Frankreich nach den Regionalwahlen

FN bleibt Opposition

In der zweiten Runde der französischen Regionalwahlen konnte der rechtsextreme Front National zwar nirgendwo die Mehrheit erlangen, doch hisichtlich der absoluten Stimmenzahl erzielte er sein bislang bestes Ergebnis.

Zwei Gewinner mit blauem Auge, einen halben Verlierer – ebenfalls mit einem blauen Auge – und einen Verlierer auf der ganzen Linie ließen die französischen Regionalparlamentswahlen an den vergangenen beiden Sonntagen zurück. Die beiden Gewinner sind die regierenden Sozialdemokraten des Parti Socialiste (PS) sowie die rechtsextreme Partei Front National (FN). Bislang stellten der PS und linke Parteien noch in 21 von 22 Verwaltungsregionen (ohne Überseegebiete) die Regierung. Nach der jüngsten Gebietsreform, die am 1. Januar 2016 in Kraft tritt, gibt es nur noch 13 französische Großregionen im Kernland. Der PS konnte bei den Regionalwahlen zwar lediglich in fünf dieser künftigen Regionen eine Mehrheit erlangen, dennoch muss man von einem Erfolg für die französische Regierungspartei sprechen. Denn noch vor wenigen Wochen hätte man ihr, angesichts des Desasters insbesondere ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik und der damaligen Umfragewerte des Präsidenten François Hollande, nicht einen Bruchteil ihrer regionalen Erfolge zugetraut.
Anders verhält es sich mit dem Block der Konservativen und Wirtschaftsliberalen, vertreten vor allem durch Les Républicains (LR) – ehemals UMP – sowie das Bündnis Union des démocrates et indépendants (UDI). Ihr Zusammenschluss wird künftig in sieben der 13 Regionen die Regierung stellen. Die kleinste Region, Korsika, fiel am Sonntag an die korsischen Autonomisten und Inselnationalisten.
In zwei der Regionen, die nunmehr von den Konservativen geführt werden, ging die Wahl am Ende nur sehr knapp zu deren Gunsten aus, ihre Vertreter in der Hauptstadtregion Île-de-France sowie in der Normandie mussten noch bis weit in den Sonntagabend hinein zittern. Problematisch ist aber vor allem, dass es an der Parteispitze viele Konflikte gibt. Ein Anzeichen dafür war, dass der Vorsitzende der Républicains, Nicolas Sarkozy, die Wahlfeier seiner eigenen Partei zu einem sehr frühen Zeitpunkt verließ, als der Ausgang in Île-de-France noch völlig offen war, und sich stattdessen ins Fußballstadion begab. Dies trug ihm sarkastische Kommentare etwa vom ehemaligen Premierminister Jean-Pierre Raffarin (ebenfalls LR) ein. Ein anderer Hinweis auf die Krise ist, dass die frühere Sprecherin Sarkozys im Präsidentschaftswahlkampf, die zum moderaten Flügel der bürgerlichen Rechten zählende ehemalige Umweltministerin Nathalie Kosciusko-Morizet, am Montagmittag von Sarkozy im Eilverfahren aus dem Parteivorstand entfernt wurde. Am Wahlabend hatte sie ihre in der Vorwoche geäußerte Kritik an der Linie Sarkozys wiederholt, die sie ablehnt, weil sie der des FN zu nahe sei.

Sarkozy hatte unter anderem in der Woche vor dem zweiten Wahlgang geäußert, es sei »nicht unmoralisch, für den Front National zu stimmen«, und damit den FN und den PS auf dieselbe Stufe gestellt. Zugleich hatte Sarkozy es vehement abgelehnt, Listen der eigenen Partei nach dem ersten Wahlgang in Regionen zurückzuziehen, in denen die Sozialdemokraten besser platziert waren, um einen Sieg der extremen Rechten in der Stichwahl zu verhindern. Der PS hatte dies in den Schlüsselregionen in Nordost- und Südostfrankreich zugunsten der Konservativen getan, wo der FN im ersten Wahlgang über 40 Prozent der Stimmen erhalten hatte. Sarkozy verweigerte eine derartigen Rückzug, auch wenn er erklärte, er »respektiere« die Entscheidung des PS. Die Widersprüche innerhalb des konservativen Blocks in seiner Haltung zur extremen Rechten brechen nunmehr voll auf.
Dass sich letztlich der PS auf Kosten der Konservativen unerwartet gut halten konnte, liegt am nationalen politischen Kontext. In Zeiten schwerer Terroranschläge, wie sie sich am 13. November in Paris ereigneten, oder außenpolitischer Krisen reagieren viele Wählerinnen und Wähler mit einer Haltung, die man als légitimisme bezeichnet und die den gerade Regierenden den Rücken stärkt. In der Zeit nach den Anschlägen stiegen die Popularitätswerte von Präsident Hollande von zuvor rund 17 auf 50 Prozent Zustimmung. Nach den Anschlägen vom Januar waren sie von 17 nur auf 34 Prozent gestiegen, danach gingen sie wieder zurück. Ein noch klareres Anzeichen für die Haltung des légitimisme ist, dass der deutlichste Wahlsieger aus den Reihen des PS der amtierende Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian ist. Zwar hatte er in der Bretagne, wo er als Spitzenkandidat antrat, keinerlei Wahlkampf an Ort und Stelle betrieben und auch während der Wahlkampagne angekündigt, im Falle seiner Wahl werde er »Vollzeit-Verteidigungsminister« in Paris bleiben. Dennoch erhielt er in der Stichwahl, in der eine relative Mehrheit genügt hätte, da drei Listen antraten, über 51 Prozent der Stimmen.

Der PS hatte im Wahlkampf keinerlei soziale, ökologische oder demokratische Versprechungen gemacht, sondern ihn als Partei des Notstands, der Krisenverwaltung und der militärischen Interventionen bestritten. Um die Republik zu retten, so lautete die Argumentation, verzichtete die Partei dann in der Stichwahl in mehreren Regionen zugunsten der Konservativen auf ein eigenes Antreten. Die Chancen des Front National, dem man nach dem ersten Durchgang in vier bis fünf Regionen gute Aussichten auf die Regierungsübernahme prophezeit hatte, wurden dadurch in der zweiten Runde geschmälert.
Zugleich möchte insbesondere Ministerpräsident Manuel Valls aus der Not auf Dauer eine Tugend machen und eine »republikanische Front« zimmern, in der die Sozialdemokraten am besten aufgehen sollen. Vor der Präsidentschaftswahl 2012, für die er sich vergeblich um die Kandidatur für den PS bemühte, hatte Valls sich noch für eine Umbenennung der Partei stark gemacht, um das Wort »sozialistisch« aus ihrem Namen verschwinden zu lassen. Damit hatte er zwar nur fünf Prozent bei der innerparteilichen Urabstimmung erreicht, an der er als Rechtsaußen innerhalb des PS teilnahm. Derzeit setzt er diesen Kurs jedoch bruchlos fort. In der Wahlnacht am Sonntag setzte der Abgeordnete Julien Dray, der früher zum linken Flügel zählte, aber nun zu den Rechten in der Partei gehört, die Frage einer Umbenennung – also der Entfernung des Adjektivs »sozialistisch« – erneut auf die Tagsordnung.
Zum großen Verlierer der Wahl wurde die politische Linke jenseits der Sozialdemokraten, die mit ihren Themen nicht punkten konnte. Die »Linksfront«, ein Zusammenschluss aus einer linken Abspaltung des PS und der französischen KP sowie kleinerer Gruppen, erhielt im ersten Wahlgang nur 4,1 Prozent der Stimmen. Allerdings trug dazu auch ihre Zerstrittenheit bei, die dazu führte, dass ihre Mitgliedsparteien mal mit-, mal gegeneinander antraten und ein völlig inkohärentes Bild abgaben. Die wichtigste Ursache dafür ist der anhaltende Opportunismus der französischen KP gegenüber den Sozialdemokraten, deren Listen sie in manchen Regionen bereits im ersten Wahlgang direkt unterstützte. Dagegen positioniert sich der Parti de gauche (PG), die Abspaltung vom PS unter Jean-Luc Mélenchon, mal etwas weiter links, mal neostalinistisch und besticht mitunter mit verbalradikalen Formulierungen. Anfang dieser Woche wurde die »Linksfront« eingefroren, womöglich wird sie auseinanderbrechen. Auch die französischen Grünen, die von über zwölf Prozent bei den Regionalwahlen 2010 auf nur noch sechs Prozent absackten, scheinen politisch weitgehend marginalisiert. Es wird damit gerechnet, dass sie keine eigene Kandidatur zur Präsidentschaftswahl 2017 mehr präsentieren.

Es bleibt der Front National, der sich zu den Gewinnern zählen darf, obwohl es ihm nicht gelungen ist, eine Regionalregierung zu übernehmen. Dies wurde durch die Stimmbündnisse der etablierten Parteien in mehreren Regionen verhindert. Das zeigt das alte strategische Problem des FN, der keine Verbündeten findet, mit denen er sich im zweiten Wahlgang zusammenschließen könnte. Dort, wo eine relative Mehrheit nicht ausreicht, sondern eine absolute Mehrheit erforderlich ist – wenn nur zwei Listen in der Stichwahl antreten –, liegt die Hürde für ihn damit sehr hoch. Zwar wurden oder werden mehrere Regionen in Europa von Rechtsextremen mitregiert, wie Kärnten in der Vergangenheit, das Burgenland derzeit oder die Lombardei und Venetien in Norditalien. Doch die betreffenden Parteien, wie die FPÖ und die Lega Nord, erreichten nirgendwo alleine über 50 Prozent, sondern schlossen stets Koalitionen mit etablierten Kräften. Dies lehnt der französische FN bislang ab, vor allem sein wirtschafts- und sozialpolitischer Diskurs ist dem des konservativen Blocks scheinbar entgegengesetzt. Der FN setzt auf soziale Demagogie und Etatismus sowie »Antiglobalismus«, die Konservativen unter Sarkozy auf Wirtschaftsliberalismus und EU-Mitgliedschaft. Allerdings nahm der FN seit dem Frühsommer einige wirtschaftsliberale Änderungen vor.
Der FN bleibt in den Regionen weiterhin in der Opposition, doch hat er künftig insgesamt 358 Sitze in Regionalparlamenten inne. Nicht nur dies ist ein Rekordwert, sondern auch die absolute Zahl der Stimmen: über 6,8 Millionen im zweiten Wahlgang. Bei der Präsidentschaftswahl 2012 stimmten 6,4 Millionen für den FN. Auch weiterhin muss mit der rechtsextremen Partei gerechnet werden.