Schwarze Löcher

Was ist eigentlich aus den ganzen freigewordenen Gehirnkapazitäten geworden, die früher, also bevor es Handys und natürlich auch Festnetztelefone mit so gut wie unbegrenztem Rufnummernspeicher gab, mit Zahlenkolonnen blockiert waren? Wer damals auch nur über ein leidliches Sozialleben verfügte, wusste eine mindestens zweistellige Anzahl von Vorwahlen, Privat- und Büronummern, Durchwahlen, Nummern von Liebblingsrestaurants und -läden und was nicht noch alles auswendig – und kann heute in aller Regel mit knapper Not die eigene Handynummer aufsagen.
Wie viel Platz all diese nun nicht mehr benötigten Kontaktdaten in so einem durchschnittlichen Gehirn beanspruchten, ist unklar, aber ein paar Kubikmillimeterchen sind es bestimmt. Nur, was ist da jetzt? Wohnen dort nun vielleicht ein Haufen Passwörter, halt nein, wohnt da das eine einzige Passwort, das vom Internetbanking bis hin zum E-Mail-Account für alles verwendet wird? Oder werden dort die jeweils aktuellen und natürlich hochwichtigen Buzzwords abgespeichert? Oder hat sich dort der Selfie-Instinkt breitgemacht, der sich darin äußert, dass der erste Gedanke angesichts einer Katastrophe, eines ungewöhnlichen Geschehnisses oder auch nur beim ganz normalen Vor-sich-Hinleben immer ist, dass jetzt unbedingt und auf der Stelle ein Selbstporträt gemacht werden muss? Oder hat sich an der ehemaligen Nummernmerk-Stelle ein Miesemusikvirus angesiedelt, der dazu führt, dass plötzlich millionenfach ganz unironisch äußerst abscheuliche Schlagersingende und schauderhafte Bands total toll gefunden werden? Oder ist da einfach nur gähnende Leere? Die sich allerdings immer weiter ausbreitet und eine Art Schwarze Gehirnlöcher erzeugt?
Das könnte immerhin eine Erklärung für die rasch zunehmende allgemeine Trotteligkeit sein.