Feminismus und Werbung

Verführung zur Mündigkeit

Warum es keine richtige Werbung im Falschen noch richtige Argumente gegen die Reklame geben kann.

Eine kleine Meldung im Spiegel löste vor Kurzem einigen Trubel aus. »Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) will geschlechterdiskriminierende Werbung in Deutschland unterbinden«, hieß es dort. Er folge dabei einem »Beschluss der SPD-Parteispitze (…), die in Reaktion auf die sexuellen Übergriffe der Silvesternacht in Köln ein ›moderneres Geschlechterbild‹ im Land etablieren will«.
Diese Logik entspricht ziemlich genau der feministischen Kritik, die sich nach Köln durchsetzte und die sich in ganz verallgemeinerter Form um Gewalt gegen Frauen thematisierte. Jetzt wird nahegelegt, die massenhaften Übergriffe seien ein Resultat der Darstellung von Frauen in der Werbung.
Der Deutsche Werberat ist bislang dafür zuständig, Reklamen zu rügen, »die den Eindruck erwecken, Personen seien käuflich zu erwerben, oder Personen mit Objekten gleichsetzen; die Personen auf ihre Sexualität reduzieren oder ihre sexuelle Verfügbarkeit nahelegen; die mit übertrieben herausgestellter Nacktheit eine Herabwürdigung des Geschlechts vermitteln; die einen pornographischen Charakter besitzen.« Maßstab sind dabei neben der Mär des durchschnittlich mündigen Otto Normalverbrauchers und der bewussten Konsumentin Lieschen Müller auch »die allgemein anerkannten Grundwerte in der Gesellschaft sowie die dort vorherrschenden Vorstellungen von Anstand und Moral«.
Noch zu Marxens Zeiten wurde die Ware auf dem Markt eher feilgeboten beziehungsweise wohlfeil angeboten, wie Marx immer wieder betonte. Heute ist davon noch der Begriff des »Feilschens« geblieben. Beides verweist auf die vorrangige Bedeutung des niedrigen Preises für den Konkurrenzkampf. Die Werbung, also das Umwerben, hingegen hat ihren kreatürlichen Ursprung in der tierischen Balz. Sie entstammt dem Sexuellen und der Verführung. In der Brautwerbung und dem späteren individualisierten Heiratsantrag wird die Frau vom Mann umworben, auf dass aus ihr die mehr oder we­niger sittsame Ehefrau werde. Deren notwendiges Korrelat war bekannterweise die Hure. Diese war frei in dem doppelten Sinne, dass sie frei von der permanenten Versorgung des einen Mannes, somit frei war, ihren Körper an viele zu verkaufen. Sie bot sich dar, sodass der jeweilige Mann sich auch einmal umworben fühlen durfte, was er freilich zu entlohnen hatte. Die gemeinhin als älteste Gewerbe der Welt bezeichnete Prostitution und der in sie eingeschriebene Zusammenhang von Geld, Konsum und Sexualität avancierten neben der Homosexualität zum Vorbild der freien Liebe aus purem Vergnügen, die sich der Fortpflanzung versagte und somit scheinbar sich selbst als Zweck genug war. Die Soziologin Eva Illouz wies auf die Wechselwirkung zwischen der modernen romantischen Liebe und dem Konsum am Beispiel des neu aufkommenden Rendezvous hin. Ausgehen und sich amüsieren wurden nun feste Bestandteile der Partnerwahl mit dem heutigen Ergebnis, dass die gesamte Liebe und vor allem die Sexualität maßgeblich vom Konsum substituiert sind. Der Konsum ist somit bis in seine innersten Züge auch sexuell geprägt.
Über die Wirkungsweise der heutigen Werbung, also in Zeiten der psychischen Subsumtion unter das Kapital nach der formellen und reellen Subsumtion, gibt es mindestens zwei verschiedene Sichtweisen. Zum einen die von Ernst Primosch, CEO der PR-Agentur Hill & Knowlton, der meint: »Die Werbung ist ein Ort, an dem sich die tiefgreifenden Erscheinungen einer Epoche ausdrücken, deren Geschichte, Ängste, Mythen, Vorlieben und Interessen.« Und zum anderen die der Initiative Pinkstinks, von der sich Heiko Maas bei der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs beraten ließ: »Zunächst ist Werbung nicht nur ein Spiegel der Gesellschaft. Werbung wirkt.« Sie konstruiere etwas. Aber Werbefachleute sind oftmals die besseren und widerlicheren Psychologen. Es war schließlich Sigmund Freuds Neffe Edward Bernays, der die Bezeichnung und das Wesen des PR-Beraters prägte, und der beispielsweise verkleidete und rauchende Suffragetten aufmarschieren ließ, um das bisher verpönte weibliche Rauchen als Akt der Emanzipation zu inszenieren. Schon sein Onkel jedoch hatte in seiner »Massenpsychologie« darauf hingewiesen, dass man die Bedeutung der aktiven Suggestion, also der tatsächlichen Hinzugabe, nicht überbewerten sollte. Auch das Wort Reklame, welches erst von den Nazis aufgrund seines angeblich jüdischen Charakters in einer Diskursschlacht flächendeckend in Werbung geändert wurde, scheint der obigen These des Werbeexperten gegen die der Aktivisten Recht zu geben. Die ungefähre Bedeutung des Wortes Reklame lautet »Ins-Gedächtnis-Rufen« im Sinne von »Zurückrufen«, da man schließlich nur erinnern kann, was schon einmal gewusst wurde. Dass die Werbung zu großen Teilen auf das Unbewusste zielt, dürfte mittlerweile Konsens sein. Was sie dort macht, ist aber äußerst strittig. Denn keineswegs ist das Unbewusste konkret ansprechbar. Man kann ihm keine bestimmte Marke verkaufen. Unbewusst wirkt die Reklame nur im allgemeinen Sinne. Sie soll für den Konsum sans phrase werben. Das heißt aber nicht, dass sie bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse schafft, sondern sie findet sie eher vor und reizt sie aus, wodurch sie selbstverständlich auch bestätigt werden. Jenes beständige Zitieren des Immergleichen durch die Reklame bildet den Zeitkern sowohl der Sprechakttheorie als auch des Poststrukturalismus und seiner Vorstellung vom Diskurs.
»Ein Bild sagt mehr als tausend Worte«, soll Paul Julius Reuter dem Gerücht nach gesagt haben. Auch die anfänglich sehr textlastige, beschreibende Reklame wurde immer mehr um Darstellungen erweitert, bis diese schließlich dominierten, während die Worte meist nur noch in Gestalt des Slogans Eingang in eine Kampagne fanden. Im 20. Jahrhundert kommen dann auch erste sexuelle Anspielungen und Nacktabbildungen, sogenannte Pin-ups auf, die in dem Maße zunahmen, in dem die Massenproduktion und der »Konsumismus« an Bedeutung gewannen. In der heutigen Phase der »Sexu­alisierung« kehrt die Werbung gewissermaßen zu ihrem eigenen Ursprung zurück. Das Bildreservoir der Werbung bedient sich aus den all­gegenwärtigen Inszenierungen der Pornographie, die älter ist als die entsprechenden Werbeformen, und holt sich ihre Rollenklischees auch in den Präsentationen des Mario Barth oder von »Cavemen«, deren jeweiliger Erfolg schon für sich spricht und von dem sich die Werbung durchaus bemüht, etwas abzustauben. Man sollte in diesem Zuge auch nicht vergessen, dass die meisten gerügten Beispiele, also die ganz vulgären Varianten, von Autowaschanlagen und Wurstbuden aus der tiefsten Provinz stammen.
»Wer Deko ist, ist Objekt«, heißt es in einem anderen Spiegel-Text. In einem Modell ein Subjekt sehen zu wollen, ist aber ebenso absurd wie dies bei der Rolle eines Schauspieler – gleich welchen Geschlechts – zu versuchen. Angeblich wird die Frau in ihrer Darstellung in der Reklame immerzu zum Produkt. Spannend ist doch aber eigentlich, dass zumindest in demselben Maße das Produkt zur Frau wird. Besonders eindringlich zeigte dies die Kampagne »Jetzt kommt Alice«, in der Vanessa Hessler, Model und Gaddafi-Sohn-Liebschaft, die Städte zierte, das eigentliche Produkt, ein DSL-Anschluss, aber erst sehr viel später eingeführt wurde. Man könnte sagen, dass in der »sexistischen Werbung« der Marxsche auf den Freudschen Fetisch trifft. Im Fetischcharakter der Ware scheinen »die Produkte de(r) menschlichen (Hand) mit eignem Leben begabte, untereinander und mit den Menschen in Verhältnis stehende selbständige Gestalten« zu sein. Der sexuelle Fetischismus hingegen beruht in erster Linie auf der Kastrationsangst und deren Konsequenz. Jene pathologische Personi­fizierung des sachlichen Objekts, also die Ersetzung des ursprünglich begehrten Objekts durch andere Objekte der Begierde, die sich selten als Leidensdruck manifestiert, wird heute verallgemeinert, da wir in einer Zeit leben, in der nach Adorno »Kastration charakteristischer als Konkurrenz« ist. Es handelt sich um eine scheinbare Aufhebung des Fetischcharakters der Ware, indem er libidinös aufgeladen, personifiziert und somit potenziert wird. Die Reklame schlägt die Psychologie mit ihren eigenen Waffen und schließlich steht die Frau für das Produkt. An jener Imago hat sich nun der gaffende Konsument seine Befriedigung zu suchen, kann es jedoch gar nicht, da der voyeuristische Akt nur Vorlust ist. Werbung und Vorspiel gleichen sich hierbei ungemein, denn wie im Falle der sexuellen Erregung der Verführer, so ist in der Erregung durch die Werbung die Marke sogleich zur Stelle – zumindest, sofern alles nach Plan verläuft. Was im einen Falle der Tauschakt, ist im anderen der Sexualakt – die Doppelbedeutung des Wortes Verkehr weist darauf schon hin.
Das Problem der Werbung ist nun gerade, dass prinzipiell nicht die Frau, sondern das Produkt im Mittelpunkt stehen sollte, was jedoch meist nicht gelingt. Immer häufiger weisen Studien darauf hin, dass erotisch angehauchte Werbung nicht sonderlich effizient ist, jedenfalls nicht, um die erwünschte Markentreue aufzubauen. Es ist sehr effizientes Heischen nach Aufmerksamkeit, das in den meisten Fällen den Blick aber so sehr auf das nur Unterstützende lenkt, dass die beworbene Marke gar nicht bemerkt wird. Das unbewusste Moment überwiegt das bewusste und verfehlt somit die intendierte Wirkung. Trotz der Latenz dieser Erkenntnis in der Werbebranche hätte sich das angestrebte Verbot also vielleicht ohnehin bald erledigt. Die dem liberalistischen Laissez-faire verpflichtete Phrase, dass der Markt das schon regelt, könnte hier ihren eh schon geringen Wahrheitsgehalt zeigen, indem die Konkurrenz jene scheinbar ineffizienten Methoden aussiebt.
Was bleibt, ist die Werbung für das falsche Ganze. Weiterhin angesprochen wird nämlich der Narzissmus, aufgrund dessen die Kritikerin wie der Bewunderer der Werbung denken, dass sie von dem lasziven Blick des Modells tatsächlich gemeint und angesprochen sind. Daraus speist sich schließlich auch die paranoide Vorstellung, quasi von Plakaten verfolgt zu werden. In der Tat entfaltet die Reklame einige Wirkung, wer hier jedoch ernsthaft von Zwang und Gewalt spricht, meldet vor allem die eigene Unmündigkeit an. Auch als Marxscher »stummer Zwang der Verhältnisse« kann die Reklame nicht einfach beschrieben werden, denn dieser meint den Hunger und den daraus erwachsenen Zwang zur Arbeit. Die direkte Werbung auf Plakaten oder Ähnlichem ist so ziemlich das Vulgärste an Ideologieproduktion, wenn man sie beispielsweise mit der Kulturindustrie vergleicht. Erste verhält sich zu Letzterer wie der Pawlowsche Hund zur Tiefenpsychologie.
Zweierlei ist an der Kritik der sexuellen Werbung und dem daraus erwachsenen Verbotsvorstoß prinzipiell zu bemängeln: Erstens ist das bemängelte Phantasma der allgemeinen Verfügbarkeit nicht einfach per se zu verwerfen, sofern man nicht vorhat, ähnlich vulgärkonservativ und puritanisch zu verfahren wie Aldous Huxley mit der Schönen Neuen Welt. Der Unterton der Kritik zielt auf die Ablehnung sexueller Verführung und Freigiebigkeit, aber die »Empörung über das falsche Glück opfert mit diesem auch die Idee des richtigen.« (Adorno) Jene universelle Verfügbarkeit und sexuelle Verführung, die mit der heutigen planmäßigen Polyamorie nicht das Geringste gemein hat, wäre ja erst das Ende des sexuellen Wettbewerbes, der beispielsweise die Protagonisten Michel Houellebeqcs so ungemein zur Verzweiflung treibt und von dem niemand weiß, ob er mit dem ökonomischen enden würde.
Wer sich nun zweitens eine bessere oder gar »emanzipatorische« Werbung wünscht, hat sich längst verabschiedet von der notwendigen allgemeinen Kritik der Reklame, wie sie beispielsweise in der »Dialektik der Aufklärung« entwickelt wurde. Der Kunde ist vielmehr je nach Bedarf pubertärer oder infantiler König, der in Ahnung der mangelnden Qualität der Ware einfach eine höhere Qualität ihrer Bewerbung fordert. Die Kritik der Gesellschaft muss sich notwendigerweise ihrer ­eigenen Triebkräfte bedienen; ihre Reklame verfährt aber ebenso, nur sehr viel effizienter. Es handelt sich hierbei um eine Branche mit einem Umsatz in vielfacher Milliardenhöhe und, ehrlich gesagt, auch zahlreiche der heutigen Jungle World-Autoren werden zumindest zeitweise in diesem Bereich arbeiten, sofern sie schreibend ihren Lebensunterhalt bestreiten möchten. Solch eine Prognose kann man ganz ohne Häme aussprechen, da die Realität dieser Tätigkeiten Urteil genug ist. Sofern der politische Aktivismus und Journalismus jedoch allzu deutlich schon ein Einüben in die allgemeine Funktion der Reklame ist, die wunderbar vom konkreten Inhalt zu abstrahieren vermag, darf man das getrost kritisieren. Ironischerweise wiederholt auch gerade die Kritik der Werbung – als Gegenwerbung – jene Werbung durch Zitat der Slogans und Bilder, nur unentgeltlich. Wie »kritisch« das geschieht, ist völlig gleichgültig, denn das Unbewusste kennt keine Verneinung; was oft genug gesehen wurde, wird für es irgendwann existieren.
Die Allgegenwärtigkeit der Reklame zeigt sich in nahezu allen Bereichen des Lebens, besonders intensiv jedoch in linksradikalen oder antideutschen Demoparolen sowie -transparenten, in politischer Musik und zieht sich bis in die kleinsten Nuancen der Sprache. Wolfgang Pohrt hat die Protestbewegung jeglicher Couleur deshalb völlig zu Recht beschrieben als »Juniorpartner der Kulturindustrie einschließlich deren politischer Abteilung«. Gemeint ist damit in Abgrenzung zur Kritik der Akt der Verführung im Politischen, der Wunsch, die Massen zu erreichen, durch das Mittel sich ihnen so weit wie möglich gleichzumachen. Die »sexistische« Werbung ist vielmehr ein Epiphänomen der allgemeinen Reklame, die den Gehalt Letzterer nur am offensichtlichsten bloßstellt. Die Reklame, deren Nähe zur Propaganda offenkundig ist, verträgt sich mit der »negativen Aufhebung des autoritären Charakters« (Böckelmann) wunderbar, während die Freude gegen das Verbot jener Werbung vor allem mit dessen genuinem Wesen korreliert. In diesem Zuge wäre das Verbot eher als Machtdemonstration über den Konkurrenten in der Meinungsproduktion zu betrachten. Weder der ­juristische Befehl (Verbot) noch die politische Verführung (Reklame) sind ein »Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit«. Adorno, der sich solcher Zusammenhänge bewusst war, bevorzugte in seinen Erziehungsvorträgen deshalb statt eines Verbotes eher den Weg, die ganze Chose durch Aufklärung »madig zu machen«, denn es gilt weiterhin der »erste und einzige Grundsatz der Sexualethik: Der Ankläger hat immer unrecht.«