Berlin Beatet Bestes

Angst und Schrecken in Maine

Berlin Beatet Bestes. Spezial-Folge 305.

I will sleep with the axe under my bed. But don’t tell Andi«, sagt meine Freundin Liz, bevor wir am letzten Abend in Maine ins Bett gehen. Plötzlich erscheint die kleine Hütte unter den riesigen Pinienbäumen am See wie ein Haus aus einem Stephen-King-Film. Bis zu diesem Abend hatten wir zehn tolle Tage in dem Sommerhaus der Familie meiner Freundin verbracht. Die Eltern von Liz sind die nettesten Menschen der Welt. Ansonsten sind da noch Liz’ Tochter, zwei Katzen und ein Hund, die sich alle prima verstehen. Wir verbringen einen ganzen Nachmittag im Waschsalon und sehen abends eine Doppelvorführung von »Minions« und »Mission: Impossible« im Autokino. Andi versucht mit Liz den Plattenspieler zu reparieren, damit er seine Singles hören kann, die er seit dem ersten Tag unserer Reise stetig akkumuliert.
Der Plattenspieler lässt sich nicht reparieren. Aber es gibt am Sonntag einen Yard Sale, vielleicht finden wir da einen Plattenspieler, sagt Liz. Ich gucke zu Andi – Yard Sale! Ja! Unbedingt! Um kurz vor vier kommen wir endlich zu dem großen Parkplatz mit dem Yard Sale. Der Parkplatz ist leer. Nur zwei popelige Stände mit unbrauchbarem Nippes stehen in einer Ecke. »Zu spät!«, sage ich und kann meine Erleichterung nicht verbergen. Kein Yard Sale, keine staubigen Schallplatten, keine vergilbten Jazzbücher. »Oh, look!«, ruft Liz und zeigt auf ein Schild vor einer riesigen Halle. »More inside« steht da und Andis Augen leuchten. Wir gehen die drei Stufen zum Eingang hoch und ein Mann mit Bart und Cowboyhut kommt uns entgegen. »You have five minutes«, sagt er und ich sehe, wie Andi sich verändert. Wie ein Rennpferd, kurz vor dem Startschuss. Seine Augen zu dünnen Schlitzen verengt. Die Tasche auf den Rücken gedreht, damit er die Hände frei hat, um in den dreckigen Pappkartons nach zerkratzten Singles zu kramen. Fünf Minuten. Für eine Halle, die so groß ist wie der »Kaiser’s« in der Berliner Bergmannstraße. »Ein Glück, nur fünf Minuten«, denke ich. »Oh Gott, nur fünf Minuten«, denkt Andi. In der Halle sitzen fünf ältere Damen auf Campingstühlen. Hier gibt es garantiert einen Plattenspieler für fünf Dollar und ich sehe auch schon die Kartons mit ollen Singles unter einem Tisch stehen. Andi scharrt mit den Hufen. Er will endlich loslegen, aber die Amis sind ja immer so freundlich und erwarten erst mal ein »How are you today?«, vielleicht sogar eine kurze Erklärung, dass wir aus Deutschland sind. Aber eigentlich wollen wir nur unsere fünf Minuten nutzen. Mit einem kurzen »Hello« macht Andi einen Schritt auf den ersten Stand und plötzlich verstummen die Damen in den Campingstühlen. Sie gucken zu uns, lächeln und eine sagt: »Sorry folks, but we are closed.«
Maine ist wirklich super, aber unter der perfekten Familienidylle am See und Lobster im Sonnenuntergang brodeln währenddessen dunkle Familienprobleme, die mich an »Dallas« und »Denver Clan« erinnern. Es geht um Geld und Land, Testamente und einstweilige Verfügungen. Man redet nicht miteinander und trotzdem gibt es täglich Telefonate mit dem schwarzem Schaf der Familie, dem Bruder. Am letzten Abend eskaliert alles nach mehreren hitzigen Telefonaten und der Bruder droht, nach Maine zu kommen. Die Polizei kann angeblich nichts tun, bevor etwas passiert ist, und deshalb schläft meine Freundin mit der Axt unterm Bett und ich an die Wand gequetscht neben Andi. Nachts wache ich auf, weil ich von draußen Geräusche höre und die Hütte angestrahlt wird. Hat nicht gerade jemand Hallo gesagt da draußen? Ich wecke Andi auf, sehe, dass das Licht nur die Außenbeleuchtung der Hütte ist. Wahrscheinlich war jemand nachts auf dem Klo und hat vergessen das Licht auszuschalten. Ich schlafe wieder ein und morgens ist alles wie immer. Kein Bruder, alle sind wohlauf. Bevor wir nach Hudson in New York State aufbrechen, gibt es Pancakes mit Butter und Ahornsirup.