Afroamerikanische Schauspieler kritisieren die Oscar-Verleihung

Die Leinwand ist zu weiß

Weil kein afroamerikanischer Schauspieler für den Oscar nominiert ist, protestieren Jada Pinkett Smith und Spike Lee gegen die Veranstaltung. Der für die Vergabe zuständige Verband will nun seine Mitgliederstruktur verändern.

Welchen Film habe ich 1989 gemacht? ›Do the right thing‹. Der wird heute im College besprochen, der Film, der damals den Oscar bekommen hat, für den interessiert sich heute keiner mehr.« So beantwortete Spike Lee die Frage eines Journalisten, ob er seine Arbeit ausreichend gewürdigt sehe. Kurz zuvor hatte der schwarze Regisseur erklärt, er werde nicht an der Oscar-Verleihung im Februar teilnehmen. Frei nach Martin Luther King begründete er diesen Schritt auf seinem Instagram-Account: Es sei an der Zeit, »eine Entscheidung zu treffen, die weder sicher noch höflich oder populär (ist), aber die ein Mann treffen müsse, wenn sein Gewissen ihm sage, das sei das Richtige.« Schon im zweiten Jahr in Folge seien alle 20 Nominierten in den wichtigsten Kategorien weiß, empörte sich Lee in seinem kurzen Statement.
Ausgelöst wurde die Debatte von Jada Pinkett Smith. Die Ehefrau von Schauspieler Will Smith schrieb auf Facebook: »Bei den Oscars sind people of color immer gerngesehen, wenn es darum geht, Awards zu überreichen oder um zu unterhalten«. Vielleicht sollten people of color »gar nicht erst teilnehmen«. Zwei Tage später, am Martin-Luther-King-Tag, legte eine »tief enttäuschte« Pinkett Smith nach und erklärte in einem kurzen Facebook-Video, sie werde nicht an der Oscar-Verleihung teilnehmen. Über 200 000 Mal wurde das in den folgenden Tagen geteilt.
Kurz danach wurde unter dem Hashtag #Oscarssowhite bereits landesweit debattiert. Tausende kritisierten die Auswahl der Nominierten und machten ihrer Empörung Luft. Bei dem schwarzen HipHop-Drama »Straight outta Compton« sind nur die beiden weißen Drehbuchautoren nominiert, bemängelten Twitter-Nutzer. Aus dem Cast des schwarzen Films »Creed« wurde nur Sylvester Stallone nominiert, und der von Kritikern gefeierte Film »Beasts of No Nation« mit Idris Elba bekam gar keine Nominierung. Initiiert wurde der Hashtag #Oscarssowhite bereits im vorigen Jahr von der schwarzen Journalistin April Reign als Reaktion auf die Bekanntgabe der Oscar-Nominierungen 2015. Es sei 2016 »sogar noch schlimmer als vergangenes Jahr«, meinte sie, da noch weniger Nicht-Weiße nominiert seien.
In die Kritik geraten ist auch die Zusammensetzung der Academy Of Motion Picture Arts And Sciences. Über 90 Prozent der Mitglieder sind weiß, über 75 Prozent sind männlich, das Durchschnittsalter liegt bei 63 Jahren. Ein Grund für diese Homogenität ist das lebenslange Stimmrecht der berufenen Mitglieder. Hunderte neue Berufungen hatte der Verband in den vergangenen Jahren zwar getätigt, um die Mitgliederstruktur der Wahlberechtigten zu erneuern. Allein 2015 waren es 300, zusätzlich wurde im November ein Fünfjahresplan beschlossen, um den Wandel einzuleiten. Bei einer Mitgliederzahl von 7 000 Personen aber wird es eine Weile dauern, bis sich die Maßnahmen im Verband auswirken.
Bereits wenige Tage nach Beginn der Diskussion reagierte die neue und erste schwarze Vorsitzende der Akademie, Cheryl Boone Isaacs, und verkündete das, wovor der Verband vorher zurückgeschreckt hatte: Sie will das Stimmrecht von Alt-Mitgliedern zeitlich begrenzen. Es gelte ab sofort nur noch für zehn Jahre und werde nur dann erneuert, wenn das Mitglied auch weiterhin in der Filmbranche aktiv sei. Lebenslanges Stimmrecht wie bisher soll es nur geben, wenn eine Person drei Jahrzehnte hintereinander aktiv war oder für einen Oscar nominiert wurde. Alle anderen sollen künftig weiter Mitglieder bleiben, aber im emeritierten Status ohne Stimmrecht. Zudem soll die Diversität des Vorstands durch die Aufnahme von drei neuen Mitgliedern verbessert werden und die Zahl der Frauen und Minderheitenvertreter bis 2020 verdoppelt werden. »Die Akademie wird vorausgehen und nicht darauf warten, dass sich die Filmindustrie ändert«, so Boone Isaacs.
Spike Lee, der im Laufe der Debatte klarstellte, dass er das Wort »Boykott« nie benutzt habe, gratulierte Boone Isaacs zu diesem Schritt. Das wahre Problem sei nicht die Vergabe der Oscars, sondern verberge sich in den Film- und Fernsehstudios, wo weiße gatekeepers über Projekte entscheiden würden. 75 Prozent aller Filmcharaktere in 2014 seien weiß und nur 17 Prozent aller Filme hätten Nicht-Weiße als Hauptcharaktere oder Co-Stars, ermittelte eine Studie von Forschern der University of Southern California (UCLA) im vergangenen Jahr. Sie hatten die 700 verkaufsstärksten Filme zwischen 2007 und 2014 untersucht und bei der Analyse von 30 000 Rollen festgestellt, dass sich in fast einem Jahrzehnt nahezu keine Verbesserung bei der Diversität in Filmen ergeben habe. In ihrer umjubelten und emotionalen Dankesrede für den Emmy 2015 als beste Schauspielerin sagte die schwarze Schauspielerin Viola Davis unter Tränen: »Du kannst keinen Emmy gewinnen für Rollen, die es einfach nicht gibt.« Sie war die erste schwarze Schauspielerin, die den Preis je gewonnen hatte.
Bei der Diskussion denke sie an »tiefsitzende Vorurteile«, schrieb Lupita Nyong’o, die vor zwei Jahren als erste schwarze Frau den Oscar als beste Schauspielerin für ihre Rolle in »Twelve Years a Slave« erhielt. Talkshowhost Whoopi Goldberg erklärte, die Academy-Mitglieder würden ja nicht bewusst Schwarze übergehen. Vielmehr bewerteten sie das, was sie kennen, positiv und hätten eine beschränkte Vorstellung von möglichen Rollen. Ein »schwarzer Superman, der die Welt rettet«, sei eben nicht vorgesehen. Auch darum geht es bei der aktuellen Debatte, um das Bild von Minderheiten in den Köpfen des weißen Mainstream-Amerika. Für Schwarze gäbe es vor allem Rollen als Rapper oder noble Sklaven, für Latinas vor allem die als Prostituierte oder Nanny, für asiatische Frauen die als Geisha oder unterwürfige Freundin, so Kritiker.
Doch es geht nicht nur um Vorurteile. In den 2015 gehackten Mails von Sony machten führende Manager des Konzerns rassistische Witze über Präsident Barack Obama, witzelten über den »Gender-Pay Gap« in der Filmindustrie, den etwa Oscar-Preisträgerin Jennifer Lawrence angeprangert hatte, und bezeichneten prominente weibliche Produzentinnen und Schauspielerinnen wie Megan Ellison und Angelina Jolie als »bipolar« und »verrückt«.
Will Smith jedenfalls, der sich dem Oscar-Boykott seiner Frau wenige Tage später anschloss, glaubt an die Kraft der Traumindustrie Hollywood, den amerikanischen Traum für alle repräsentieren zu können. Diversität sei die »Super-Power der Vereinigten Staaten«. Eine Super-Power sind diverse Filmshows offenbar auch ökonomisch. Einer Studie des Ralph J. Bunche Center der UCLA zufolge nahmen 2012 und 2013 Filme, die eine eher diverse Schauspieler-Besetzung hatten, deutlich mehr Geld ein als Filme, in denen nur zehn Prozent aller Schauspieler oder weniger einer Minderheit angehörten. »Hollywood bewegt sich nicht so schnell wie die Gesellschaft selbst«, so die Autoren der Studie über die Sehnsucht des Publikums nach besserer Darstellung der demographischen Verhältnisse in den USA. Derzeit sind etwa 40 Prozent der US-Bevölkerung Mitglied einer Minderheit, schon in 30 Jahren werden die Minderheiten nach Berechnungen von Demographen die Mehrheit sein.
Sowohl Lee als auch Pinkett Smith betonten, sie würden Chris Rock alles Gute wünschen, obwohl andere schwarze Schauspieler und Twitter-Nutzer seinen Rücktritt forderten. Der schwarze Komiker wird die Oscar-Verleihung am 28. Februar moderieren. Er hat sich bislang nur indirekt kritisch geäußert. Die Oscars seien die »BET-Awards für Weiße«, schrieb Rock, der die weniger bekannte Awardshow des »Black Entertainment Network« 2014 moderiert hatte. In einem Video witzelt der Entertainer, gute Gründe, die Oscar-Verleihung zu gucken, seien sein »Ausschnitt« und dass er bei der Zeremonie »herumfluchen« könnte. Offenbar hat sich der krititische Comedian vorgenommen, den Abend für das weiße Mainstream-Amerika nicht allzu gemütlich werden zu lassen.