Das aufregende Debütalbum von »Georgia«

Willkommen in meiner Welt

Zwischen Missy Elliott, Kate Tempest und M.I.A. Die 25jährige Multiinstrumentalistin Georgia sorgt mit ihrem Debütalbum für Furore.

The Drum Is Everything« heißt ein Album der britischen Jazz-Pop-Band Carmel, das vor vielen Jahren erschien – Carmel McCourt sang auf dem Album, die so wichtigen und titelgebenden Drums spielte … ja, wer denn eigentlich? Gerry Darby, an den sich wohl kaum jemand erinnert. Dieses Schicksal teilen viele Schlagzeugerinnen und Schlagzeuger, mal abgesehen von einer Handvoll meist männlicher Vertreter, die sich von hinten nach vorne gearbeitet haben, sprich Solokarrieren begannen. Zu ihnen zählen etwa Phil Collins, Bela B. und Chris Imler – genannt in loser Reihenfolge. Weibliche Drum-Stars sind selten, und eigentlich wird immer nur Ex-Prince-Schlagzeugerin Sheila E. als große Vorzeigekünstlerin genannt. Bis jetzt. Denn in diesen Tagen erscheint, ein Jahr nach der sehr wohlwollend aufgenommenen EP »Come In«, das nach dem Namen der Künstlerin benannte Debütalbum der Londoner Schlagzeugerin respektive Multiinstrumentalistin Georgia.
Es hätte auch alles anders kommen können. Um ein Haar wäre Georgia Barnes Profifußballerin geworden. Sie spielte damals für das Frauenteam von Arsenal. Bis schließlich ihr Trainer starb und sie daraufhin das Kicken aufgab. Aber die heute 25jährige hatte noch eine weitere Leidenschaft, das Schlagzeugspielen nämlich, das sie laut eigener Aussage schon im Kleinkindalter quasi instinktiv beherrschte. Später trommelte sie für den britischen Produzenten Kwes, die Band Micachu und fand sich sowohl live als auch im Studio bei der zwischen Musik- und Theaterbühnen wandelnden Kate Tempest wieder. Georgia brachte sich das Schlagzeugspielen zum größten Teil selbst bei, hauptsächlich durch ausgiebiges Youtube-Studium: »Ich habe mir Videos mit weiblichen Drummern angeguckt, Kim Thompson, Stella von Warpaint, Meg White, Cora Coleman-Dunham. Dann habe ich das ausgeweitet auf Jazz-Drummer wie Elvin Jones, Billy Cobham, Omar Hakim oder Philly Joe Jones. Nach und nach begann ich zu verstehen, wie das Instrument zu verschiedenen Zeiten eingesetzt wurde und wie es sich entwickelt hat.«
Musikalisches Verständnis, Interesse und Grundförderung wurden Georgia indes in die Wiege gelegt: Ihr Vater ist Neil Barnes, eine Hälfte des wegweisenden Neunziger-Dub- und Breakbeat-Duos Leftfield, das derzeit mit seinem Album »Alternative Light Source« einen zweiten Frühling erlebt. Zuhause gab es eine riesige Plattensammlung mit Reggae, Industrial, Detroit Chicago House und selbstverständlich auch den Fab Four. »Ich war schon früh fasziniert von Rhythmus, Percussion und Schlagzeug waren das erste, worauf ich bei Musik achtete. Als ich klein war, habe ich oft die Beatles gehört, ich habe mich aber immer nur für Ringo interessiert, nicht für John oder Paul oder George.«
Der Wunsch, selber Musik zu machen, wurde allerdings von anderer Musik entfacht: »Ich war ungefähr elf und saß im Auto meiner Eltern, als ›Get Ur Freak On‹ im Radio lief. Das war das Beste, was ich jemals gehört hatte! Missy brachte einen völlig neuen Ansatz in den HipHop, sie war aggressiv und macho. Und sie kreierte eine eigene Welt um sich herum.« Georgia benannte ihren Hamster nach Missy Elliott und machte sich langsam aber sicher daran, ihre Vision umzusetzen. Vor allem durch Plattenhören, intensiv und obsessiv.
Georgia Barnes’ Wissen über Musik ist enorm, genre- und epochenübergreifend. Als Teenager fühlte sie sich zwei Welten zugehörig: Mit ihren Schulfreundinnen hörte sie die Charts rauf und runter, alles was populär war. The Strokes, White Stripes, Radiohead, Outkast, Britney Spears, Gnarls Barkley, 50 Cent. Zuhause spielte sie Joni Mitchell, Burt Bacharach, Lee Hazelwood, Bob Dylan, Nick Drake, Kraftwerk, Roxy Music, Reggae aus der Sammlung ihres Vaters und selbstverständlich auch Missy Elliott. »Ich wollte das irgendwie trennen: das, was ich mit meinen Freundinnen hörte, und das, wofür ich mich sozusagen privat interessierte. So war ich eben. Und auch heute könnte ich mich niemals für einen einzigen Stil entscheiden.«
In ihrer eigenen Arbeit verheimlicht sie die vielfältigen Einflüsse nicht, ganz im Gegenteil: »Ich versuche immer, bestimmte Soundelemente in meinen Tracks zu reproduzieren. Beats von Timbaland oder The Knife und Fever Ray, die ich alle sehr verehre – ihre Beats sind von den unterschiedlichsten Musiken der Welt beeinflusst, sowas hat mir schon immer gefallen.« Um die Rhythmen der Welt zu begreifen, studierte sie Musik an der Londoner School of Oriental and African Studies.
Auf Georgias Album gibt es das Stück »Kombine«, das auf pakistanischem Qawwali (ein auf den Sufismus zurückgehender Gesangstil) aufbaut. Barnes hörte diese Musik in einem Londoner Taxi und war davon so begeistert, dass ihr der Fahrer schließlich die Kassette schenkte, die sie immer und immer wieder abnudelte, um sich den Rhythmus anzueignen. Andere Songs spielen mit Grime-, Dub-, Ragga-, R ’n’ B- und Jungle-Elementen, also der Musik afrikanischer, indischer und jamaikanischer Einwanderer, die in London mit westlichem Pop verschmolz.
Überhaupt, London: Ihr Geburts- und Wohnort habe seine Spuren auf allen zwölf Songs ihres Debütalbums hinterlassen, sagt Georgia, die aus Nordwestlondon kommt, um genau zu sein. Kein Bericht über Londoner Musikerinnen und Musiker kommt ohne Windrichtungseinteilung aus, und vielleicht ist das zur groben Orientierung auch hilfreich. Südlondon beispielsweise steht für Punk und Ska; Georgia nennt sich aber lieber gleich ein »Schmelztiegel in Person« und bezieht das, klar, vor allem auf die Musik. Die Single »Move Systems« ist so ein Melting-Pot-Track, wie er nur von einer coolen Londonerin stammen kann: Dancehall- und HipHop-Klänge treffen auf balinesische Gamelan-Trommeln und punkigen Riot-Grrrl-Furor – hochenergetisch, beatgetrieben, catchy und mit systemkritischen Lyrics.
Alle Georgia-Tracks bestechen durch unüberhörbaren Pop-Appeal: Wo M.I.A. zu konfus und FKA Twigs zu kleinteilig werden, Beyoncé und Gwen Stefani dagegen allzu glatt und dem Mainstream verhaftet bleiben, arbeitet Georgia die Beats griffig heraus und jongliert souverän mit den Stilen.
Struktur ins Chaos zu bringen ist der Job von Schlagzeugern – Georgias Vater brachte ihr bei, »immer klar und minimal« zu spielen und sorgfältig zu arbeiten. Für die perfektionistische Georgia lag es daher nahe, alle Instrumente auf ihrem Debüt selbst einzuspielen: »Ach, ich hatte das Gefühl, dass nur ich wissen kann, wie ich den Sound hinkriege, den ich wirklich will. Außerdem, wenn man mit anderen im Studio ist, gerät man schnell in Konkurrenzsituationen, das kenne ich schon von meiner Arbeit als Session-Musikerin. Ich habe mich allein sehr wohl gefühlt, nichts wurde komplizierter als nötig und ich konnte tun, was ich für richtig hielt.« Vielleicht hatte Georgia auch keine Lust auf weitere Wettkampfsituationen, weil sie im testosteronbetonten Schlagzeuggewerbe schon genug Erfahrungen mit Sexismus gemacht hat.
»Georgia« ist ein Metropolenalbum geworden und gleichzeitig sehr intim, »a welcome-to-my-world-record«, wie Barnes es nennt. Anders als auf »Everybody Down«, dem gefeierten Album ihrer Freundin Kate Tempest, führt keine distanzhaltende Protagonistin durch ihre Texte. Georgia verarbeitet Privates wie die Scheidung ihrer Eltern in den Balladen »Tell Me About It« und »Heart Wrecking Animal«, oder erzählt von konkreten Personen wie der Dealerin Sheila, die irgendwo am Westway zu finden ist. Georgia liebt die Kombination aus Schönheit und Dunkelheit, »wie bei Fever Ray«, sagt sie. Auf ihrem Debüt führt sie diese Stimmungen auf interessante Weise zusammen, »Georgia« könnte zu einer der Platten des Jahres werden. Georgias Traum? »Einen Track mit Missy Elliott aufnehmen« – klingt machbar. The Drum Is Everything.

Georgia: s/t (Domino/Goodtogo)