Über den Jihadistenprozess in Düsseldorf

Vom Niederrhein in den Nahen Osten

In Düsseldorf hat vergangene Woche der Prozess gegen einen Islam-Konvertiten aus Dinslaken begonnen, der sich in Syrien dem »Islamischen Staat« angeschlossen hatte.

Vom »abhängenden Kiffer« zum Kämpfer für den »Islamischen Staat« in Syrien: Vor dem Oberlandesgericht in Düsseldorf wird seit dem 20. Januar der Lebensweg von Nils D. nachgezeichnet. Der 25jährige ist einer der wenigen Jihadisten, die auf der Anklagebank freimütig aussagen. Deshalb ist der Prozess gegen ihn wegen Untersützung des »Islamischen Staats« (IS) sehr aufschlussreich.
Als Nils D. im Sommer 2013 das Gefängnis nach Verbüßen einer Freiheitsstrafe wegen Einbruchs verlässt, ist ein Großteil seines Freundeskreises nicht mehr da. Die Jungs, mit denen D. seine Zeit verbracht hatte, sind wenige Monate zuvor nach Syrien ausgereist, um dort im Bürgerkrieg auf Seiten des IS zu kämpfen. Nur zwei Monate nach seiner Haftentlassung folgte er seinen »Brüdern«, aber auch seinem leiblichen Cousin ins Kriegsgebiet. Dort blieb D. ein knappes Jahr, bevor er nach Deutschland zurückkehrte. In der Befragung zu Beginn des Prozesses ging es darum, sich ein Bild von dem 25jährigen Konvertiten zu machen – die Vorsitzende Richterin benötigte dafür viel Geduld.
Der Lebenslauf von Nils D. zeigt den typischen Weg vieler deutscher Islamisten. In seiner Jugend trinkt Nils D. viel, begeht kleinere Straftaten, bei denen er erwischt wird, und ist schlecht in der Schule. Bei seiner Ausbildung wird er gefeuert, weil er die Berufsschule schwänzt. Seine Zeit verbringt er damit, auf Spielplätzen und in einem Internetcafé herumzuhängen und zu kiffen.

Am ersten Verhandlungstag fühlen sich die Zuschauer manchmal an ein Verfahren vor dem Jugendgericht erinnert. Richterin Barbara Havliza stellt viele Fragen mit pädagogischem Unterton: »Geld haben Sie von Ihrer Mutter bekommen?« ist eine davon. Der Angeklagte antwortet mit einem verschämten »Ja«. Durch die Fragen der Richterin ergibt sich ein detaillierteres Bild der Jugend des Angeklagten, doch der Wandel vom Kiffer zum frommen Muslim bleibt undurchsichtig. Sein Cousin Philip B. sei Muslim geworden, der sei aber immer schon gläubig gewesen. Anfangs hätten die beiden sich gestritten, wenn Philip etwas über den Islam habe erzählen wollen. Nils habe sich nicht für den Glauben interessiert. Der Wandel, so beschreibt er es, sei mit Youtube-Videos über »die Illuminaten« gekommen; er sei überzeugt gewesen, dass sie »zum Teufel gehören«. Und wo es einen Teufel gibt, da müsse es auch einen Gott geben. »Dass Sie über die Illuminaten nach Syrien gekommen sind, glaube ich nicht«, entgegnet die Richterin und stellt Nils D. Fragen nach den Strukturen der islamistischen Szene in Dinslaken. Im Sommer 2011, am letzten Tag des Ramadan, sei Nils D. bei Mustafa K. zum Islam konvertiert. K. sorgte im Februar 2014 für Aufsehen, als ein Foto durch die deutschen Medien ging, das ihn mit einem abgeschlagenen Kopf in der Hand zeigt.
Nach der Konversion sei Nils D. oft im »Bildungsverein« der Dinslakener Salafisten gewesen. »Ich bin direkt in den radikalen Islam gekommen«, berichtet D. Er habe Vorträge und Moscheen in ganz Nordrhein-Westfalen besucht. Von den militanten Salafisten rund um die Solinger »Millatu Ibrahim« habe man sich zunächst fern gehalten. Nachdem diese in Bonn und Solingen im Frühjahr 2012 Polizisten angegriffen hatten, um zu einer Kundgebung zu gelangen, bei der Rechtsextreme Mohammed-Karikaturen zeigten, sei »Millatu Ibrahim« für ihn und seine Freunde aber attraktiver geworden.
Die Richterin hält D. vor, dass er sich wenig zu »dem, was hier war und bestimmt noch ist«, äußere. Falls der Angeklagte Angst habe, könne man Schutzmaßnahmen treffen. D. erwidert, dass er über die Zeit, in der seine »Brüder« ausreisten, nicht viel sagen könne, weil er damals im Gefängnis gesessen habe.

Im Sommer 2013 stand D. also ohne seine Weggefährten da. Aber er habe oft mit seinem Cousin Philip B. telefoniert. Der habe ihm geschildert, wie spannend es in Syrien sei. D. habe beschlossen, den anderen zu folgen, erstmal »nur für drei Monate« – aber ohne Rückflugticket.
Die Reise nach Syrien habe er alleine organisiert. Erst vor der türkisch-syrischen Grenze habe Philip B. ihm einen Schleuser vermittelt. Dann sei er innerhalb weniger Tage zu den anderen gelangt. Diese hätten in Kafr Hamrah, im Nordwesten von Aleppo, in einer WG gewohnt. Dort habe er normal gelebt, Kiosk und Internetcafé besucht, wie früher in Dinslaken. Die anderen seien Leibwächter eines lokalen Herrschers gewesen, hätten sich aber für die Versetzung an die Front gemeldet. Zeit, um Nils D. die Gegend zu zeigen und IS-Trainingscamps zu besuchen, blieb aber genug. Dabei durfte der 25jährige mit einer Kalaschnikow schießen und bei einer Hinrichtung zusehen. Das alles erzählt D. auf der Anklagebank zwar nur auf direkte Nachfrage, dann aber sehr freimütig. Oft lächelt er schüchtern, wenn er berichtet. Was in seinem Kopf vorgeht, wird nicht klar. Auf Fragen antwortet er oft mit einen »Das war da halt so«. Vieles, was er erlebt hat, habe ihm nicht gefallen, seinen Unmut habe er aber nicht kundgetan. Doch Nils D. wollte zurück nach Deutschland.
Die für Januar 2014 geplante Ausreise aus Syrien scheitert daran, dass D. während der Reise in Richtung Türkei in ein Gefecht gerät. Die Rückkehrpläne liegen vorerst auf Eis. D. schließt sich wieder seinen Freunden an. Diese ziehen um und wohnen eine Zeit lang mit Abdelhamid Abaaoud zusammen, einem der Attentäter von Paris vom 13. November. Im Prozess wird ein Foto gezeigt, das D. aufgenommen hat. Es zeigt Abaaoud gemeinsam mit dem Dinslakener Salafisten Hüseyin D. Nach Hüseyin D. wird im Zusammenhang mit den Attentaten von Paris international gefahndet.
In Syrien findet sich Nils D. irgendwann in der Stadt Manbij wieder. Sein Cousin Philip B. hat sich in der Zwischenzeit bei einem Selbstmordattentat in Mossul in die Luft gesprengt. Mit anderen deutschen Salafisten dient D. dem IS in einem Gefängnis. Er sei dort, so berichet er, für die Versorgung zuständig gewesen. Folterungen habe er mitbekommen, einmal auch einem Gefangenen eine Pistole an den Kopf gehalten. Aber eigentlich will Nils D. nur für den Einkauf von Lebensmitteln zuständig gewesen. Bei seinen Spaziergängen in die Stadt sei er auch regelmäßiger Zeuge von Hinrichtungen gewesen. Auch er habe »Allahu akbar« gerufen, wenn einem »Verräter« der Kopf abgeschlagen wurde. Die Hinrichtungen seien »Alltag« gewesen.
Auch beim »Sturmtrupp«, wie er es nennt, gegen Deserteure will D. nur mitgefahren sein und Gefangene bewacht haben. Von eigenen Handlungen ist in seinen Berichten wenig die Rede. So dürfte es weiter mühsam bleiben herauszufinden, was Nils D. in Syrien getan hat, welche Motive ihn getrieben haben und wie er seine Rückreise im November 2014 organisiert hat.
D., das wird schon nach wenigen Prozesstagen deutlich, war wohl ein typischer Mitläufer. Sein Cousin Philip B. war die treibende Kraft bei der Hinwendung des Angeklagten zum Jihadismus. Nach Syrien habe er wegen Philip B. gewollt, der für ihn »wie ein Bruder« sei. Wegen seiner umfassenden Aussagen und weil er schon bei anderen Prozessen Jihadisten belastet hat, kann D. mit einem milden Urteil rechnen. Seine Aussagen sind zwar nicht besonders klar, die Ermittlungs- und Sicherheitsbehörden scheinen aber auf sie angewiesen zu sein.