Eine Studie über die angeblich konservative junge Generation

Nichts als junge Spießer

Eine neue Studie will herausgefunden haben, dass heutige Jugendliche konservativer sind als ihre Eltern.

Noch vor den ersten grauen Haaren und Werbebriefen, die einen zum Abschluss einer Sterbeversicherung auffordern, ist das Unverständnis für »die Jugend von heute« ein untrügliches Zeichen des Älterwerdens. Gerne werden die so Klagenden auf Sokrates verwiesen, der schon seinerzeit über den mangelnden Respekt und das schlechte Benehmen der jungen Leute gemeckert haben soll.
Die heutigen Ü30er dürften allerdings die erste Generation der Menschheit sein, der die Jüngeren nicht etwa zu aufsässig, sondern zu spießig sind. Auch die Ende April veröffentlichte Studie des Sinus-Instituts scheint diesen Befund zu bestätigen. Sie attestiert den 14- bis 17jährigen eine Orientierung an Werten wie Familie, Wohlstand, Leistung, Pflichterfüllung und Anpassungsbereitschaft.
Nun ist die Studie mit einer gewissen Vorsicht zu genießen: Gerade einmal 72 Jugendliche wurden befragt, wenn auch gründlicher als in herkömmlichen Umfragen. »Nicht im statistischen, wohl aber im psychologischen Sinne repräsentativ« nennen das die Forscher. Im Großen und Ganzen decken sich die Erkenntnisse allerdings mit denen der wesentlich breiter angelegten Shell-Jugendstudie 2015, die Dinge wie einen sicheren Arbeitsplatz, Respekt vor Recht und Gesetz, Fleiß und Ehrgeiz als Prioritäten der unter 25jährigen aufzählt.
»Bei uns hätte es sowas nicht gegeben«, mögen die Älteren stoßseufzen und die Schuld in überehrgeizigen Eltern und einem auf Stromlinienförmigkeit angelegten Bildungssystem suchen. Wer während des Bummelstudiums aber noch die Muße für den Marx-Lesezirkel hatte, erinnert sich vielleicht noch, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt: Die Sehnsucht der Jugendlichen nach Sicherheit dürfte nicht zuletzt eine Reaktion auf wachsende materielle und gesellschaftliche Unsicherheit sein.
Wozu sie laut Sinus-Studie allerdings kaum Zuflucht suchen, ist die nationale Horde. Die Mehrheit der Befragten sehen den Begriff der Nation neutral, entsprechend schwach sei der emotionale Bezug zu Symbolen wie Flagge oder Hymne. Man sollte die Hoffnung in die Jugend also nicht ganz aufgeben. Und sich daran erinnern, dass Sokrates’ Nörgelei über die jungen Leute ihn auch nicht vor der Todesstrafe wegen »Aufwiegelung der Jugend« bewahrte.