Der Anschlag in der Côte d‘Ivoire und die Offensive der Jihadisten Westafrika

Jihad in der Sahel-Zone

Die Kette der islamistischen Anschläge in Westafrika reißt nicht ab. Zuletzt traf es die Côte d’Ivoire. Die Jihadisten befinden sich in der Offensive.

Mali, Burkina Faso – und nun die Côte d’Ivoire: Der islamistische Terrorismus breitet sich zurzeit mit hoher Geschwindigkeit in Westafrika aus. Am Sonntag vorvergangener Woche verübten Attentäter einen blutigen Überfall auf den Badeort Grand Bassam, ungefähr 40 Kilometer östlich der ivorischen Wirtschaftsmetropole Abidjan gelegen. Die Angreifer tranken Medienberichten zufolge in einer der Strandbars noch ein Bier, bevor sie ihre Sturmhauben hinunterzogen und das Feuer auf Badegäste eröffneten. Insgesamt starben 21 Menschen, unter ihnen drei Terroristen und drei Sicherheitskräfte.
Auch der nunmehr dritte Anschlag in der Region innerhalb weniger Monate soll auf das Konto der Terrorgruppe al-Qaida des islamischen Maghreb (Aqmi) gehen. Im November 2015 nahmen Jihadisten in der malischen Hauptstadt Bamako im Radisson-Blu-Hotel Geiseln; es kamen 20 Menschen ums Leben. 28 Menschen starben Mitte Januar bei einer Attacke auf ein Restaurant und ein Hotel in Ougadougou, der Hauptstadt Burkina Faso.
Es sind »weiche Ziele«, schwer bis gar nicht zu sichern, die sich die Attentäter immer wieder auswählen. Grand Bassam ist ein beliebtes Wochenendziel abseits der hektischen ivorischen Metropole. Dort trifft sich die einheimische Mittel- und Oberschicht mit den internationalen Expats. Unter den Opfern waren vier Franzosen, die deutsche Leiterin des örtlichen Goethe-Instituts, eine UN-Freiwillige aus Mazedonien, Kameruner, Burkiner und Malier.
Aqmi veröffentlichte kurz nach dem Attentat zwei auf Arabisch abgefasste Texte, in denen sie sich zum Anschlag bekannte. Im zweiten, detaillierteren Schreiben bezeichnete die Gruppe den Anschlag Radio France International zufolge als »Vergeltung an Frankreich« und wollte ihn verstanden wissen als Warnung an die Côte d’Ivoire und alle Verbündeten, die sich am Kampf gegen die Jihadisten beteiligen.
Die Côte d’Ivoire ist ein enger Verbündeter Frankreichs in Westafrika. Das Land ist Teil der Operation Barkhane, in deren Rahmen 3 000 französische Soldaten in Zusammenarbeit mit den Sahel-Ländern Burkina Faso, Tschad, Mali, Mauretanien und Niger gegen Jihadisten in dieser Region vorgehen. Hier befindet sich eine größere permanente Basis der französischen Truppen. Die Operation Barkhane folgte auf die Intervention in Mali im Januar 2013, mit der der von Islamisten und einheimischen Tuareg-Gruppen besetzte Norden des Landes befreit werden sollte. Doch die Terroristen in Nordmali sind alles andere als geschlagen. Sie zogen sich in entlegene Teile der Wüstenregion zurück und sind, so zeigen es die Anschläge der vergangenen Monate, handlungsfähiger denn je.
Die Wurzeln von Aqmi reichen bis zum Ende der neunziger Jahre zurück. Ihr Vorläufer ist die algerische Groupe Salafiste pour la Prédication et le Combat (GSPC), die sich 1998 von der Groupe Islamique Armé (GIA) abspaltete. Die GIA lieferte sich mit der algerischen Regierung während der neunziger Jahre einen brutalen Bürgerkrieg. Eine zentrale Person in all diesen Organisationen ist Mokhtar Belmokhtar, der bereits 1991 mit den afghanischen Mujaheddin gegen die sowjetischen Truppen kämpfte. Er führt seine eigene Brigade, ist jedoch eng mit Aqmi verbunden. Im Januar 2013 nahm seine Gruppe 800 Geiseln in einer südalgerischen Gasanlage und tötete Dutzende Menschen. Es ist unklar, ob Belmokh­tar noch lebt, doch seine Kameraden stellen derzeit unter Beweis, dass mit ihnen nach wie vor zu rechnen ist.
Belmokthar ist auch ein anschauliches Beispiel für die regionale Verankerung der Islamisten in der Sahel-Zone und die Verquickung von politischem Kalkül mit geschäftlichen Interessen. Aqmifinanzierte sich zu einem erheblichen Teil aus dem Lösegeld, das westliche Staaten für die Freilassung entführter Staatsbürger zahlten. Die Gruppe und ihre Verbündeten sind darüber hinaus zentrale Akteure in den Schmuggelgeschäften mit illegalen Drogen, Zigaretten und Menschen. Das trug Belmokthar den für einen Islamisten wenig schmeichelhaften Beinamen »Mr. Marlboro« ein.
Doch es ist keinesfalls so, dass der Norden von Mali, die angrenzenden Regionen von Algerien, Mauretanien und Niger der zentralstaatlichen Kontrolle gänzlich entzogen und – im Jargon des US-Militärs – ungoverned spaces sind. Über viele Jahre kooperierten zentralstaatliche Akteure aus Mali mit den Islamisten und verbündeten Tuareg-Gruppen und versuchten, mittels lokaler Machthaber ihre geschäftlichen Interessen durchzusetzen. Während der zweiten Amtszeit des damaligen malischen Präsidenten Amadou Toumani Touré (2007 bis 2012) verfestigte sich eine Schattenwirtschaft aus Schmuggel, klandestinem Handel und Entführungen, die der Ausbreitung des Jihadismus einen perfekten Rahmen bot.
Diese indirekte Herrschaft mit Hilfe lokaler Herrscher kam im Januar 2012 an ihre Grenzen. Waffen aus libyschen Depots überschwemmten die Region, die Islamisten sahen ihre Chance gekommen: Im Bündnis mit einigen Tuareg-Gruppen, von denen ein Teil in Libyen unter Muammar al-Gaddafi gedient hatte, wagten sie die Abspaltung vom Zentralstaat. Nun entglitt der Norden Malis zusehends der Kontrolle der Zentralregierung, und die Armee des Landes löste sich innerhalb kürzester Zeit auf oder lief zu den Islamisten über. Im März 2012 putschte das Militär gegen den Präsidenten Touré, dem es Unfähigkeit angesichts des Aufstandes im Norden vorwarf.
Die Intervention der französischen Armee im Januar 2013 konnte zwar den Vormarsch der Islamisten auf die Hauptstadt Bamako aufhalten, sie zurückschlagen und einige Anführer töten. Doch eine Vielzahl der Gruppen, die im Norden des Landes einen Gottesstaat errichten wollen, war in der Lage, sich der Verfolgung durch Frankreich zu entziehen. Heutzutage ist die Sahel-Zone eine der wichtigsten Fronten im Kampf der Islamisten gegen den verhassten Westen.
Besondere Aufmerksamkeit gewann bei Beobachtern die Herkunft der drei Terroristen, die nach der Attacke in Grand Bassam bisher identifiziert wurden. Sie sind offenbar nicht aus Nordafrika, sondern Westafrikaner. Das Statement der Aqmi bezeichnete zwei der Angreifer als »al-Fulani«, eine Ethnie, die in ganz Westafrika zu Hause ist. Der dritte Mann wird »al-Ansari« genannt – ein Einheimischer. Es zeichnet sich also ab, dass die Jihadisten in der Lage sind, unter Jugendlichen in den Zielländern ihrer Anschläge zu rekrutieren und nicht mehr auf Freiwillige aus dem Maghreb angewiesen sind.
Während der vergangenen drei Jahrzehnte sponserten vor allem Akteure aus Saudi-Arabien die Verbreitung wahhabitischer Islaminterpretationen im gesamten subsaharischen Afrika. In Ländern wie dem Senegal gewinnt in letzter Zeit diese strikte Auslegung des Koran immer mehr an Beliebtheit und macht dem noch herrschenden Sufismus und den vier Bruderschaften Konkurrenz. Neben den Verbündeten von al-Qaida verbreitet auch ein Ableger des sogenannten Islamischen Staats (IS) Terror: Boko Haram, so zeigte es ein Selbstmordanschlag in der vergangenen Woche auf eine Moschee in Maiduguri, ist trotz der Offensive der nigerianischen Armee weiterhin handlungsfähig.
Beide Terrorgruppen unterscheiden sich in Strategie und Taktik nur marginal voneinander. Sowohl Boko Haram als auch Aqmi richten sich gegen die Hauptakteure aus dem Westen – vor allem die USA und Frankreich – und deren afrikanische Verbündete. Die Konkurrenz zwischen den IS und al-Qaida, die auch durch gelegentliche Kooperation geprägt ist, könnte in einen Wettlauf um die effektivste und tödlichste Terrorkampagne münden.
So ist die Frage nicht, ob in Kürze erneut ein Anschlag stattfinden, sondern vielmehr, wen es wann treffen wird. Am Montagabend griffen Bewaffnete die EU-Ausbildungsmission in der malischen Hauptstadt Bamako an. Für die Côte d’Ivoire gab es vor dem Attentat Warnungen, und der nächste Schlag könnte sich nun gegen den Senegal richten, einen weiteren engen Verbündeten Frankreichs und der USA. Auch das westlich von Nigeria gelegene Benin, das sich am regionalen Kampf gegen Boko Haram beteiligt, könnte zum Ziel der Islamisten werden. Ihnen gelingt es offenbar, sich in Westafrika und dem Sahel zu etablieren.