Einige ­Weihnacht

Es weihnachtet. Auch in den Schulen, sogar in Kreuzberg. Bei der schul­internen Weihnachtsfeier freut sich der vom Kollegium zum Halten einer Rede verdonnerte Lehrer – entscheidendes Auswahlkriterium: redet nicht viel, spricht nicht gerne – erwartungsgemäß knapp über die positiven Entwicklungen an der Schule, über kleine Verbesserungen in der Ausstattung, ein freundlicheres Klima auf dem Schulhof und andere Dinge, für die man dankbar ist, wenn man in der viertgrößten Nationalökonomie weltweit und fast 16 Jahre nach Beginn des 21. Jahrhunderts ohne Internetzugang in einem Gebäude unterrichtet, das mit dem Wort »renovierungsbedürftig« ebenso gut beschrieben ist wie die »Obergrenze« für den Zuzug von Flüchtlingen mit dem Wort »problematisch« – »jenseitig«, »haarsträubend« oder auch »illegal« wäre in beiden Fällen treffender.
Aber gegen Ende des Jahres wollen nun mal alle Kreaturen auf Gottes weiter Erde ein wenig Wärme, Freude und Liebe verspüren, und seien es die geringsten unter ihnen, diejenigen, deren Herzen erloschen sind und durch harte Kohlebrocken ersetzt, in deren Adern statt warmem Blut längst nur noch kalte Tonerflüssigkeit fließt und die mit heiseren Stimmen kein freundliches Wort für sei’s Feind, sei’s Freund mehr finden mögen. Selbst wir, selbst die Lehrerinnen, wollen ein wenig Wärme verspüren zu Weihnachten. Und deswegen lehnen wir uns zurück an diesem Abend und freuen uns über noch so manches: Etwa darüber, dass die Schülervertreterin sich im letzten Gespräch mit der Schulleitung sehr beklagt hat, weil doch der Dezember über unsere Schule kam, die kahl und leer blieb, während in den Häusern ringsum heimelig die Kerzen erglühten, pittoreske kleine Wichtelmänner und schnuckelige Tannenkränze in den Fenstern erschienen, vielfarbig Elektrokerzen blinkten und überhaupt der ganze irre Weihnachtswahn seinen gewohnt kranken Gang nahm. Kein Weihnachtsbaum nirgends, nicht einmal ein ganz kleiner, wehklagte die Gesamtschülervertretung einhellig und forderte sofortige Abhilfe. Das freute uns alle ganz ungemein, denn es ist ja auch ein großartiger Fortschritt: Letztens noch wollten sie unbedingt einen Gebetsraum und zerstritten sich anlässlich der Frage, ob da dann nur Muslime rein dürften und wo denn die muslimischen Mädchen zum Beten hingehen sollten, weil die das ja unmöglich gemeinsam mit den Jungs dort machen könnten. Und jetzt wollen sie, schnallt euch an und haltet euch fest: einen Weihnachtsbaum. Sie wollen Friede, Freude und Eierpunsch, deutsche Gemütlichkeit, Geschenke und Marzipankartoffeln, und keiner fragt, ob da irgendwo Gelatine drin ist wegen der Schweine, toll. Mit geröteten Wangen und warmen Herzen seufzen wir glücklich auf und sinken in die weichen Weihnachtskissen zurück und prosten uns zu: Auf die Aufklärung, auf die Integration!