Berlin Beatet Bestes. Folge 325.

Keine Mucke für öde Opas

Berlin Beatet Bestes. Folge 325. Dizzy Birds: I’m Gonna Pick You Up in a Red Dress, Baby! (2016).

Die Berliner Dizzy Birds erinnern mich an die Frühgeschichte der erfolgreichsten Rock-Band der Welt. Auch die Dizzys sind Puristen. Sie haben sich ebenfalls einem traditionellen, afroamerikanischen Musikstil verschrieben und spielen ausschließlich Cover-Songs, weil ihnen ihre Vorbilder unerreichbar scheinen. Die Bandmitglieder sind jung, gutaussend und ihre alte Musik kommt bei jungen Leuten bestens an. Soweit die Ähnlichkeit mit den frühen Rolling Stones – die Nachrufe auf Keith und Mick liegen schon in meiner Schublade.
Während sich die Stones Anfang der Sechziger dem Rhythm & Blues verschrieben, brennen die Dizzy Birds für traditionellen New Orleans Jazz. Auf ihrer im Januar erschienenen CD covern sie Bennie Motens »Rumba Negro«, Jelly Roll Mortons »New Orleans Bump« und Clarence Williams’ »I Can’t Dance, I Got Ants in My Pants« mit großer Leidenschaft.
Die Dizzys haben mit Schwierigkeiten zu kämpfen, die herkömmliche Gruppen nicht haben. Zum einen ist es ihre Verortung in der Swing-Szene. Die Tanzszene hat in den vergangenen Jahren vermehrt traditionelle Jazzbands im New-Orleans-Stil für sich entdeckt und auch die Dizzy Birds konnten vor dem ­zuverlässigen Publikum der wöchentlichen Tanzveranstaltungen gedeihen. Leider ergibt sich trotz dieser Unterstützung ein struktu­relles Problem, denn die Swingtanz-Szene ist keine Musikszene, sondern vor allem eine Sporttanzszene, in der sich alles um Lernen, Unterricht und Workshops dreht. Nicht Musiker, sondern Tanzlehrer stehen im Mittelpunkt. Wo sind also die Fans? Gibt es überhaupt noch Fans?
Kulturpessimisten behaupten, es gäbe nur noch den heavy user von Streaming-Diensten. Die Jazzfans sterben buchstäblich aus. Dixieland Jazz hat heutzutage immer noch den Ruf, die ödeste Opa-Mucke zu sein, die es gibt, eigentlich direkt hinter Klassik. Hinzu kommt, dass es keine auf traditionellen New Orleans Jazz spezialisierten Labels gibt, keine Veröffentlichungen auf Vinyl und außer Rentnern keine Fans. Mit anderen Worten: Es gibt keinen Markt. Vor diesem traurigen Hintergrund, sozusagen mit dem Rücken zur Wand, spielen die Dizzy Birds mit einem Maximum an Energie fröhlich drauflos. Ihre Live-Auftritte, wie zuletzt auf ihrer CD-Release-Party im Kreuzberger Freudenzimmer, sind furios. Mit voll aufgedrehten Verstärkern schütteln sie den Dixieland-Mief ab und bringen junge Leute außerhalb der Swing-Szene zum Tanzen. Ihr Crossover-Appeal ist ihr USP, ihr unique selling point. Live gehen sie voll ab, das checken alle.
Die Stones wurden irgendwann von ihrem Manager Andrew Loog Oldham dazu gedrängt, eigene Songs zu schrieben. Das war, nachdem er John Lennon und Paul McCartney ins Studio geholt hatte, die für Mick Jagger & Co. »I Wanna Be Your Man« schrieben. Im Anschluss kultivierten sie ihr Bad-Boy-Image, wurden zu Anti-Beatles – und der Rest ist Geschichte. Also Dizzys, legt los! Ich wünsche euch viel Erfolg!
Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.