Die Arbeitsbedingungen auf Ananas-Plantagen in Costa Rica

Die giftige Seite der Ananas

Costa Rica investiert in den Umweltschutz, der Ökotourismus blüht. Die Realität auf den Ananas- und Bananenplantagen sieht allerdings weniger idyllisch aus. Nicht nur werden Arbeiterinnen und Arbeiter mit allen Mitteln davon abgehalten, sich gewerkschaftlich zu organisieren, auch in Europa verbotene Pestizide werden in großen Mengen eingesetzt.

Eine leichte Brise streicht durch die harten, dunkelgrünen Blätter der Ananaspflanzen. In langen Reihen, dicht an dicht, stehen die Pflanzen und bei den allermeisten ist der Blütenstand schon zu sehen, der sich später zur Frucht ausbildet. Das große, weitläufige Feld, durch Wege und Wasserkanäle unterteilt, befindet sich schräg gegenüber vom Haupteingang der Plantage »Piña Fruit«. Die Plantage gehört zum Grupo Acón und ist mit rund 2 000 Hektar Anbaufläche die größte in der zona atlántica. Die erstreckt sich nahezu über die gesamte Karibik-Küste Costa Ricas und ist die zweitwichtigste Anbauregion für die süßen Früchte.
Grupo Acón hat hier Macht. »Er ist der größte Produzent des Landes«, sagt Didier Leiton, der Generalsekretär der Gewerkschaft der Plantagenarbeiter Costa Ricas, Sitrap. »Acón beliefert Supermarktketten wie Wal Mart oder Tesco und rangiert noch vor Dole, Del Monte und Fyffes«, erzählt der stämmige Mann von Ende 40, der regelmäßig in der Region rund um die Provinzstadt Siquirres unterwegs ist. Dort befindet sich der Sitz der Gewerkschaft und es vergeht kaum ein Tag, an dem Leiton und seine vier Mitarbeiter nicht dort sind, um mit den organisierten Kollegen zu sprechen. 17 von ihnen gibt es auf der Plantage von Piña Fruit. angesichts von rund 600 Menschen, die hier arbeiten, nicht gerade viel. »Vor fünf Jahren, im Sommer 2010, gab es 90 orga­nisierte Arbeiter. Dann wurden wir unter Druck gesetzt. Mehrere von uns, darunter ich, wurden entlassen, weil wir für unsere Gewerkschaft eintraten«, sagt Pedro López, der am Rande des Ananasfeldes steht. Er hat sich den Vormittag freigenommen, um zu erzählen, wie es ihm bei Piña Fruit ergangen ist. »Nachdem ich bei der Sitrap eingetreten war und die ersten Kollegen meinem Beispiel gefolgt sind, haben uns die Bosse von Acón gesagt, dass Gewerkschaften sehr gewaltbereit wären, dass sie höhere Löhne fordern und die Unternehmen in die Pleite treiben«, so López und wischt sich den Schweiß von der Stirn.
Es ist heiß, obwohl die Sonne von Wolken verdeckt ist; ein Traktor fährt im Hintergrund über das Feld und versprüht Chemikalien aus einem Tankwagen. Die Bedingungen auf den Feldern sind hart für die Arbeiter. Längst nicht alle verfügen über Schutzmasken und Overalls, die gegen die scharfen Blätter und die spitze Krone der Ananas schützen, sie tragen nur langärmelige T-Shirts und meist eine Baseballkappe gegen die oft gleißende Sonne. Der 46jährige Pedro López ist ein kräftiger Mann, der leise spricht und etwas an­gespannt wirkt, weil er es nicht gewohnt ist, Interviews gegenüber vom Eingangstor seines ­Arbeitgebers zu führen. Der habe sogar Filme über blutige Arbeitskonflikte zeigen lassen, um die organisierten Arbeiter zum Austritt aus der Gewerkschaft zu bewegen. Das habe einige Kollegen verunsichert, doch erst als die ersten Gewerkschaftsmitglieder entlassen wurden, darunter Pedro López, bröckelte die Zahl der Unterstützer. »Vor einem Jahr gab es auf dieser Plantage nur noch sechs organisierte Arbeiter«, ergänzt Leiton, der sich mittlerweile neben López postiert hat. Seine Hartnäckigkeit könnte sich für die Gewerkschaft in steigenden Mitgliederzahlen auszahlen, denn er hat sich schließlich entschieden, gegen seine Entlassung zu klagen, und es darauf ankommen lassen.
Das ist leichter gesagt als getan, denn bis zu acht Jahre lang dauert ein Arbeitsrechtsprozess in Costa Rica. »Es war hart, während dieser Zeit meine Familie zu ernähren, denn Jobs für entlassene Gewerkschafter gibt es kaum«, erzählt López, der aus Nicaragua stammt und seit rund 20 Jahren auf den Plantagen im ökonomisch deutlich stärkeren Costa Rica schuftet. Fünf Jahre hat der Vater zweier Kinder die Zähne zusammengebissen, hat dem Anwalt vertraut, der seinen Fall durch alle Instanzen begleitet hat, bis die Richter im Frühjahr dieses Jahres entschieden, dass seine Entlassung durch Piña Fruit rechtswidrig sei. Den Lohn für fünf Jahre musste der Betrieb nachzahlen und den ruhig auftretenden Mann wiedereinstellen. Ein Erfolg für die Gewerkschaft, so Leiton: »Uns geht es darum, gewerkschaftliche Grundrechte durchzusetzen, denn in Costa Rica wird seit Jahrzehnten mit unfairen Mitteln gegen die Gewerkschaften und ihre Mitglieder vorgegangen.« Leiton stand früher selbst auf den Plantagen und ist sich sicher, dass Urteile wie das gegen Piña Fruit die Unternehmen auf Dauer zum Umdenken zwingen werden.
Bei den Arbeitern verbreiten sich derartige Erfolge wie ein Lauffeuer. Kaum einer der 600 Arbeiter bei Piña Fruit hätte erwartet, dass López wieder zurückkommen würde. »Seitdem sind zwar ein paar Kollegen bei der Sitrap eingetreten, aber wir werden weiterhin systematisch diskriminiert«, ärgert er sich. Die Vorarbeiter würden oft die mieseste Arbeit an organisierte Arbeiter vergeben. Das geht allerdings nur, wenn die Zahl der Organisierten gering bleibt und das hofft die Sitrap zu ändern.

Verhältnisse wie auf der Plantage Piña Fruit seien nichts Ungewöhnliches in Costa Rica, berichtet Ramón Barrantes. Er ist Sekretär der im Norden Costa Ricas aktiven Gewerkschaft Sitagah. Ähnlich wie Didier Leiton versucht er, die Arbeiter im wichtigsten Ananasanbaugebiet um Puerto Viejo de Sarapiquí zu organisieren. Das ist gegen den Willen der Unternehmen alles andere als einfach. So dürfen Leiton und Barrantes die Ananas- und Bananenplantagen in der Regel nicht betreten. Die Unternehmen Acón und die Ananas Export Company (Anexco) gelten den Gewerkschaftern zufolge derzeit als die gewerkschaftsfeindlichsten Unternehmen, gefolgt von den großen drei aus den USA: Dole, Del Monte und Chiquita. Hinter Anexco verbirgt sich der irische Fruchtkonzern Fyffes, der in den vergangenen Jahren stark gewachsen ist. Das Unternehmen aus Dublin rühmt sich damit, der Initiative für ethischen Handel anzugehören. Doch mit der Praxis an Ort und Stelle ist das nicht vereinbar. Schikanen gegen orga­nisierte Arbeiter sind verbreitet und Barrantes muss regelmäßig vor dem Verwaltungsbüro des Unternehmens warten, bis er die Gewerkschaftsbeiträge in Empfang nehmen darf.
Über diese Realitäten informiert Barrantes die Organisationen, die die Kampagne »Make Fruit Fair« ins Leben gerufen haben, ein Aktionsbündnis aus 19 Organisationen aus Produzenten- und Konsumentenländern. In Deutschland gehören Bio-Bananenimporteur Banafair e.V. sowie Oxfam dazu, finanziert wird die Kampagne mit Mitteln der Europäischen Union. Dabei engagieren sich die Mitglieder für die Arbeitsrechte und den Umweltschutz in den Produzentenländern und treten für eine faire und nachhaltige Beschaffung von Bananen und Ananas in den Importländern ein. Dafür werden Konsumenten sensibilisiert, man appelliert an Fruchthandelskonzerne und Supermärkte und unterrichtet Parlamentarier. Das begrüßen Gewerkschaften in Costa Rica. »Wir brauchen die internationale Aufmerksamkeit und Unterstützung, denn Prozesse wie jener von Pedro López sind extrem aufwendig. Sie dauern im Schnitt zwischen fünf und acht Jahren«, sagt Didier Leiton und Kollege Barrantes pflichtet ihm bei.
Um diese Realität scheren sich die großen Supermarktketten in aller Regel nicht. Das soll sich ändern. Denn längst seien die großen Supermarktketten wie Edeka, Rewe, Aldi und Lidl auf dem Obstmarkt aktiv, drückten hier die Preise, schalteten da den Zwischenhandel aus und orderten immer öfter direkt beim Produzenten, sagt Helge Fischer, Bananenexperte von Banafair mit Sitz in Managua.

Für die Arbeiter verschärfen sich mit dem Wandel in den Handelsstrukturen oft die Arbeitsbedingungen, wie die Marktanalyse der britischen Fair Trade Organisation Bananalink zeigt. Demnach entfallen rund 41 Prozent des Endverkaufspreises jeder Ananas auf die Supermärkte, während bei den Arbeitern und Arbeiterinnen nur vier Prozent bleiben. Die Marge der Plantagenbesitzer beläuft sich hingegen auf rund 17 Prozent, während 38 Prozent des Verkaufspreises jeder Frucht in den Transport, die Importzölle und andere Abgaben fließen, so die Ergebnisse der britischen Fair-Trade-Experten. Diese haben ähnliche Analysen für den Bananenmarkt erstellt, auf dem Costa Rica nur ein kleiner Player ist. Beim Ana­nas­export ist das mittelamerikanische Land hingegen die Nummer eins auf dem Weltmarkt. 2014 wurden mit dem Export der süßen Früchte 865 Millionen US-Dollar eingenommen, vermeldete der Branchenverband der Ananasproduzenten und -exporteure (Canapep).
Warum die Arbeiter mit gerade mal 460 Euro im Monat nach Hause gehe, obwohl alle in der Kette gut verdienen, ist für Pedro López nicht nachvollziehbar. »Es geht uns nicht um astronomische Lohnzuschläge, sondern um faire Bedingungen und einen permanenten Dialog«, betont er. Forderungen, die viele unorganisierte Arbeiter auf den Plantagen teilen. So haben an diesem Tag zwei Arbeiter gegenüber Didier Leiton Interesse angemeldet einzutreten. Sie kamen an dem weitläufigen Feld von Piña Fruit vorbei und sahen, wie Pedro López das Interview gab.
López geht es jedoch nicht nur um faire Löhne, sondern auch um adäquate Arbeitsbedingungen. »Auf dem Feld hinter mir wurde gerade wieder Diuron ausgebracht, und immer wenn wir im Anschluss auf so einem Feld arbeiten, haben wir mit Hautreizungen und tränenden Augen zu kämpfen«, sagt er und beobachtet wie ein weißer Pick-up auf den Platz vor dem Feld auffährt. »Ihr müsst es anmelden, wenn ihr außerhalb der Arbeitszeit auf die Felder geht«, ruft ein Mann in barschem Ton und fährt langsam vorbei. »Der gehört zur Leitung der Plantage«, sagt López, weist den Weg auf ein paar Bäume vor dem Feld und fährt fort: »Hier wird im Abstand von wenigen Wochen gesprüht und letztlich haben wir keine Ahnung, wie gefährlich die Chemikalien sind.« Neben Bromacil, das als krebserregend gilt und in Europa zu den verbotenen Pestiziden gehört, seien Diuron und Triadimefon in Costa Rica in großen Mengen im Einsatz, so der holländische Toxikologe Clemens Ruepert, der am Forschungsinstitut Iret der Nationaluniversität von Costa Rica arbeitet und in der Region von Siquirres mehrfach Proben genommen hat.
Immer wieder auch in dem kleinen Dorf Milano, das an drei Ananasplantagen angrenzt und wo seit acht Jahren die lokale Bevölkerung mit Trinkwasser aus dem Tankwagen versorgt werden muss. »Der Grund dafür ist, dass der Río Destierro seit Jahren Rückstände von Schädlingsbekämpfungsmitteln aufweist und niemand den Ursachen auf dem Grund geht«, kritisiert der Wissenschaftler. Vollkommen unstrittig ist, dass Costa Rica beim Einsatz von Pestiziden an der Weltspitze stehe, rund 18 Kilogramm an Pflanzenschutzmitteln würden pro Hektar im Schnitt ausgebracht, so Ruepert. »Ein Riesengeschäft für die einen, ein Fluch für die anderen.«

Gegen die schleichende Kontaminierung des Wassers wehrt sich eine lokale Initiative. Bis zum Inter­amerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte sind die Wasseraktivisten um Xinia Briceño gezogen und haben zumindest einen Teilerfolg erstritten. Nun muss die Regierung von Costa Rica eine Wasserleitung nach Milano verlegen, um die Versorgung mit sauberem Wasser zu garantieren. »Doch warum die lokalen Wasserquellen kontaminiert sind, will niemand untersuchen«, kritisiert Xinia Briceño. »Unten aus dem Río Destierro haben wir früher unser Wasser hochgepumpt und über ein Leitungssystem verteilt. Das wünsche ich mir wieder«, erklärt die streitbare Frau und deutet mit dem Daumen in Richtung der nahegelegenen Farm Babilonia, kurz vor dem Ortseingang von Milano, wo sich die kleinen Farm der Familie Briceño befindet. Eine kleine Allee führt den Hügel zum Wohnhaus hinauf, ­einige Zebu-Rinder grasen links davon zwischen Obstbäumen, rechts davon liegen die Anbauflächen für Yucca und anderen Kulturpflanzen. Von den paar Hektar Anbauflächen und von insgesamt 17 Zebu-Rindern lebt die Familie, deren Felder sich nur ein paar Steinwürfe von der Babilonia-Plantage entfernt befinden.
Die gehört zum US-Konzern Del Monte und ist, so vermutet Briceño, für die Kontaminierung der Wasserquellen der Region verantwortlich. »Ich habe gesehen, wie Geräte für das Versprühen von Pestiziden auf der Straße gereinigt wurden. So fließt das Wasser letztlich in den Fluss«, klagt sie.
Das ist bei Piña Fruit nicht viel anders. »Zudem schwemmen die für Costa Rica durchaus üblichen sintflutartigen Regenfälle den Pestizid-Cocktail aus«, so der Toxikologe Ruepert. Das wissen auch die Arbeiter auf den Plantagen. Doch bisher hat die Regierung vor diesem Sachverhalt die Augen verschlossen. Das könnte sich ändern, denn die Zahl der erfolgreichen Klagen gegen die Geschäftspraktiken im Fruchtsektor Costa Ricas nehmen zu. Pedro López gefiele das. Er hat sich gerade zur Spätschicht umgezogen und wird gleich ausrücken, um Ananas­setzlinge auszubringen.