Die malische Tuareg-Organisation MNLA hat sich gespalten

Der diskrete Charme der Jihadisten

In Mali hat sich die Tuareg-Organisation MNLA gespalten. Eine Fraktion kooperiert mit der jihadistischen Miliz Ansar Dine, die andere mit dem malischen Staat.

Die Stadt Kidal im äußersten Nordosten Malis scheint weiterhin von extremen Spannungen geprägt zu sein. Am 18. April starb dort mindestens ein Demonstrant, manche Quellen sprechen von zwei, bei Auseinandersetzungen mit der UN-Truppe »zur Stabilisierung Malis« (Minusma). Die französische Nachrichtenagentur AFP erwähnte eine »Demonstration gegen die Präsenz ausländischer Streitkräfte«, der internationale Rundfunksender RFI sprach sinngemäß von einer antifranzösischen Demonstration. Die algerische Zeitung Le Temps schrieb von einem »Gemetzel« und meldete: »Die Minusma schießt auf die Bevölkerung.«
Was war passiert? Protestierende Männer und Frauen hatten versucht, auf das Gelände des Flughafens vorzudringen, auf dem sowohl die UN-Truppe als auch die französische Streitmacht der »Operation Barkhane« stationiert sind. Daraufhin wurde das Feuer eröffnet. Mindestens eine namentlich identifizierte Person, Ibrahim Ag Baba Ahmed, kam dabei zu Tode.
Doch der Eindruck, hier gebe es so etwas wie einen beginnenden Aufstand gegen die internationalen oder französischen Truppen, trügt. Demons­triert hat an jenem 18. April vielmehr eine ganz bestimmte politisch-ideologische Strömung: die der Unterstützer der jihadistischen Gruppe Ansar Dine (Unterstützer des Glaubens). Und die Demonstrierenden hatten ein ganz spezifisches Anliegen: Sie wollten die Freilassung von acht Personen erreichen, die die französische Barkhane-Truppe festgenommen hatte, im Rahmen einer strafrechtlichen Ermittlung wegen eines Attentats am 12. April, bei dem drei französische Soldaten getötet worden waren. Die Verhaftungen erfolgten noch am selben Tag.
Der Zwischenfall belegt auch die tiefe Spaltung unter den bisherigen Rebellen in Nordmali und die Annäherung einer ihrer Fraktionen an die Jihadisten. Zu den wegen der Minenexplosion vom 12. April Festgenommenen zählen M’barek Ag Mossa und Ahmed Ag Barka, zwei frühere Kommandanten des MNLA, der separatischen und von Tuareg getragenen »Nationalen Bewegung zur Befreiung des Azawad«. Der MNLA ist die wichtigste Organisation der »Koordination der Bewegungen von Azawad« (CMA) in Nordmali, seines Zeichens Vertragspartner der Zentralregierung bei dem im Juni vorigen Jahres feierlich unterzeichneten Friedensabkommen. Zuvor kämpfte sie für eine Abspaltung des in den Berbersprachen der Tuareg als »Azawad« bezeichneten Nordens von Mali.
Doch der MNLA hat sich darüber gespalten. Einer seiner Flügel hielt vom 7. bis 9. April einen Kongress in Kidal ab, einer Stadt, die nach wie vor von ehemaligen Rebellen aus den Reihen von MNLA und CMA kontrolliert wird. Bei dem Kongress wurde auch ein Grußwort des Anführers von Ansar Dine verlesen, des jihadistischen Warlords und früheren Konsuls in Saudi-Arabien, Iyad Ag Ghal. Darin proklamierte er: »Wir bekämpfen nicht den MNLA. Wir bekämpfen einen Teil des MNLA, der Frankreich und Barkhane unterstützt. Frankreich ist unser Feind, der Feind des Volkes von Azawad, weil es 1960 den malischen Staat über uns gebracht hat.« 1960 errang Mali die Unabhängigkeit von Frankreich.
Der Bruch zwischen einer mit dem Zentralstaat kooperierenden und einer anderen Fraktion der früheren Tuareg-Rebellen ist damit vollzogen. Denn die Mehrheit unter ihnen und die CMA setzen nach wie vor auf den Friedensprozess mit der Zentralregierung. Daran haben sie auch mehr denn je ein Interesse, denn am 31. März dieses Jahres verabschiedete das Parlament Malis einen Gesetzentwurf, der eine wichtige Konsequenz aus den Vereinbarungen mit den ehemaligen Rebellen ist. Er sieht die Bildung zweier neuer Gebietskörperschaften vor, die nördlichen Regionen Ménaka und Taoudéni, sowie die Einsetzung von autorités intérimaires genannten regionalen Übergangsregierungen. An ihnen sollen Repräsentanten der ehemaligen Rebellen beteiligt werden.
Wegen der Aussicht auf Posten und auf die Verteilung von Staats- und Entwicklungsgeldern an die je eigene Klientel sind viele Anführer und Kader der ehemaligen Rebellenbewegung daran brennend interessiert. Somit könnte schon bald eine neue und nutzlose bürokratische Schicht in den Regionen entstehen. Nicht zuletzt deshalb herrscht derzeit an dem Entwaffnungsverfahren, das für frühere Rebellen eingeleitet wurde, rege Beteiligung. Um daran teilnehmen zu können – auch wenn man gar keine Waffe besitzt oder diese nicht abgeben möchte –, hat ein reger Handel mit Kalaschnikows eingesetzt. Die Zeitung L’Indicateur du Renouveau schreibt von Kaufpreisen zwischen umgerechnet 500 und 900 Euro. Zugleich ist die Presse Malis voll mit Berichten über Waffendiebstähle bei der Armee, deren Führung deswegen Ermittlungen aufgenommen hat.
Dem malischen Staat ist daran gelegen, die vormaligen Rebellen in einen solchen Prozess einzubinden, um auf internationaler Ebene den Eindruck von Stabilität vermitteln zu können. Vergangene Woche nahm der malische Staat zum ersten Mal Kredite über Staatsanleihen auf den Finanzmärkten der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) auf. Und als erster afrikanischer Staat schloss Mali am 15. April, im Rahmen des im Oktober 2015 bei einem Gipfel auf Malta initiierten sogenannten La-Valletta-Prozesses, ein Abkommen mit der EU zur Migrationskontrolle und zur Rücknahme unerwünschter Migranten.
Drei Tage zuvor war Staatspräsident Ibrahim Boubacar Keïta in Paris an einem Tumor im Halsbereich operiert worden. Seine anderthalb Wochen dauernde Abwesenheit legte in Mali die innenpolitischen Konflikte für ein paar Tage relativ still. Doch nun brechen sie wieder voll auf. Die Gewerkschaften setzen die Regierung unter Druck, die Privatschulen – deren Zahl in den vergangenen Jahren wegen schlechter Zustände im kostenlosen öffentlichen Schulwesen anstieg – sind infolge von Streiks geschlossen. Auch unter den Bankangestellten rumort es. In mehreren Dörfern erhebt sich die Bevölkerung gegen land grabbing und Bodenspekulation, die ihnen die Lebensgrundlagen zu entziehen drohen. In den Dörfern Sahou und Sanamadougou, die seit dem Jahr 2010 gegen solchen Bodenraub kämpfen, fanden Landbesetzungen statt. Auch anderswo in ländlichen Zonen beginnen ähnliche Konflikte, zuletzt in Marakakoungo.
Angesichts dieser Probleme versucht der malische Staat, zumindest den großen Konflikt im Norden stillzustellen.