Weniger Bomben für Syrien

Der Kampf gegen den Terror fällt aus

Eine militärische Strategie gegen den »Islamischen Staat« ist notwendig. Sich allein darauf zu konzentrieren, blendet allerdings die Situation der Menschen in Syrien aus. Das Land braucht nicht mehr Bomben. Eine Analyse in drei Thesen.

Erste These: Eine militärische Strategie gegen den »Islamischen Staat« (IS) ist notwendig.
Was ist verkehrt an der US-Intervention gegen den IS? Etwas über ein Jahr ist es nun her, dass die USA zum ersten Mal überwiegend kurdische Kämpfer am Boden mit Luftangriffen auf Stellungen des IS in Kobanê unterstützten. Zuvor hatte der IS große Gebiete im Irak und in Syrien erobert, er rückte auf die kurdisch geprägten Gebiete im Norden Syriens vor. Ein Massaker ähnlich wie das an den Yeziden in der nordirakischen Stadt Shingal (Sinjar) drohte, Zehntausende flohen aus den Ortschaften rund um Kobanê, Die USA intervenierten faktisch in letzter Minute.
Es gib berechtigte Kritik an der Nahostpolitik der USA, vom Sturz des Präsidenten Mossadegh im Iran 1953 über die Aufrüstung der Mujahedin in Afghanistan bis hin zum Irak-Krieg. Und dass die aggressiven militärischen Interventionen, insbesondere im Irak, dazu beigetragen haben, dass der IS überhaupt erst entstehen konnte, bezweifelt kaum noch jemand, wie auch, dass die Pläne oft kurzsichtig und vor allem von wirtschaftlichen Interessen geprägt waren.
Für die Luftangriffe in Kobanê gegen den IS trifft dies nicht zu. Interveniert wurde dort nicht aufgrund eines großen Plans für den Nahen Osten oder Syrien. Zumindest gibt die Syrien-Politik der USA der vergangenen fünf Jahre hierfür keine Anhaltspunkte. Die militärische Intervention wurde nicht nur wegen der wachsenden Zahl schwarzer Flaggen auf der Landkarte und des damit wachsendenden Sicherheitsinteresses beschlossen, sondern auch aufgrund der verzweifelten Hilferufe, die von den weltweiten Demonstrationen, vor allem aber von der PYD, der syrischen Schwesterpartei der PKK, ausgingen.
Heute, 15 Monate später, sind nicht nur Kobanê, sondern auch große Teile der kurdischen Gebiete im Norden Syriens bis zum Euphrat vom IS befreit, der Wiederaufbau der zerstörten Stadt hat begonnen. Das Zusammenspiel der Truppen der Syrian Democratic Forces (SDF) – einem Zusammenschluss der kurdischen »Volksverteidigungseinheiten« (YPG), Einheiten der Freien Syrischen Armee (FSA) und anderen Gruppierungen – mit der US Air Force scheint zu funktionieren. Es wäre naiv zu glauben, die USA verfolgten hier keinerlei Interesse und hätten nur ihr Herz für Kurden entdeckt. Doch bei allen Problemen einer Intervention von außen, vor allem in Syrien – ohne die Luftangriffe im vergangenen Jahr wäre die Expansion des IS in Syrien und im Irak nicht aufgehalten, wäre der IS nicht geschwächt worden. Die USA haben das Notwendige getan, mit den geeignetsten Partnern, die man derzeit auftreiben kann.

Zweite These: Der Bundeswehreinsatz ist eine nutzlose Billigkopie, die Schaden anrichtet.
Der Himmel wird voll über den Gebieten des IS in Syrien. Neben den USA und Großbritannien ist nun auch Frankreich dabei, Russland fliegt ab und zu einen Angriff, selbst syrische Kampfjets sollen über Raqqa gesichtet worden sein. Bei so vielen UN-Vetomächten in der Luft mag auch Deutschland nicht fehlen und fliegt neuerdings zum Tanken vorbei. Im Unterschied zu den gezielten Luftangriffen der USA gegen den IS verkommt dies zu einer gefährlichen Symbolpolitik. Beispielhaft sind die französischen Luftangriffe auf die Stadt Raqqa. Kurz nach den Anschlägen vom 13. November bombardierte Frankreich die Stadt ohne Plan und vor allem ohne Kooperation mit einem Akteur, der am Boden die Macht hätte übernehmen können. Auch für die anderen Kriegsmächte scheint es von größerer Bedeutung zu sein, die »Terrorhauptstadt des IS« zu bombardieren, als eine Strategie zu verfolgen. Mitarbeiter des Journalistennetzwerks Raqqa is Being Slaughtered Silently – das aus Raqqa heraus Widerstand gegen den IS leistet – beschweren sich bitterlich, dass die Bombenangriffe nicht im Geringsten dazu beitragen, den IS zu besiegen, sondern nur zu mehr Leid in der Stadt führen.
Der IS ist nicht aus der Luft ohne die Hilfe von militärischen Gruppen am Boden besiegbar. Jenseits der von den SDF gehaltenen Gebiete gibt es solche Gruppen, abgesehen von einigen FSA-Strukturen in Aleppo, kaum. So wird eine Intensivierung von Luftangriffen mehr Schaden anrichten, als dass sie hilft.
Nun betritt auch noch Deutschland die Bühne: Jahrelang wurden syrische Gruppierungen mit dem Argument abgespeist, dass ein militärisches Eingreifen in Syrien zu kompliziert sei und die Folgen unberechenbar seien. Jetzt geht plötzlich zum Beweis für die Bündnistreue zu Frankreich alles ganz schnell. In Rekordzeit wird ein Bundeswehreinsatz beschlossen, ohne strategischen Plan, politisch wie militärisch überflüssig. Mit einer Lösung für Syrien oder mit dem Kampf gegen den IS hat dieses Vorgehen nichts zu tun.

Dritte These: Die selektive Bekämpfung des Terrors in Syrien schadet.
Alle geben derzeit vor, in Syrien gegen den Terror zu kämpfen. Doch von welchem Terror ist eigentlich die Rede? Es ist verständlich, dass wir uns – nach den Anschlägen in Frankreich und der Türkei, verstärkt durch die in HD inszenierten apokalyptischen Videos – vor allem vom Terror des IS bedroht fühlen. Und natürlich sind die Massakrierung Andersgläubiger, die Versklavung von Yezidinnen oder die Anschläge in Paris, Ankara und Beirut blanker Terror. Für viele Menschen in Syrien unterscheidet sich dies allerdings nicht vom Handeln des Assad-Regimes: Durch den Einsatz von Fassbomben des syrischen Militärs sterben bis heute deutlich mehr Menschen als durch den IS. Hunger wird als Waffe benutzt: Das syrische Regime riegelt ganze Stadtviertel ab und lässt weder Nahrung noch Medikamente hinein. Zehntausende Menschen sind verschwunden oder werden in Geheimdienstgefängnissen gefoltert. Regelmäßig werden Aktivisten, die zivilgesellschaftliche Arbeit leisten, von jihadistischen Gruppen oder dem Assad-Regime verschleppt oder ermordet – darunter auch immer wieder Menschen von unseren Partnerorganisationen. In der Lebensrealität vieler Menschen ist dies der eigentliche Terror.
Das zeigt auch eine Umfrage von Adopt a Revolution unter knapp 900 vertriebenen Syrerinnen und Syrern in Deutschland. Entführt oder gefangengenommen zu werden, die militärischen Auseinandersetzungen und die Fassbomben nannten die Befragten als größte Gefahren in Syrien. Gleichzeitig gab es eine klare Zuschreibung, von wem diese Gefahren ausgehen: Die meisten Befragten machten das syrische Regime und nicht den IS für die Kämpfe verantwortlich; rund 75 Prozent fürchteten sich mehr davor, vom Regime gefangengenommen zu werden als vom IS (42 Prozent); Fassbomben benutzt nur das Regime.
Zum Terror in Syrien kommen neuerdings auch noch die russischen Luftangriffe hinzu, die Amnesty International zufolge bereits Hunderte Zivilisten getötet haben. Für die Menschen im Kriegsgebiet ist es deshalb mehr als Hohn, wenn nun Russland im angeblichen Kampf gegen den Terror ausgerechnet Assad unterstützt.
Nicht viel besser ist die Strategie der westlichen Staaten, sich allein auf den Terror des IS zu konzentrieren. Die Folgen einer solchen Politik sind schon heute sichtbar. Während der IS durch Luftangriffe in den vergangenen Monaten deutlich an Kraft verloren hat, konnte die al-Nusra-Front, ein Ableger von al-Qaida in Syrien, an Stärke gewinnen. Die berechtigten Hilferufe der sunnitischen Bevölkerung werden global fast völlig ignoriert. Die al-Nusra-Front mag hierzulande vielen als kleineres Übel gelten, weil sie im Gegensatz zum IS weder öffentliche Grausamkeiten inszeniert noch den Anspruch auf einen eigenen Staat in den Vordergrund stellt. Für die Zukunft Syriens sind die Jihadisten von al-Nusra aber gefährlich, weil sie es bisher geschafft haben, die lokale Bevölkerung zu integrieren und von dieser, im Unterschied zum IS, nicht als Herrschaft von außen wahrgenommen werden, da sie sich mehrheitlich aus Syrern rekrutieren.
Wer den IS und auch den anderen Terror in Syrien bekämpfen will, muss an der Ursache für die Destabilisierung Syriens ansetzen: der Gewalt des Assad-Regimes. Syrien braucht nicht mehr Bomben, sondern eine Politik, die die Lebensrealität der Menschen ernst nimmt und die Verantwortung für den Schutz der Zivilgesellschaft übernimmt. Ein erster Schritt könnte sein, dass die UN-Resolution zum Verbot des Einsatzes von Fassbomben in Syrien, der auch Russland zugestimmt hat, endlich umgesetzt wird.