Asylrecht ist Menschenrecht

Die Pflicht ruft

Wenn sich jemand von einem Menschenrecht überfordert fühlt, spricht das nicht gegen das Menschenrecht, sondern gegen ihn.

Die Deutschen, so ist derzeit immer wieder zu hören, bestehen auf der Einhaltung von Regeln. Doch das ist nicht ganz richtig. Die Deutschen bestehen darauf, dass andere sich an ihre Regeln halten, während sie sich selbst gerne Debatten darüber gönnen, ob Regeln, zu deren Einhaltung sie sich verpflichtet haben, sie nicht überfordern.
»Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen«, lautet eine solche Regel, 1948 festgeschrieben in Artikel 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Leider fehlt es an Institutionen, die mit schäublescher Strenge über die globale Geltung dieses Menschenrechts wachen. Für das Asylrecht muss man sich im System der Nationalstaaten qualifizieren, und Deutschland stellt besonders strenge Ansprüche.
Als selbstverständlich gilt die Umkehrung der Beweispflicht: Asylsuchende müssen nachweisen, dass sie politische Verfolgung zu befürchten haben. Doch als Säkularist aus Bangladesh oder Pakistan kann man schwerlich zu den Islamisten gehen, um sich die Mordabsicht quittieren zu lassen, und die Polizei wird nicht bestätigen, dass sie den Jihadisten freie Hand zu lassen gedenkt. Berichte etwa von Amnesty International über die Diskriminierung von Roma in den Balkanstaaten zählen wenig. Die Asylgewährung ist daher in vielen Fällen vom in Deutschland seltenen Wohlwollen der Behörden abhängig. Die Ablehnung eines Gesuchs ist kein Beweis dafür, dass es keine Berechtigung hat.
Mit zahlreichen Maßnahmen und Gesetzen wurde das Asylrecht bereits erheblich eingeschränkt, doch die Menschen kommen trotzdem. Viele Deutsche fühlen sich nun schon überfordert, bevor Flüchtlinge in ihrer Umgebung eingetroffen sind. Unermüdlich mahnen Medien und Politiker, das werde bald allen so gehen, wenn nichts geschieht. »Man kann ein Grundrecht auch dadurch zerstören, dass man es überdehnt«, meint etwa Stefan Aust, der als Liberaler gilt. Ein gefährlicher Wertrelativismus, der fast Konsens ist.
Gewiss, Menschenrechte können eine Zumutung darstellen. Auch Ihnen fallen vermutlich schnell ein paar Menschen und Gruppen ein, die Sie am liebsten … Aber eben darin liegt die Bedeutung der Menschenrechte als Minimalstandard im Umgang miteinander. Es gibt sie umsonst und für alle, man muss sie sich nicht verdienen. Das besondere Problem des Asylrechts ist, dass es ein Recht für andere ist. Eine Meinung hat jeder, flüchten muss nicht jeder. Und Empathie hat auch nicht jeder. Daher scheint es nahezuliegen, die Vorteile der Asylgewährung für die Deutschen hervorzuheben, aber auch eine wohlmeinende Fürsprache kann an der Sache vorbeigehen. Ja, Flüchtlinge können uns bereichern. Aber sie müssen es nicht. Die Pflicht, sie aufzunehmen, besteht auch, wenn sie uns ärmer machen. Selbst ein Jihadist, der in einer Unterkunft gewalttätig wird, genießt den Schutz des Asylrechts – und sei es im Gefängnis.
Kanzlerin Angela Merkel hat nun, während sie der CSU und Innenminister Thomas de Mazière die Pflege der rechten Wähler überlässt, die Flüchtlingsversorgung zur Quelle nationalen Stolzes erklärt. Bedenkt man, dass weit ärmere Länder weit größere Herausforderungen zu bewältigen haben, wirkt dieses patriotische Motivationstraining eher peinlich. Schließlich geht es nicht um Sonderleistungen, die man gewähren kann oder auch nicht. Auch die Deutschen müssen lernen, sich an die Regeln zu halten.