In Neubrandenburg steht ein ehemaliger SS-Sanitäter vor Gericht

Der kranke Sanitäter

»Ich kann nicht mehr, ich bin am Ende.« Das soll Hubert Z. der Bereitschaftsärztin des kassenärztlichen Notdienstes gesagt haben, die ihn zwei Tage vor dem Beginn seines Prozesses in Neubrandenburg für nicht transport- und verhandlungsfähig erklärte. Akute Suizidgefahr und Bluthochdruck sind der Grund dafür, dass sich der zweite von voraussichtlich vier in diesem Jahr beginnenden Auschwitz-Prozessen gleich zu Anfang erneut verzögert. Bereits vor Prozessbeginn war der Gesundheitszustand des Angeklagten Haupt­thema, so wurde er noch im vergangenen Jahr als grundsätzlich nicht verhandlungsfähig einstuftt, was jedoch das Oberlandes­gericht Rostock revidierte.
Der 95jährige Z. ist wegen Beihilfe zum Mord in 3 681 Fällen angeklagt. Bei den Opfern handelt es sich um die Insassen von 14 Deportationszügen, die im Zeitraum vom 15. August bis zum 14. September 1944 im Vernichtungslager Auschwitz ankamen. Als Sanitäter der SS war der Angeklagte zu dieser Zeit in Auschwitz stationiert, nachdem er in den Jahren 1942 und 1943 bereits in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Neuengamme gedient hatte.
Am Montag sollten eigentlich zwei Sachverständige zur gesundheitlichen Verfassung des Mannes angehört werden. Dazu kam es jedoch ohne den Angeklagten nicht. Stattdessen erklärte der Vorsitzende Richter Klaus Kabisch, dass zwar ein Amtsarzt zur Überprüfung des ärztlichen Befunds zum Angeklagten geschickt worden sei, aber weder klar sei, welcher Arzt diesen nun untersuchen werde, noch wann mit einem Ergebnis zu rechnen sei.
Dass Kabisch diese Verhandlung führt, war noch bis vor zwei Wochen unsicher. Die Staatsanwaltschaft und Vertreter der Nebenklage hatten ihn als Richter abgelehnt, da sie ihn für befangen hielten. Dazu veranlasste sie unter anderem die Tatsache, dass bis zu diesem Zeitpunkt nicht einmal Zeugen geladen worden waren. Auch wollte das Gericht den Überlebenden Walter Plywaski nicht als Nebenkläger zulassen, weil dessen Deportationszug einen Tag zu früh in Auschwitz angekommen sei. Auch hier musste das Oberlandesgericht einschreiten.
Die Anspannung wegen der Vorgeschichte war im restlos gefüllten Sitzungssaal zu spüren. Kabisch unterstellte zu Beginn dem Nebenklageanwalt Manuel Mayer ein »Aufmerksamkeitsdefizit«. Eine gewagte Diagnose, wenn man bedenkt, dass er Mayer nur Augenblicke zuvor noch mit dessen Nebenmann verwechselt hatte. Die Verteidigung nutzte die von Kabisch vorbereitete Argumentation vom kranken, »fast 100jährigen« Mann und stellte die Neutralität des psychologischen Sachverständigen Stefan Teipel in Frage. Dieser soll ohnehin erst am 14. März zu Wort kommen – vorausgesetzt, der Angeklagte erscheint. Und selbst dann dürfte es noch eine Weile dauern, bis über seine Taten statt über seine Gesundheit gesprochen wird.