In Thüringen steigt die Zahl rechter Gewalttaten

Tatmotiv: Rassismus

Auch im rot-rot-grün regierten Thüringen müssen Flüchtlinge unter unwürdigen Bedingungen hausen. Derweil steigt im Herkunftsland des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) die Zahl rechter Gewalttaten weiter an.

Es war Ostersamstag, als eine kleine Gruppe von Flüchtlingen zur Erstaufnahmestelle ins thüringische Eisenberg kam. Eine Bekannte von ihnen war hier erst kürzlich untergekommen. Weil es schon spät war, fragten die Geflüchteten beim Sicherheitsdienst, ob es eine Möglichkeit gebe, in der Erstaufnahmestelle zu übernachten. Das wurde ihnen verweigert. Auf der Suche nach einem Hotel wollten sie vorbeifahrende Autofahrer nach dem Weg fragen. Ein Auto hielt, der Fahrer stieg unvermittelt aus und schlug sofort mit einem Schlagstock auf sie ein. In ihrer Angst flüchteten sie zurück in Richtung Erstaufnahmestelle. Während der Flucht wurde die Gruppe von einem zweiten Auto verfolgt, aus dem immer wieder Feuerwerkskörper in ihre Richtung geworfen wurden. Die Bitte der Flüchtlinge um Hilfe in ihrer Not lehnten die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes ab. Erst nach zwei weiteren Stunden wurde ihnen erlaubt, in den Räumlichkeiten der Security unterzukommen. Um vier Uhr morgens mussten sie diese wieder verlassen.

Die geschilderten Szenen sind kein Einzelfall. »Ezra«, der Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen, zufolge, ist in den ersten sechs Monaten dieses Jahres die Zahl rechter Gewalttaten im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres um 15 Prozent angestiegen, von 34 auf 39 Fälle. In 27 der erfassten Fälle handelt es sich um Körperverletzungsdelikte mit zum Teil schwerwiegenden Folgen für die Betroffenen. Die Zahl dieser Delikte stieg im Vergleich zum ersten Halbjahr 2014 um knapp 40 Prozent. Das häufigste Tatmotiv: Rassismus. Die Opferberatung verweist in ihrer Stellungnahme darauf, dass am Jahresende diese Steigerungsrate noch deutlicher ausfallen könnte, da noch mit Nachmeldungen zu rechnen ist.
Eine Ursache für diese Entwicklung sieht die Beratungsstelle in der seit Ende 2014 zugespitzten Debatte über die Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland. Die Thüringer Ableger der Pegida-Bewegung tragen hasserfüllte Parolen auf die Straße und verbreiten sie in den sozialen Medien. Im Freistaat versuchen verschiedene rechtsextreme Gruppen, Zusammenschlüsse und Parteien, mit diesem Thema »an die bürgerliche Mitte anzudocken«. Dabei geraten zivilgesellschaftliche Unterstützer, Journalisten und Politiker, die sich für Flüchtlinge einsetzen und öffentlich gegen die rassistische Hetze stellen, immer stärker in den Fokus von Neonazis. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum haben sich 2015 die Angriffe auf politisch Aktive fast verdreifacht, von fünf Angriffen auf 14. Dabei finden zahlreiche verbale Angriffe keine Aufnahme in die Statistik. Nur derart schwerwiegende Bedrohungen wie der per Post persönlich an die Landtagsabgeordnete Katharina König (Linkspartei) adressierte Brief mit Morddrohungen oder der Fall einer politisch aktiven Frau, die auf Flyern der NPD immer wieder beleidigt und bedroht sowie mit Namen und Bild identifiziert wird, finden Aufnahme. Den rechten Drohungen und Gewalttaten steht eine zivilgesellschaftliche Gegenwehr entgegen, die für »die Wahrung von Menschenrechten und eine demokratische, humanistische und offene Gesellschaft« eintritt. Vor allem das bürgerliche Engagement für die Neuankömmlinge in Thüringen muss dabei hervorgehoben werden.

Obwohl »Rot-Rot-Grün sich von Anfang an zu einer humanitären Flüchtlingspolitik bekannt« habe, wie der Thüringer Regierungssprecher Alexander Fischer in seinem Blog betont, ist im Freistaat die Unterbringung von Flüchtlingen ähnlich prekär wie in anderen Bundesländern. »Es werden grundlegende Standards nicht mehr eingehalten, von menschenwürdiger Unterbringung und Versorgung der geflüchteten Menschen ganz zu schweigen«, beklagte Martin Arnold vom Thüringer Flüchtlingsrat vor zwei Wochen in einer Pressemitteilung. So drängten sich in der Suhler Erstaufnahmestelle dem Flüchtlingsrat zufolge »ca. 1 800 Kinder, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, Frauen und Männer« in Räumlichkeiten, die nur für 1 200 Menschen ausgelegt seien. Die Zimmer seien erheblich überbelegt. Derzeit sollen nicht einmal mehr vier Quadratmeter Wohnraum pro Person zur Verfügung stehen. Hygienische Standards würden seit längerem nicht mehr eingehalten und die medizinische Versorgung sei »bestenfalls rudimentär«, so Arnold. Wie in Berlin wäre auch in Thüringen ohne die unzähligen freiwilligen Helfer wohl längst eine humanitäre Katastrophe eingetreten. So rief der Suhler Kirchenkreis zu Spenden auf, weil das Landesverwaltungsamt nicht in der Lage war, die Menschen mit ausreichend Decken und Handtüchern zu versorgen. Um diese unerträglichen Zustände zu ändern, fordert der Thüringer Flüchtlingsrat von der Landesregierung, eine »weitere Landesaufnahmestelle zu errichten« und »die Kommunen mit Geldern, Gebäuden, Wohnungen zu unterstützen«. Denn die »Zeit in den Erstaufnahmelagern muss angesichts der drastischen Zustände so kurz wie möglich gehalten werden«. Notquartiere wie Turnhallen lehnt der Rat explizit ab.

Der parteilose Oberbürgermeister von Suhl, Jens Triebel, drohte mit der teilweisen Schließung der Einrichtung, weil die Überfüllung in Kombination mit gravierenden bautechnischen Mängeln zu einem Sicherheitsproblem sowohl für die Flüchtlinge als auch deren Betreuer führen könnte. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linkspartei) räumte bei einem Besuch Ende Juli ein, dass die Situation in der Unterkunft untragbar sei. Die ehemalige Kaserne der DDR-Grenztruppen gehört einem privaten Betreiber und ist vom Land Thüringen gemietet worden. Oberbürgermeister Triebel beklagt, dass der Eigentümer bisher die Forderungen, die Mängel sofort zu beseitigen, nicht erfüllt habe. Die rot-rot-grüne Landesregierung reagierte auf die Situation in den Erstaufnahmestellen kreativ bei der Suche nach neuen Unterkünften. In der Landeshauptstadt Erfurt prüft derzeit die Bürgermeisterin und Sozialdezernentin Tamara Thierbach (Linkspartei) die Unterbringung von Flüchtlingen in einem ehemaligen Bordell. In der Kurstadt Bad Lobenstein kamen Flüchtlinge in einer Polizeiwache unter und in Ohrdruf zogen 150 Flüchtlinge aus der Erstaufnahmestelle Eisenberg auf einen Übungsplatz der Bundeswehr.