Brust raus

Die dunkle Raute der Macht.

Fragt man die Menschen, woran sie bei Angela Merkel denken, dann denken die meisten an vieles, aber nicht an Sex. Im Gegenteil: Merkel wird nicht nur abgesprochen, eine Frau zu sein, wenn sie »das Merkel« genannt wird. Auch menschliche Gefühle werden ihr nicht zugetraut, ­geschweige denn Irrationalität, Schwärmerei und Verliebtheit. Merkel, wie sie vor ihrem Telefon sitzt und sehnsüchtig auf eine Nachricht von Joachim wartet? Merkel, wie sie brennt vor Sehnsucht beim Gedanken an einen Samstagabend in der Uckermark? Merkel, wie sie von einer heißen Nacht träumt? Nein. Merkel liebt nicht, sie begehrt nicht und sie hat auch keinen Sex. Wozu auch? Kinder hat sie ja nicht.
Und schließlich sind Liebe, Sex und Verlangen nicht vereinbar mit dem, was Merkel zugestanden wird zu sein: rational, vernünftig, geradezu keusch. Eine Frau mit ihrer Macht, die auch noch ein eher androgyner Typ ist und sich den sexistischen Anfor­derungen unserer Gesellschaft an das Äußere einer Frau nicht unterwirft, wird stets entweiblicht. Während mächtige Männer mit ihrer Unwiderstehlichkeit gegenüber Frauen geradezu kokettieren, müssen Frauen stets auf der Hut sein, nicht zu sexy, zu weiblich zu wirken. Nicht nur weil dann ihre Ambitionen und ihre Macht in Frage gestellt werden, sondern auch weil Frauen, die sich auf die Avancen der Kollegen einlassen, im Zweifel den Kürzeren ziehen. Sexuell aktive Frauen werden bis heute als Schlampen beschimpft. Eine Schlampe als Kanzlerin? Wenn schon eine Frau als Kanzlerin, dann bitte eine anständige!
Dass Macht und Brüste für viele Menschen immer noch eine Überforderung darstellen, hat sich bei Merkel schon 2008 gezeigt. Sie trug damals zur Eröffnung der Oper in Oslo ein tief ausgeschnittenes Kleid und gab der ganzen Welt einen Ausblick auf ihren Busen. Tagelang köchelte der Skandal vor sich hin, als wären die Menschen plötzlich daran erinnert worden, dass eine Frau, so richtig mit Brüsten und so, Deutschland regiert, was ihnen irgendwie gar nicht passt oder sie zumindest verwirrt. International wurde über die Brüste der Kanzlerin diskutiert, die Leute drehten völlig durch – Merkel gab sogar irgendwann ein genervtes Statement heraus. In dem Moment, wo die Menschen damit konfrontiert wurden, dass sich hinter der grauen Technokratin und knallharten Politikerin eine Frau verbirgt, die auch ein Leben zwischen Bettlaken (und vielleicht nicht nur da) hat, wurde der Gedanke plötzlich unangenehm. Gleichzeitig wird Merkel immer wieder sexistisch als Domina geschmäht, als Fotze beschimpft, werden Witze über ihre Ehe gemacht. Ganz heimlich also denken sehr viele Menschen an Sex, wenn sie an Merkel denken. Sie mögen es nur nicht, dabei ertappt zu werden.