Selbstjustiz im Namen der Ehre in Freiburg

Selbstjustiz im ­Namen der ­Blutsbande

In Baden-Württemberg wurden ein Vater und sein Sohn wegen Mordes verurteilt. Sie hatten den mutmaßlichen Vergewaltiger ihrer Tochter respektive Schwester getötet, um die »Ehre der Familie« wiederherzustellen.

Anfang vergangener Woche ergingen beim Landgericht Freiburg die Urteile wegen gemeinschaftlichen Mordes gegen Moustapha Y. (48), seinen Sohn Akram Y. (18) und den befreundeten Timo P. (21). Zusammen mit einem vierten Komplizen hatten sie im Juni 2014 den mutmaßlichen Vergewaltiger der Tochter beziehungsweise Schwester, Patrick H., unter Vortäuschung eines Drogendeals in Neuenburg am Rhein (bei Freiburg) in einen Hinterhalt gelockt und im Anschluss mit 23 Messerstichen in Herz, Hals und Rücken getötet.
Gegen alle drei Täter wurden Gefängnisstrafen verhängt. Da Akram Y. zur Tatzeit jedoch erst 17 Jahre alt war, wurde er nach dem Jugendstrafrecht zu acht Jahren verurteilt, sein Vater hingegen zu lebenslanger Haft. Timo P., der das Opfer festhielt, während die beiden Haupttäter ihr blutiges Werk verrichteten, muss für fünf Jahre ins Gefängnis. Der Arrangeur des Treffens kam mit einer Bewährungsstrafe davon.

Die Angeklagten waren prinzipiell geständig, bestritten aber jegliche Tötungsabsicht. Von Reue war bei den beiden Haupttätern während des Prozesses keine Spur zu bemerken. »Ich bin stolz auf meinen Sohn«, habe der Vater dem Richter zufolge nach der Tat zur Polizei gesagt und hinzugefügt: »Die Polizei macht nichts. Wir haben die Sache selbst in die Hand genommen.«
Im Vergleich zum Fall André Bamberskis, der 27 Jahre nach dem Tod seiner Tochter den vermeintlichen Täter 2009 nach Frankreich entführen ließ, wo dieser schließlich rechtmäßig verurteilt wurde, handelt es sich bei dem Neuenburger Fall um eine ganz andere Zeitspanne. Gerade sechs Tage war es her, dass die Familie die Vergewaltigung zur Anzeige gebracht hatte. Daraufhin hatte die Polizei den mutmaßlichen Täter zur Fahndung ausgeschrieben. Die führte nicht sofort zum Erfolg, so dass die Familie selbst aktiv wurde. Über soziale Netzwerke und den Freundeskreis machten sie Patrick H. schließlich ausfindig. Anstatt nun die Polizei einzuschalten und sie über den Aufenthaltsort des Gesuchten zu informieren, bewaffneten sie sich mit Messer, Schlagstock und Elektroschockgerät und zogen los, um ihn eigenhändig zu lynchen. Das Argument, dass es den Tätern nur darum gegangen sei, Patrick H. bei der Polizei auszuliefern, überzeugte das Gericht angesichts des Waffenarsenals nicht.
Dabei hatten die Ermittlungsbehörden sogar fortlaufend darauf hingewiesen, dass die Beweislast gegen Patrick H. nahezu erdrückend und eine Verurteilung somit mehr als nur wahrscheinlich sei – für die Familie hatte dies keine Bedeutung. Die familiäre »Fahndung« war vielmehr von Beginn an als Hetzjagd angelegt. »Er wollte die Ehre der Familie wiederherstellen«, sagte der zuständige Richter über Akram Y. Der Sohn sei für den Mord extra aus dem Italien-Urlaub zurückgekehrt.
In Deutschland werden keine Verfahren gegen Tote geführt. Patrick H. jedoch ist in jeder zweiten Schlagzeile ein Vergewaltiger, der, wenn überhaupt, erst irgendwann im Text selbst sein Recht auf die Bezeichnung als unverurteiltes Mordopfer, für das grundsätzlich die Unschuldsvermutung gilt, erlangt. Der Spiegel ging sogar so weit zu schreiben: »Die Emotionen, die am späten Abend des 12. Juni vergangenen Jahres in der Familie Y. hochkochten, dürften für viele nachvollziehbar sein.« Weiter hieß es in dem im April erschienenen Text: »Wut keimt auf, der Wunsch nach Rache entsteht.«

Es grenzt an emotionale Rechtfertigung von Selbstjustiz im Namen der Blutsbande, auf diese Art einen Artikel zu beginnen. »Da sitzt die eigene Tochter, die eigene Schwester weinend auf einem Polizeirevier in Müllheim im Markgräflerland, im äußersten Südwesten Deutschlands. Das Auge blutunterlaufen, der Rücken voller Hämatome, die Arme mit Kratzern übersät.« Kaum eine sachliche Darstellung oder Argumentation kann solch eine assoziative Effekthascherei noch zurücknehmen.