Die französische Neue Rechte und die Postwachstumsökonomie

Intellektuelles Minuswachstum

Vertreter der Postwachstumsökonomie finden in Frankreich Anschluss an die »Neue Rechte«.

Die extreme Rechte Frankreichs war und ist heterogen. Bekannt sind beispielsweise ihre katholisch-reaktionären Strömungen, die sich auf die Konterrevolution der Jahre ab 1789 beziehenden. Auf einem scheinbar entgegengesetzten Standpunkt steht das, was man seit nunmehr 40 Jahren als »Neue Rechte« bezeichnete. Doch so neu ist diese Gruppe längst nicht mehr. Ob bei Antikriegsbewegungen, wie beim Kosovo-Krieg im Jahr 1999, ökologischen Strömungen oder auch unter Intellektuellen – diese Subkultur hat immer wieder ihre Anschlussfähigkeit an verschiedenste politische Denkrichtungen bewiesen. Mal geht es darum, Bruchstücke politischer Philosophien für sich zu vereinnahmen, mal darum, die Dialogfähigkeit und Wandlungsfähigkeit der eigenen Ideologie zu beweisen, um sich immer wieder als ernstzunehmenden politischen Diskussionspartner zu präsentieren.

Die sogenannte Neue Rechte oder Nouvelle Droite stammt aus den späten sechziger und den siebziger Jahren und propagiert unter anderem ein Neuheidentum. Den christlichen und jüdischen Monotheismus betrachten ihre Vertreter als Fremdkörper in der ursprünglich heidnischen »europäischen Zivilisation«. Ihre Ideologie knüpfte ursprünglich an auch im Nationalsozialismus existierende Konzepte an und ersetzte erst später den Rassebegriffes durch einen essentialisierenden Kulturbegriff. Seit Jahrzehnten propagiert der Publizist Alain de Benoist diese Theorien an führender Stelle. Zusammen mit anderen gründete er im Januar 1968 einen Think Tank namens Groupement de recherche et d’études pour la civilisation européenne (GRECE), »Forschungs- und Studiengruppe für die europäische Zivilisation«. Noch heute ist er dessen mit Abstand bekanntester Repräsentant.
Benoist und sein Umfeld finden immer wieder Bündnis- oder Gesprächspartner bei ökologisch interessierten Linken, vor allem im Bereich der als décroissance (Wachstumsrücknahme) bezeichneten Strömung der Radikalökologie. Einer von deren führenden Vertretern ist der 75jährige Ökonomieprofessor Serge Latouche. Er ist Mitbegründer der Zeitschrift Entropia und regelmäßiger Autor in der Publikation der Gruppe MAUSS, deren Abkürzung für »Bewegung gegen den Utilitarismus in den Sozialwissenschaften« steht.
Einer von Latouches zentralen Ansätzen ist die Kritik an der »Uniformierung der Welt«. Unter diesem Begriff fasst er Tendenzen zur Unterwerfung der Gesellschaft unter Kapitalimperative zusammen, die er jedoch um Aspekte des sogenannten Verlusts kultureller Identitäten ergänzt. Dies macht ihn für Rechtsextreme und Ideologen der naturnotwendigen Ungleichheit wie Alain de Benoist interessant. Denn auch die »Neue Rechte« hat sich den Kampf für den Erhalt »kultureller Vielfalt« im Zeichen eines Ethnopluralismus auf ihre Fahnen geschrieben – vorgestellt als eine Art Artenschutz im Ethno-Zoo.

Bei Serge Latouche finden sich Ansätze, die mit einem solchen Denken zumindest kompatibel sind. In einem Artikel, den bereits im Herbst 2004 die Monatszeitung Le Monde diplomatique publizierte, schrieb Latouche etwa: »Die Wachstumslogik in den Ländern des Südens beibehalten oder – schlimmer noch – einführen zu wollen, unter dem Vorwand eines Ausbruchs aus dem Elend, das von diesem Wachstum erst geschaffen wurde, kann diese nur noch stärker verwestlichen. In diesem Vorschlag, der von etwas gut Gemeinten ausgeht – Schulen, Gesundheitszentren, Trinkwasserleitungen bauen und sich selbst ernähren zu können –, steckt ein ordinärer Ethnozentrismus, und zwar genau jener der Wachstumsideologie.«
Diese Ausführungen hat der Gewerkschafter Yann Kindo in einem Vortrag bei der Fédération Syndicale Unitaire (FSU) im vergangenen Jahr aufgegriffen. Er kritisiert die Haltung Latouches: »Hier stützt sich die Wachstumskritik auf die Mode des Kulturrelativismus. (…) Anders ausgedrückt: Es geht denen ohne Schulen, ohne Gesundheitszentren, ohne Trinkwasser und ohne Ernährungssicherheit zweifellos besser, denn das ist ihre Kultur. Es lebe die Armut! All das erinnert an die Erklärungen von Staatspräsident Jacques Chirac, wonach die Demokratie für Afrika ungeeignet ist, es ist dieselbe Logik.«
In der vierteljährlich erscheinenden GRECE-Zeitschrift Eléments wurde im vorigen Sommer ein ausführliches Interview mit Latouche publiziert. Der Reporter und Latouche plauschen angeregt über Themen wie Ökologie und Wachstumsbeschränkung. Zuvor hatte Latouche bereits 2013 in einem Interview mit der Website Reporterre (von terre, Erde) de Benoist quasi ein politisches Reinheitszeugnis ausgestellt. Auch wenn Latouche dort auf die Frage, ob die Ökologie nun links oder rechts stehe, versichert: »Für mich gehört sie zur Linken«, fügte er schnell hinzu: »Soll ich Alain de Benoist verbieten, sich zur décroissance zu bekennen, unter dem Vorwand, dass er als rechts eingestuft wird? Ist er dazu verdammt, sein Leben lang in dieser Kategorie eingeschlossen zu werden? Seine Position kann neu bewertet, neu diskutiert werden.« Bereits zuvor hatte Eléments Schriften, die unter anderem von Latouche verfasst worden waren, wohlwollend diskutiert und sich gefragt: »Wo ist eigentlich die Linke?«

Einige Diskussionspartner hat Serge Latouche dadurch aber verprellt: Wertkritiker, die mit dem verstorbenen Robert Kurz zusammenarbeiteten, meldeten sich zu Wort. Sie hatten sich zwar an Debatten über den dem Kapitalismus immanenten Wachstumsdrang und -zwang auch mit Latouche interessiert gezeigt. In einem Artikel, den sie im vergangenen Dezember publizierten, stellten die Wertkritiker Anselm Jappe und Clément Homs jedoch den Bruch zwischen beiden Gruppen fest: »Wir müssen feststellen, dass die Fortsetzung dieser Debatte heute keinen Sinn mehr hat. Was Latouche betrifft, so hat er, statt sich zu bessern, eine Orientierung aufgenommen, bei der er zumindest einen Mangel an Wachsamkeit gegenüber den Vereinnahmungsversuchen der Neuen Rechten erkennen lässt. Latouche scheint eine breite Front aufmachen zu wollen, zu der alle Wachstumskritiker stoßen können sollten, unabhängig von ihren sonstigen politischen Positionen – sogar Alain de Benoist.«
In anderen Strömungen der extremen Rechten findet die Kombination aus rechter Differenzideologie und sogenannter Wachstumskritik nur begrenzt Anklang. Der Front National (FN) kann damit wenig anfangen. Dort lässt man schließlich nichts auf die Stärke der französischen Wirtschaft kommen, die sich nur endlich »von den Fesseln befreien müsse, die ihr durch die Globalisierung auferlegt wurden.«

Als Marine Le Pen im Januar 2011 den Parteivorsitz übernahm, berief sie allerdings einen Ideologen aus den Reihen der Nouvelle Droite in ihren neugebildeten Parteivorstand. Es handelte sich um Laurent Ozon, der unter dem Vorwand des Umweltschutzes stets argumentierte, die Welt teile sich weitgehend in »Waldvölker« – unter ihnen an führender Stelle die »Indoeuropäer« – und »Wüstenvölker«, die einfach nicht dieselbe Mentalität haben könnten, da sie durch ihre natürlichen Lebensräume geprägt worden sein. Marine Le Pen ging es bei ihrer Personalentscheidung vor allem um die vermeintliche Modernisierung der Partei in Sachen Ökologie. Als Ozon sich im Juli 2011 rechtfertigend zu den Morden des Norwegers Anders Behring Breivik äußerte, trennte sich die Partei von ihm.
Auch der katholisch-fundamentalistische Flügel der französischen Rechten findet seit neuestem Gefallen an ökologischen Themen. In ihren Reihen wird die Zeitschrift Limite (Grenze, Schranke) herausgegeben. Sie thematisiert die ökologischen Grenzen des kapitalistischen Wachstums und kritisiert vermeintliche Verstöße gegen die natürliche und göttliche Ordnung, wie Homosexuellenehe und künstliche Befruchtung.