden. Zuwanderung: »Kreuze werden aus Schulen entfernt, aus Respekt/Vor den andersgläubigen Kindern/Das ist das Land der Vollidioten/ die denken, Heimatliebe ist gleich Staatsverrat« (»Das Land der Vollidioten«); Identitätssuche: »Wann hört ihr auf, eure Heimat zu hassen/Wenn ihr euch ihrer schämt, dann könnt ihr sie doch verlassen« (»Wahre Werte«); der Umgang Deutschlands mit seiner NS-Vergangenheit: »Sie richten über Menschen, ganze Völker sollen sich hassen/Nur um Geschichte, die noch Kohle bringt, ja nicht ruhen zu lassen/Nach außen Saubermänner, können sie jeden Fehler sehen/Sind selbst die größten Kokser, die zum Kinderstricher gehen« (»Gutmenschen und Moralapostel«).
Diesen Ruf nach einem Schlussstrich und dem gleichzeitigen impliziten Verweis auf Michel Friedmann als Profiteur dieser Geschichte, »die noch Kohle bringt«, leugnet Philipp Burger damit, dass weder der Nationalsozialismus noch Friedmann gemeint gewesen seien. Auch die Kritik an der Textzeile »es gibt den Stempel, keinen Stern mehr«, aus dem Song »Wir reiten in den Untergang« kann Burger nicht verstehen. Von Farin darauf angesprochen, erklärt er: »Was gibt es denn Plakativeres als den Judenstern, wenn man von Ausgrenzung und Verfolgung spricht?! Selbst das Wort Jude darfst du in Deutschland nirgendwo mehr nennen, dabei ist es doch  … ein ganz normales Wort.«
Thorsten Hindrichs nennt Freiwild »rechts­populistisch«, der Poptheoretiker Frank Apunkt Schneider spricht von »strukturellem Rechtsrock« und führt im Gespräch mit der Jungle World dazu aus: »Struktureller Rechtsrock bedient rechte Diskurse und Spielweisen, ohne dabei schon eine geschlossene Rechtsrockideologie zu reproduzieren: Heimat, Identität, kul­turelle Hegemonie einer angeblichen political correctness, Authentizität, antimoderinistisches Rebellentum, Stadionrockismus, eine bestimmte Form der Männlichkeitsdarstellung und so weiter, die rechte Denk- und Empfindungsweisen einüben. Ästhetische Strategien und Themen sind dabei oft Vorstufen beziehungsweise Modifikationen von explizitem Rechtsrock, die mit dem Verweis auf eine ­antinazistische oder ›unpolitische‹ Grundhaltung der Beteiligten legitimiert und auf lange Sicht normalisiert werden.«
Tatsächlich wehren sich Freiwild einerseits dagegen, aufgrund der Vergangenheit des Sängers Philipp Burger in der Naziband Kaiserjäger als Rechtsrock stigmatisiert zu werden: »Wir sind keine Neonazis und keine Anarchisten«, heißt es in »Das Land der Vollidioten«. Gleichzeitig tragen sie die Vergangenheit stolz vor sich her, da sie Burger erst zu dem Mann gemacht habe, der er heute ist: »Heute fragen wir uns/Was wäre sonst aus uns geworden?/Vorzeigebürger oder Gutmensch wie du/trauen wir uns nicht zu/ … Aus uns ist doch noch was geworden/Wir leben noch/ und das besser als ihr« (»Nennt es Zufall, nennt es Plan«).
Burger und Freiwild inszenieren sich als die von der »PC-Meinungspolizei«, »Gutmenschen« und »Moralaposteln« verfolgte Unschuld, als ein »Wir«, das sich gegen einen diffusen Feind zu behaupten hat. Thorsten Hindrichs sagt im Gespräch dazu: »Das ›Ich‹ sehnt sich nach Freiheit, Selbstbestimmung, Treue und so weiter, ›die‹ schränken es aber ein. Bemerkenswert ist dabei, dass für alle möglichen Arten von Einschränkungen immer und ausschließlich irgendwelche ›die‹ verantwortlich gemacht werden, zum Beispiel Arbeitgeber, ›der‹ Staat, ›die‹ Medien, ›Gutmenschen‹, Paragraphenreiter, Verräter, allzu selbstbewusste Frauen und etliche mehr, jedenfalls immer ›andere‹. Das ausnahmslos einzige Lösungsangebot, das in den Songtexten gemacht wird, ist, dass ›ich‹ mich gegen ›die‹ zur Wehr setzen muss.«
Mit diesem Gestus des gesellschaftliche Marginalisierten, der sich gegen ein diffuses Gegenüber zur Wehr setzen muss, rennen Freiwild bei ihren Fans offene Türen ein. Dies wird auch anhand von Aussagen der »Fanstudie« in Farins Buch deutlich. Ein Fan bringt das ganze Elend auf den Punkt: »Mich kotzt es an, nicht mal auf den Tisch hauen zu dürfen, zu sagen, was man denkt. Die scheiß Amis dürfen ihre ›America over all‹-Einstellung ausleben und überall die Flaggen … Machste das als Deutscher: ›Uhh, ein Nazi‹. Freiwild singt mir einfach aus der Seele! Warum soll ich noch Reparationszahlungen an die Juden zahlen? Hab ich damals den Holocaust verantwortet?«
Freiwild sind der Soundtrack für die Lügenpresse-Schreier, die unverkrampften Patrioten und völkischen Wurzeldenker, die heimatliebenden Stehpisser, die Authentizitätshuber und Geschichtsrelativierer. So klingt die neue Mitte.

Klaus Farin: Frei.Wild. Südtirols konservative Antifaschisten. Archiv der Jugendkulturen, Berlin 2015, 400 Seiten, 36 Euro