Flüchtlingsobergrenzen verstoßen gegen internationales Recht

Grenzen der Freundschaft

Vor zwei Wochen hat Österreich eine Flüchtlingsobergrenze eingeführt. In Deutschland drängen konservative Kräfte auf ein ähnliches Vorgehen. Dass asylrechtliche Obergrenzen gegen internationales Recht verstoßen könnten, interessiert kaum.

»Bei 37 500 Anträgen wird in diesem Jahr gestoppt«, ließ die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) verlauten. Die österreichische Regierung führt damit erstmals eine Obergrenze für Asylanträge ein. Man wolle auch Flüchtlinge an der Grenze zurückweisen, schließlich seien Kroatien und Slowenien »sichere Drittstaaten«, so Mikl-Leitner in ihrer Begründung weiter. Wie die Obergrenze praktisch aussehen soll, konnte die Regierung in Wien bislang nicht erklären. Dass ein von der Regierung in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten zur Klärung der rechtlichen Umsetzbarkeit der Obergrenze erst in zwei Monaten fertiggestellt wird, ist ebenfalls bizarr. Einer der Gutachter, der Europarechtler Walter Obwexer, sah sich jedenfalls genötigt, der Presse bereits vorab mitzuteilen, dass eine Grenzschließung im Falle eines Erreichens der Obergrenze kaum möglich sein dürfte.
All diese Ungewissheiten halten konservative Kräfte in Deutschland nicht davon ab, die Debatte über eine Obergrenze erneut anzufachen. Der Generalsekretär der CSU, Andreas Scheuer, twitterte beispielsweise: »Die Österreicher machen’s. Also müssen wir es auch machen. #Obergrenze.« Vollkommen vergessen wird, dass die Rechtsentwicklungen im Europa- und Völkerrecht der vergangenen 30 Jahre die nationalstaatliche Flüchtlingspolitik deutlich einschränken. Sowohl Zurückschiebungen an der deutschen Grenze als auch asylrechtliche Obergrenzen können nicht nach dem Gusto des jeweiligen Nationalstaats einseitig eingeführt werden.

In der deutschen Diskussion wird die Ansicht verbreitet, die Grenzöffnung im August 2015 sei klar rechtswidrig gewesen. Die AfD-Politikerin Beatrix von Storch bezeichnete Deutschland in der Talksendung Anne Will deshalb als »Bananenrepublik«. Ihre vermeintliche Bestätigung findet sie in §18 Abs. 2 des Asylgesetzes. Dort heißt es, dass Ausländern die Einreise zu verweigern ist, sofern sie aus einem sicheren Drittstaat einreisen. Politische Verfolgung oder schwerste Menschenrechtsverletzungen finden in Österreich nicht statt. Ist die Forderung nach Rückschiebungen von Flüchtlingen an der Grenze demnach rechtskonform? Das deutsche Asylgesetz hält in §26a fest, dass Flüchtlinge einen Asylantrag stellen können, sofern die Bundesrepublik Deutschland aufgrund von Rechtsvorschriften der EU oder eines völkerrechtlichen Vertrags das Asylverfahren zuständig ist. Genau hier findet sich der Verweis auf die Dublin-III-Verordnung, nach der grundsätzlich jeder Mitgliedstaat von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen und die Asylanträge von Schutzsuchenden prüfen kann. Ohnehin könnte die Bundespolizei Flüchtlinge nicht einfach nach Österreich abschieben, selbst wenn sie sich dort vorher aufgehalten hätten. Schließlich muss jeder Mitgliedstaat vor einer Überstellung nach der Dublin-III-Verordnung prüfen, welcher andere Staat für das Asylverfahren zuständig ist. Da sich die Flüchtlinge in Österreich in der Regel nicht registrieren, sind Überstellungen dorthin unzulässig.
Abschiebungen nach Griechenland kommen ebenfalls nicht in Betracht. Dort hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Jahr 2011 systemische Mängel im Asylsystem festgestellt. Flüchtlinge sind dort schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, beispielsweise willkürlichen Inhaftierungen. Die EU-Mitgliedstaaten sind seitdem gezwungen, alljährlich einen Rückschiebestopp nach Griechenland zu verhängen. Entsprechend der Rechtsprechung des EGMR haben zahlreiche deutsche Verwaltungsgerichte vergleichbare Abschiebungshindernisse für Bulgarien, Italien und Ungarn festgestellt. Auch wenn die Bundesregierung mit ihren jüngsten Asylrechtsverschärfungen allerhand verfassungswidrige Gesetze produziert hat, wie die Kürzung von Sozialleistungen von Flüchtlingen, die Grenzöffnung im Sommer 2015 war rechtskonform.

Vergleichbare Debatten produziert die Frage nach asylrechtlichen Obergrenzen. Den Auftakt in diesem Jahr machte der ehemalige Verfassungsrichter Udo Di Fabio. In einem Gutachten für die bayerische Landesregierung stellt er fest: »Das Grundgesetz garantiert nicht den Schutz aller Menschen weltweit durch faktische oder rechtliche Einreiseerlaubnis. Eine solche unbegrenzte Rechtspflicht besteht auch weder europarechtlich noch völkerrechtlich. Entsprechende unbegrenzte Verpflichtungen dürfte der Bund auch nicht eingehen. Eine universell verbürgte und unbegrenzte Schutzpflicht würde die Institution demokratischer Selbstbestimmung und letztlich auch das völkerrechtliche System sprengen.« Di Fabio gießt den Mythos, dass »die gesamte Welt nach Deutschland kommen möchte« in eine rechtliche Form. Als Freund Europas ist Di Fabio im Übrigen nicht bekannt. In seiner 2005 erschienen Monographie »Kultur der Freiheit« bestimmt er die Nation als »Schicksalsgemeinschaft«, die auf einer »emotionalen Grundlage« fuße. Gerade jene »Gemeinschaftsemotion« fehle Europa. Auf die nationale Metaphysik verweisen auch die Rechtswissenschaftler Jürgen Bast und Christoph Möllers. Sie attestierten Di Fabio auf dem Verfassungsblog, sein Argument funktionalisiere »umstandslos Tatbestandsvoraussetzungen und normativ geschaffene Institutionen«, weshalb es im Verfassungsrecht keine Rolle spielen solle. Di Fabio setzt den Staat und seine Grenzen voraus, ohne dass eine demokratische Entscheidung über ihre Existenz noch möglich ist.
Di Fabio vernachlässigt in seinem Gutachten europa- und völkerrechtliche Grundsätze. Das Asylrecht ist als individuelles Recht ausgestaltet, weshalb prinzipiell jeder Mensch einen Anspruch auf die Anhörung seiner Fluchtgründe in einem Asylverfahren hat. Dies sieht unter anderem die Europäische Qualifikationsrichtlinie und Asylverfahrensrichtlinie vor. Nach Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention gilt der Grundsatz der »Nichtzurückweisung«. Dadurch wird kein Recht auf Asyl begründet, sehr wohl aber der Anspruch auf ein faires und individuell geprüftes Verfahren und das Verbot der Rückschiebung von Flüchtlingen in Staaten, in denen ihnen Verfolgung oder unmenschliche Behandlung droht. Der abschiebende Staat muss dabei auch überprüfen, ob andere Staaten im Rahmen einer Kettenabschiebung die Flüchtlinge zurück in ihre Verfolgerstaaten schicken. Der italienische Staat wurde wegen dieser Praxis 2012 vor dem EGMR im Fall Hirsi verurteilt.

Der Rechtmäßigkeit von Asylobergrenzen widerspricht auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags. In einem Gutachten vom Dezember 2015 ist zu lesen, dass das EU-Asyl- und Flüchtlingsrecht »keine Regelungen (für) eine zahlenmäßige Begrenzung der Aufnahme von international Schutzsuchenden vorsieht«. Die Zurückschiebung von Asylsuchenden mit Blick auf Artikel 18 (Asylrecht) und 19 (Schutz bei Abschiebungen) der Grundrechtecharta halten die Experten für zweifelhaft. Eine Ausnahme von diesen Regelungen könne es allenfalls in einer »Notstandssituation« geben, die der Wissenschaftliche Dienst angesichts der wirtschaftlichen Stärke der EU und ihrer demographischen Situation nicht gegeben sieht. Andreas Voßkuhle und Koen Lenaerts, die amtierenden Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs, erachten eine Obergrenze ebenfalls als verfassungswidrig. Dass dennoch weiterhin über Obergrenzen oder Kontingente als ernstzunehmende Lösung in der Öffentlichkeit diskutiert wird, sagt vor diesem Hintergrund leider mehr über den öffentlichen Diskurs aus als über die nationalen Festungsbauer in der SPD, CSU oder der AfD. Auch wenn das europäische und internationale Recht nicht der alleinige Ausgangspunkt für grundlegende gesellschaftliche Veränderungen sein kann – ja die aktuellen Fragen vielmehr politische Fragen sind –, gegen die nationalistische Einmauerung können sie halten.

Am Ende wird sich die Frage der Obergrenze jedoch nicht an der deutsch-österreichischen Grenze entscheiden. Auf Hochtouren läuft die Kooperation zwischen der EU und der Türkei. Trotz der Konflikte innerhalb von CDU und CSU besteht Einigkeit in der Sicherung der europäischen Außengrenzen. Dafür paktiert man mit dem Regime von Recep Tayyip Erdoğans AKP, das für die Ermordung Hunderter Menschen in den kurdischen Gebieten verantwortlich ist. Als Reaktion auf das Versprechen Europas, insgesamt drei Milliarden Euro an die Türkei zu zahlen, begann diese nach Recherchen des WDR-Magazins Monitor mit der systematischen Abschiebung von Flüchtlingen in ihre Herkunftsländer, darunter Syrien und Irak. Abschiebezentren wie im ostanatolischen Erzurum werden mit EU-Geldern finanziert. Einem Bericht von Amnesty International zufolge habe ein dort inhaftierter Syrer berichtet, er habe sieben Tag an Händen und Füßen gefesselt in Isolierhaft verbracht. Im Übrigen ist auch im Falle der Türkei das internationale Flüchtlingsrecht bindend. Die Türkei hat die Genfer Flüchtlingskonvention mit einem geographischen Vorbehalt versehen: Nur Flüchtlinge aus Europa erhalten einen internationalen Schutzstatus. Syrer, Iraker oder Afghanen sind schlechtergestellt.
Die Strategie der Bundesregierung und der Europäischen Union könnte jedoch aufgehen: Die ankommenden Flüchtlinge werden hinter die europäischen Außengrenzen verlagert, so dass schwere Menschenrechtsverletzungen und der Tod von Schutzsuchenden im hiesigen Diskurs nicht mehr vorkommen werden. Dazu passt der geplante Einsatz der Grenzagentur Frontex, der auf dem Treffen der EU-Innenminister in Amsterdam am Montag vergangener Woche beschlossen wurde und zum Ziel hat, die Fluchtroute über den Balkan freizuräumen. Auch der mögliche Einsatz im Nicht-EU-Land Mazedonien wurde diskutiert.
Am Ende wird die Debatte um Obergrenzen vor allem völkisch-nationalen Ressentiments Aufschwung geben.