Besuch beim ersten kurdischen Kinderkanal im Nordirak

Kurdisch-TV für Kinder

Ein Besuch bei Zaro TV, dem ersten kurdischen Kindersender im Nordirak, zeigt, wie schwierig es ist, ein wenig Normalität im Alltag vieler Familien in dieser Region zu etablieren. Und wie das dann doch geht.

Einen Kinderkanal auf Kurdisch, das hat es im Nord­irak noch nie gegeben. Der staatliche Kindersender Zaro TV mit Sitz in Erbil, der Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan im Irak (KRG), ist ein Novum. »Zaro«, das bedeutet auf Kurdisch Kind. Den Sender beschreibt der Programmdirektor Ako Sirini als eine Herausforderung auf dem nahöstlichen Fernsehmarkt und eine Investition in die künftigen Generationen. »Im Jahr 2007 haben wir über die erfolgreichsten Kinderkanäle im türkisch- und arabischsprachigen Raum recherchiert und waren erstaunt darüber, welchen Einfluss die türkischen und arabischen Fernsehsender auf kurdische Kinder haben.« Ähnlich wie bei ägyptischen oder türkischen Seifenopern, die ganze Familien im Nahen Osten an den Bildschirm fesseln, prägen die arabischen und türkischen Unterhaltungsprogramme die kurdische Gesellschaft, dazu gehört eben auch das Fernsehprogramm für Kinder. Man habe daher das Angebot erweitern wollen, mit besonderem Blick auf die eigene Sprache und Kultur, erklärt Sirini.
Im Irak unter Saddam Hussein war es den Kurden verboten, ihre Sprache zu sprechen, es gab keinen Kurdischunterricht an Schulen und kaum kurdische Literatur, Kurden mussten Arabisch sprechen und schreiben. Zaro TV ist zum Symbol der neuen Möglichkeiten der jüngeren Generation geworden, für Freiheiten, die der kurdischen Bevölkerung lange verwehrt wurden. Insofern seien die Entstehung und der Erfolg von Zaro TV auch ein politisches Signal, meint Sirini. Im Jahr 2013 wurde der Sender von einer Gruppe von Künstlern und Filmemachern, die aus dem Exil in den Nordirak zurückgekommen waren, ins Leben ­gerufen, mit Unterstützung des irakischen Kulturministeriums.

Als staatlicher Kanal versteht sich Zaro TV nicht nur als Anbieter von Unterhaltung, sondern verschreibt sich durchaus einer erzieherischen und pädagogischen Mission. Man wolle Kinder »im Einklang mit nationalen, humanistischen und modernen Standards erziehen, um eine gesunde und konstruktive künftige Generation zu schaffen«; man wolle »die Kinder vor Fernsehsendern schützen, auf denen rassistische und fundamentalistische Inhalte verbreitet werden, die nicht unserer Kultur und unserem nationalen Interesse entsprechen«. So steht es in der Declaration of Intent auf der Website des Senders. Außerdem sei die Sensibilisierung für die »Gleichstellung der Geschlechter« wichtig für die Entwicklung einer gerechten Gesellschaft.
Beim kurdischen Kinderkanal sind die Kinder selbst Protagonisten. Sie moderieren die Sendungen, das Casting für die jungen Moderatorinnen und Moderatoren ist immer offen. Das Angebot ist nach Alter diversifiziert, gesendet wird derzeit dreieinhalb Stunden am Tag. Zeichentrickfilme sind nur ein Teil des Programms, das Highlight bei Zaro TV ist eigentlich der Newsroom, aus dem Kinder im Alter zwischen neun und 15 Jahren die wichtigsten Ereignisse und Nachrichten des Tages in einer Sprache erklären, die auch von den Kleinsten verstanden werden soll. Weitere pädagogische Aufgaben werden von Figuren wie dem »Gärtner« übernommen, der auf lustige Weise Kinder motivieren soll, Obst und Gemüse zu essen. In der Sendung »Als ich ein Kind war« werden kurdische Politiker, Schriftsteller und Schauspieler interviewt, die aus ihrer Kindheit und Jugend erzählen und dabei oft politische Themen aufgreifen.
Die Graphik und das Logo des Senders wurden vom syrischen Künstler Abdulraheem Younis entworfen. »Als er in mein Büro kam, um seine Bewerbung persönlich vorbeizubringen, war er gerade aus Syrien geflüchtet«, erinnert sich Sirini. »Ich habe ihm erzählt, was wir uns vorstellen, und er kam zwei Tage später mit seinen Zeichnungen. Wir waren beigeistert, wir wussten, wir haben die richtige Person gefunden.« Und so war es tatsächlich, die kleineren Kinder lieben Younis’ Animationen sowie die Soundtracks der Zeichentrickfilme, die alle eigens komponiert wurden.
Welchen Anforderungen soll ein Kind genügen, um Teil des Teams von Zaro TV zu werden? »Exakt denselben wie ein erwachsener Moderator«, lacht Sirini, »sie dürfen keine Angst vor der Kamera haben, müssen ihre Emotionen unter Kontrolle halten und wenn sie in der Lage sind, sich ein bisschen zu inszenieren, kann das nicht schaden. Aber das lernt man schnell, wenn man mit einem Mikrophon in der Hand vor der Kamera steht.« Die Kinderreporter werden auch mit der Kamera bei der Berichterstattung begleitet, etwa wenn sie die Arbeit der Feuerwehr dokumentieren, oder wenn sie den Verkehrspolizisten auf den chaotischen Straßen von Erbil souverän begleiten. Alle Sendungen werden in den zwei kurdischen Hauptdialekten ausgestrahlt, »damit wollen wir ganz Kurdistan erreichen«, sagt Sirini, also die Kurden im Irak, Syrien und der Türkei.

Bis zum Sommer 2014 waren die Arbeitsbedingungen bei Zaro TV ganz gut. Die Techniker und das TV-Team bekamen regelmäßig Ausbildungen, sowohl im graphischen Bereich als auch in der Gestaltung des Programms, die speziell von deutschen und französischen Medienexperten entwickelt wurden. Die Angestellten haben dort gerne gearbeitet, auch wenn die Löhne sehr niedrig waren und immer sehr spät ausgezahlt wurden. Zuständig dafür ist die Zentralregierung in Bagdad. Jedoch hat sich die Lage verschlechtert, nachdem der »Islamische Staat« (IS) im Juni 2014 die Stadt Mossul eroberte und sich im Irak immer mehr etablierte. Der IS hat wichtige Städte unter seine Kontrolle gebracht, Banken, Ölraffinierien, und die Gewalt, die von ihm ausgeht, ist Teil des Alltags vieler Menschen ethnischer und religiöser Zugehörigkeit alltäglich geworden, auch unabhängig von Benzin, Wasser und Elektrizität werden knapp, und weil das nationale Budget vor allem die militärischen Ausgaben decken soll, geraten alle anderen Bereiche, die von der Regierung in Bagdad finanziert werden, ins Hintertreffen. Besonders betroffen ist die Kultur. Gemäß der Verfassung stehen der Kurdischen Autonomieregion 17 Prozent des nationalen irakischen Haushalts zu. Im Gegenzug verpflichtete sich die KRG in einem 2014 geschlossenen Vertrag, die irakische Regierung an Ölverkäufen ins Ausland zu beteiligen. Aber seit Juni 2014 befindet sich die irakische Wirtschaft in einer schweren Krise. Die Regionalregierung hat außerdem eigenmächtig Abkommen mit der Türkei unterzeichnet, was die Beziehungen zur irakischen Zentralregierung verschlechtert hat. Seit April 2015 verkauft die KRG Öl auf eigene Rechnung an die Türkei, ohne die Regierung in Bagdad an den Einnahmen zu beteiligen, wie die irakische Verfassung es eigentlich vorsieht.
Einige Jahren lang hatte sich die Autonome Kurdenregion über einen Wirtschaftsaufschwung freuen können. Der Krieg gegen den IS ließ jedoch die Konjunktur einbrechen. Trotz finanzieller Unsicherheit und der politischen Instabilität blicken die Menschen, die bei Zaro TV arbeiten, optimistisch in die Zukunft. »Jetzt können wir endlich unser Öl verkaufen«, sagt etwa der Verantwortlich für die Presseabteilung bei Zaro TV, Ary Siamand, »hoffentlich wird sich diese Situation in nächster Zeit entschärfen und die Wirtschaft wieder in Schwung kommen.«
Positive Signale gibt es allerdings derzeit kaum. Der Alltag vieler Leute ist von Schwierigkeiten geprägt. Was noch vor einigen Jahren möglich war, wie etwa der Restaurantbesuch, ist jetzt für viele zum Luxus geworden. Nach Ende des Ramadan wird die Stimmung zwar etwas lockerer, aber es ist nicht nur die Wirtschaft, die der kurdischen Autonomieregion Probleme macht. Es droht auch eine innenpolitische Krise. In deren Mittelpunkt steht Regionalpräsident Masud Barzani, der Vorsitzende der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP), der noch immer im Amt ist, obwohl sein zweites Mandat bereits 2013 abgelaufen ist.
Die Patriotische Union Kurdistans (PUK) unter der Führung des ehemaligen irakischen Staatspräsidenten Jalal Talabani und Goran, die oppositionelle Bewegung, die 2009 von Dissidenten der PUK in Suleymaniah gegründet worden war, zählen zu den wichtigsten Gegnern Barzanis und wünschen sich eine radikale Änderung. »Diese Region befindet sich in einem juristischen Vakuum, aus dem wir schleunigst heraus müssen«, sagte Barzo Majid, ein Abgeordneter von Goran, im Sommer, »ansonsten sollte der Parlamentssprecher Yussuf Mohammed ad interim das Amt (des Regionalpräsidenten, Anm. d. Red.)übernehmen und Neuwahlen ansetzen.« Diese Option wurde von der KDP abgelehnt. Im Grunde geht es um die Frage, ob Kurdistan eine parlamentarische oder präsidiale Demokratie werden soll.
Zu all dem kommen die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Region hinzu: An den südlichen Grenzen der kurdischen Autonomieregion steht der IS, die türkische Luftwaffe flog in den vergangenen Monaten Angriffe gegen die kurdische PKK. Mittlerweile leben leben fast zwei Millionen Flüchtlinge aus Syrien und irakische Binnenflüchtlinge in der Region, die selbst nur knapp sechs Millionen Einwohner zählt – eine gewaltige Belastung. In den nordirakischen Flüchtlingscamps sind staatliche wie private Hilfsorganisationen mit der Versorgung der Flüchtlinge beschäftigt.

Im Büro des TV-Managers Halgurd Jundiany ist der überdimensionale Fernseher immer angeschaltet. Die Angestellten kommen und gehen, einige haben ihre Kinder mitgebracht, Journalisten warten auf einen Interview-Termin mit dem Generaldirektor. Mr. Jundiany, wie ihn hier alle nennen, ist ein gefragter Mann, aber er findet Zeit für alle. Er hört geduldig zu, redet viel und kann so gut zeichnen, dass einige seiner Werke vom UNHCR, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, gekauft wurden. Gemeinsam mit dem UNHCR hat Zaro TV eine Sammlung von Spielzeug für die Flüchtlingskinder im Nordirak organisiert. »Wir wollten etwas für die Kleinsten tun, diejenigen, die zu sechst mit einem einzigen Spielzeug spielen«, und so wurde im Herbst die Initiative »My toy, your smile« ins Leben gerufen, »weil die Kinder unschuldige Opfer von Krieg und Gewalt sind. Wir Kurden wissen sehr genau, wie es sich für die Kinder anfühlt, auf der Flucht zu sein, auch weil man in dem Alter die Dimen­sion des Ganzen nicht begreift«, sagt Jundiany. »Viele Generationen von Kurden haben diese ­Erfahrung hinter sich: Während des Iran-Irak-Kriegs sowie unter der Herrschaft von Saddam Hussein war die Flucht für viele Kurden die ein­zige Überlebensstrategie.«
In zehn Städten in der Region wird das Spielzeug in Bussen und Zelten gesammelt, wo Kinder aus wohlhabenderen Familien ihre alten Spielsachen abgeben. Verteilt werden sie dann in den Camps Basirma, Darashakran und Qushtapa im Gouvernement Erbil.
Zaro TV dokumentiert die Spendenaktion und hat Kinderreporter zu den Sammelstellen geschickt. Einige ältere Kinder kommen mit einer Tasche voller Spielsachen in der einen Hand und der kurdischen Fahne in der anderen und erzählen vor der Kamera, warum sie sich an der Aktion beteiligen. Die meisten sind aber jünger und schüchtern, sie kommen mit ihren Eltern und scheuen sich vor dem großen Mikrophon, das ihnen vor die Nase gesetzt wird. Alle, Kinder wie Erwachsene, sind sichtlich stolz, sich engagieren zu können. Amin, der Koordinator des Projekts für Zaro TV, bestätigt das. »Ich habe tagelang mit den Kindern gesprochen und Spielzeug sortiert: Fußbälle, Plüschtiere, Spielautos und Puppen, am Ende hatten wir fast 4 000 Spielzeuge«, sagt er. »Aber die Kampagne könnte viel mehr erreichen, wenn sie von Organisationen aus dem Ausland unterstützt würde.«