»Form und Inhalt unterscheiden«

Gabriele Rittig, Anwältin und juristischer Beistand des Satire-Magazins »Titanic«, über den deutsch-türkischen Satirestreit

Mögen Sie Böhmermann?
Ich mag seine Sendung und halte ihn für einen der begabtesten Satiriker Deutschlands.
Kann man ihn überhaupt nicht mögen?
Schwer zu sagen. Meistens wird es wohl daran liegen, dass man politisch anderer Meinung ist und Schwierigkeiten hat, die gnadenlos übertriebene Form der Satire von dem Inhalt zu unterscheiden.
Würde es Sie reizen, Böhmermann zu vertreten?
Selbstverständlich.
Wäre Böhmermann in der Türkei – ohne Twitter – als Satiriker besser aufgehoben?
Dort wäre er im Zweifel schon mit einem Berufsverbot belegt oder gar im Gefängnis, wenn man sich die dort zurzeit üblichen Maßnahmen gegen unliebsame Journalisten ansieht.
Kann man Böhmermann dafür verantwortlich machen, wenn sein Gedicht ohne Berücksichtigung des satirischen Kontextes zitiert wird?
Eigentlich nicht. Dies wäre nur möglich, wenn man ihm über den Umweg des Verständnisses seiner Zuschauer vorwirft, er habe damit rechnen müssen und dann auch noch »billigend in Kauf genommen«, dass ein wesentlicher Teil seiner Zuschauer sein Gedicht als ernstgemeint auffasst und dann auch noch davon ausgeht, Herr Erdoğan tue zumindest einige der dort beschriebenen Dinge oder es sei ihm zuzutrauen.
Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE, erklärte sich mit den Inhalten der Satire solidarisch. Drohen ihm Konsequenzen?
Wer sich die Beleidigung eines anderen zu eigen macht und sie selbst quasi in eigenem Namen veröffentlicht, kann theoretisch ebenfalls strafrechtlich oder zivilrechtlich verfolgt werden, anders, als wenn man über den Vorgang nur berichtet.
Darf die Titanic mehr als der öffentlich-rechtliche Böhmermann?
In einem Printmedium hat man es etwas leichter, nicht weil es nicht öffentlich-rechtlich ist, sondern weil ein Beitrag, der als Text vorliegt und entsprechend eingebettet ist und zudem in einer Zeitschrift erscheint, die als satirisches Magazin ausgewiesen ist und in der Regel auch käuflich erworben wird, dann auch nur von denen wahrgenommen wird, die die satirische Form erkennen und würdigen. Der »satirekundige« Leser hat nach der Rechtsprechung ein anderes, weiteres Verständnis als derjenige, der zufällig das Fernsehen einschaltet und dann unter Umständen nicht den gesamten Kontext wahrgenommen hat.
Wie boxt man einen Satiriker aus einer Staatsaffäre heraus?
Genauso, wie man jeden aus juristischen Problemen rausboxt, jedenfalls was den strafrechtlichen Teil angeht. Aus einer Staatsaffäre kann ihn aber wohl nur die öffentliche Meinung und eine genügende Anzahl von Pressereaktionen und Solidaritätsbekundungen befreien.
Was wird der Spaß Böhmermann kosten?
Das ist schwer zu sagen, da ein Strafprozess erheblich billiger ist als ein Zivilverfahren, das ihm ja auch droht und wo dann in der Tat, je nach festgesetztem Streitwert, hohe fünfstellige Beträge anfallen können. Im Strafrecht bemisst sich die Geld­strafe an seinem Einkommen, also ein Tagessatz beläuft sich auf das Monatseinkommen geteilt durch 30.