Berlin Beatet Bestes. Folge 326.

Schrottiges Minihaus

Berlin Beatet Bestes. Folge 326. Der Golden Pudel Club.

Es ist mir ein bisschen peinlich, aber ich leide seit einigen Jahren an Hamburg-Amnesie. Nachdem ich nun fast 20 Jahren in Berlin lebe, verblasst die Erinnerung an meine Heimatstadt immer mehr. Mit ­zunehmendem Alter wird sich das hoffentlich wieder ändern, wenn dann das Kurzzeitgedächtnis nachlässt, aber derzeit liegen viele Namen von Straßen und Plätzen meiner Kindheit und auch die Namen der Orte, die mir als Jugendlicher und junger Erwachsener mal sehr wichtig waren, im Nebel des Vergessens. Und auch auf die Frage, wo man denn in Hamburg so hingeht, habe ich im Moment keine Antwort. Keine Ahnung, was da grade läuft.
Jetzt soll der Golden Pudel Club am Fischmarkt zwangsversteigert werden. Ja, den Pudel kenne ich noch, da bin ich in den Neunzigern oft gewesen. Meine damalige Freundin hat jahrelang dort am Tresen gearbeitet und war die unfreundlichste Barfrau, die ich kannte. Was aber nicht nur ihr anzulasten war, sondern auch mit der Kundschaft des Pudels zusammenhing. Neben mittellosen Künstlern, Musikfans und Freaks schwemmte es am Wochenende auch immer mehr Trendreiter, Werber und Wichtigtuer in den Laden. Ätzende Leute mit schrecklichen Allüren, die schon harte Ansagen brauchten. Einfach, um klar zu machen, dass sie sich nicht in ­einer Schickimicki-Disco befanden. Gefallen hat mir diese Mischung nie.
Ich fühlte mich im 150 Meter entfernt gelegenen Störtebeker, einem kollektiv geführten Veranstaltungsraum in der Hafenstraße, viel wohler. Mit meiner damaligen Garage-Punk-Band The Outtasites haben wir sowohl im Störte als auch im Pudel gespielt. Die Punks, die ins Störtebeker und ins benachbarte Onkel Otto kamen, gingen nie in den Pudel. Warum auch, dort gab’s ja auch keinen Punk. Dafür alles andere. Zum Beispiel Christoph de Babalon, der mit seinem Techno-Krach regelmäßig den Raum leerspielte. Weil meine Freundin Angst hatte, den Laden abends allein aufzuschließen, begleitete ich sie regelmäßig und blieb solange, bis der Laden sich füllte. Bei Tageslicht sah der Pudel allerdings echt scheiße aus und stank.
Dennoch, dieses schrottige Minihaus ist in den vergangenen 20 Jahren die kulturelle Keimzelle und Bühne für so vieles gewesen, dass mir die Chronisten, die ein Buch über den Pudel zusammentragen werden, jetzt schon leidtun. Aber dass es dieses Buch einmal geben wird, davon gehe ich aus. Leider rückt die große Bedeutung subkultureller Orte immer erst viele Jahre später in das Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit. So erschien ein Buch über den Star Club erst mehr als zehn Jahre nach seiner Schließung. Ein Buch über die rund 800 Millionen teure Elbphilharmonie wird es hingegen nie geben. Architektonische und kulturelle Totgeburten werden nie von großer Sentimentalität begleitet. Schon gar nicht von der besonders starken Sentimenta­lität, die mit dem Rückblick auf die Jugend zusammenhängt.
Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.