Die »Köchin von Durruti« und die Frage, was Anarchisten essen

Kochen für die Revolution

Die legendäre Kolonne von Buenaventura Durruti spielte eine wichtige Rolle im Spanischen Bürgerkrieg. Um den Alltag der Kämpferinnen und Kämpfer, um ihre Träume, ihre Niederlage und um das, was sie täglich zu essen bekamen, geht es in dem Buch »Die Köchin von Durruti«.

Buenaventura Durruti ist kein Nationalheld. Zumindest nicht in Katalonien, wo sich sein Grab auf dem Friedhof von Montjuic in Barcelona befindet. Der Revolutionsromantiker, der dort eine Art Pilgerstätte des Anarchismus erwartet, wird enttäuscht. Wer sich ohne sachkundige Führung oder zumindest gründliche Vorbereitung auf den Weg zum Grab des legendären anarchistischen Truppenführers im Spanischen Bürgerkrieg begibt, ist auf die Hilfe jeder vorbeikommenden Person angewiesen, selbst wenn die Antwort meist lautet: »Durruti? Quí es?« Das liegt aber auch daran, das Montjuic kein gewöhnlicher Friedhof ist, sondern eine kleine, in Felsen eingebettete Stadt.
Wer sich nach der langen Suche nach dem Bereich 13 bis zum südlichen Rand in Richtung Fossar de la Pedrera verfährt, an dessen Eingang der freundliche Blumenverkäufer in seinem blauen LKW sitzt, kann sich glücklich schätzen. Auf die Frage nach Durrutis Grab leuchten seine Augen: »Klar weiß ich, wo er liegt! Ich bin Anarchist!« Eine schwarzrote Fahne des anarchistischen Gewerkschaftsbundes Confederación Nacional del Trabajo (CNT), ein paar vertrocknete Blumen und eine auf Englisch geschriebene Solidaritätspostkarte für einen im Gefängnis sitzenden politischen Aktivisten aus Schweden – »The Berlin Straight Edge/Summer 2015« lautet die Unterschrift – liegen auf einem der drei schwarzen Grabsteine von Durruti, seinem engen Mitstreiter, dem Anarchosyndikalisten Francisco Ascaso, und dem libertären Pädagogen Francisco Ferrer Guardia.
Zum Zeitpunkt seines Todes war Durruti bereits ein Mythos geworden, mit seiner Person werden bis heute nicht nur der Kampf gegen die Faschisten, sondern die Befreiung aller Menschen von Unterdrückung und die soziale Revolution verbunden. Denn darum ging es den spanischen Anarchisten in erster Linie: um die Umwälzung der Gesellschaft. Bereits in den zwanziger Jahren war Durruti gemeinsam mit Ascaso und Juan García Oliver in der Gruppe Los Solidiarios aktiv, die als militanter Arm des anarchosyndikalistischen CNT galt und Sabotageakte gegen Unternehmen und Banküberfälle zur Selbstfinanzierung verübte. Es folgten Jahre des Exils in Europa und Lateinamerika während der Militärdiktatur von Primo de Rivera, der alle anarchistischen Organisationen und Publikationen verbot, so dass die anarchistische Bewegung ihre Aktivitäten nur noch aus dem Untergrund fortsetzen konnte. Nach Ausrufung der Zweiten Spanischen Republik 1931 kehrte Durruti nach Spanien zurück, trat dem Iberischen Anarchistischen Bund (FAI) bei und gründete mit anderen Anarchisten die militante Gruppe Nosotros, die eine entscheidende Rolle bei der Verteidigung Barcelonas vor den Faschisten spielte.
Am Tag von Durrutis Tod, dem 20. November 1936, war er bereits zur Legende geworden. Dabei erlebte er nur die ersten vier Monate des spanischen Bürgerkrieges, der im Juli 1936 mit dem pronunciamiento, dem Putsch der von Francisco Franco geführten Generäle in Spanisch-Marokko begonnen hatte. In dieser kurzen Zeit spielte die von Durruti geführte Kolonne eine wichtige politische und militärische Rolle. Mit mehr als 6 000 Kämpferinnen und Kämpfern aus verschiedenen europäischen Ländern war sie die größte anarchistische Einheit während des Spanischen Bürgerkriegs und wurde zum Symbol des Kampfes für eine befreite, egalitäre Gesellschaft. Viel ist über die Heldentaten Durrutis und seiner Kolonne geschrieben worden, einen »Verband klassenbewusster Idealisten« nannte sie der Schriftsteller Carl Einstein, der ihr angehörte, in einer Gedenkansprache kurz nach dem Tod Durrutis. »Ziel ihrer Aktion ist der Kommunismus, nichts anderes.« In der Kolonne kämpften unter anderem europäische Intellektuelle, darunter viele Frauen, etwa die französische Philosophin Simone Weil, die ihre Erlebnisse 1975 in »Unterdrückung und Freiheit. Politische Schriften« schilderte.
Durruti wurde am 19. November von einer Kugel getroffen. Bis heute ist nicht eindeutig geklärt, ob er von einem Stalinisten ermordet, zufällig getroffen oder ein Opfer von friendly fire wurde. Zur seiner Mythologisierung haben bis heute im Wesentlichen zwei Bücher beigetragen: der dokumentarische Roman »Der kurze Sommer der Anarchie« von Hans Magnus Enzensberger von 1972 und die Biographie »Durruti en la revolución española« von Abel Paz, die zuerst ebenfalls 1972 auf Französisch erschien und erst nach Ende des Franco-Regimes in Spanien veröffentlicht werden durfte.
Zum Rang eines Standardwerkes über den Spanischen Bürgerkrieg wird es das Buch »La cuoca di Durruti« (Die Köchin von Durruti), herausgebracht vom italienischen Verlag Derive Approdi, vermutlich nicht bringen, doch es ist ein bemerkenswertes Tagebuch über den Alltag im Bürgerkrieg, in dem es um Politik und Revolution in Theorie und Praxis geht, und gleichzeitig um etwas Elementares, jedoch gerade in Kriegszeiten keineswegs Banales: die Essenszubereitung für die Kämpferinnen und Kämpfer.
Zuerst 2002 erschienen, ist das Buch 2013 im Sammelband »Cuoche ribelli« (Rebellische Köchinnen«) mit zwei weiteren politischen Kochbüchern neu aufgelegt worden. Von diesen drei Büchern ist bisher nur »Die rote Köchin« auf Deutsch erschienen (Ventil 2005).
Der anonyme Verfasser – alle drei Bücher stammen von ihm – gibt an, das Manuskript im Jahr 1970 in der Buchhandlung des kommunistischen Verlegers Theo Pinkus in Zürich gefunden und durch Dokumente aus den Archiven des Internationalen Instituts für Sozialgeschichte in Amsterdam sowie aus dem Centre International de Recherches sur l’Anarchisme in Marseille ergänzt zu haben. Auch die Rezepte sind etwas angepasst worden, »damit sie sich auch ohne gründliche Kenntnisse des kulinarischen Diskurses realisierbar sind«, liest man im Vorwort.
Die Frau, die hier als Köchin der Kolonne in den Jahren 1932 bis 1939 schreibt, ist eine junge Medizinstudentin, Kampfname: Nadine. Ihr Tagebuch liest sich wie ein Menü. Jedes Kapitel trägt den Namen eines Gerichts, zuerst die Entrées, dann die Hauptgerichte und schließlich die Desserts. Nadine erzählt vom Traum einer befreiten Gesellschaft, vom Gestank des Krieges und von der Freude über jede Mahlzeit, die sie abends mit den nicht gefallenen Genossinnen und Genossen teilen kann. Von den Knoblauchgarnelen, die sie als Festspeise zubereitet, nachdem die Nachricht angekommen ist, dass der französische Front Populaire die Kolonne unterstützt, über die Schinkenkroketten, die den Hunger nach einer Schießübung stillen müssen, bis zur Coca mit Spinat, einem Fladenbrot, das sie gemeinsam mit ihrem Geliebten zubereitet, während sie sich mit ihm über den Anarchismus austauscht – Nadine erzählt all dies mit einer fast naiven Leichtigkeit und gleichzeitig mit dem Bewusstsein der unvermeidlichen Niederlage, des Scheiterns des revolutionären Traums. Etwa das Gericht, das sie am Tag von Durrutis Beisetzung in Barcelona kocht: »Mit Durrutis Tod sind die Hoffnungen einer libertären Revolution in Spanien gestorben«, schreibt Nadine, »ich sehe noch die Leute, seine Leute, vor mir, die verzweifelt, hemmungslos weinen, nach Rache rufen und vom Tod auf dem Schlachtfeld träumen. Heute gibt es Hirschbraten.«
Das letzte Rezept stammt aus dem Dezember 1938, der Krieg ist so gut wie verloren: »Wir gingen zum Angriff, singend im duftenden Sommerwind, jetzt schauen wir machtlos zu, wie das Ende naht. (…) Weihnachten steht vor der Tür, und wir haben beschlossen, Eierkuchen zu machen. Es ist das letzte Mal, dass wir sie in die Schulen liefern, viele von uns rühren den Teig mit Tränen. Morgen wird unsere Mission aus Blut und Hoffnung bestehen, heute machen wir uns die Hände mit Zucker und Mehl, mit Zimt und Liebe schmutzig.« Ihre Mission wird die Flucht sein, nach Frankreich vielleicht, mit den überlebenden happy few, die sich zum letzten Mal Essen und eine Flasche Wein teilen.

Anonym: »La cuoca di Durruti. La cucina spagnola al tempo della guerra civile. Ricette e ricordi«, Derive Approdi, Rom 2002, in: »Cuoche ribelli«, Derive Approdi, Rom 2013
www.deriveapprodi.org