Wahlrechtsentzug für Straftäter

Keine Wahl im Knast

Der Entzug des Wahlrechts gehört immer noch zum Strafrepertoire deutscher Gerichte. Die Aussicht auf eine Änderung ist gering.

Als das Oberlandesgericht München am 17. März den Angeklagten Markus R. wegen Landesverrats verurteilte, erhielt er zusätzlich zu einer achtjährigen Haftstrafe eine Sanktion, die in Deutschland nur wenigen Straftätern zuteil wird: Ihm wurde für fünf Jahre das Wahlrecht entzogen. R., einem früheren Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes, wurde vorgeworfen, dem US-Geheimdienst NSA über mehrere Jahre vertrauliche Dokumente zugespielt und dafür Geld bekommen zu haben. Zudem soll er Kontakt zur russischen Botschaft in Berlin aufgenommen haben, um dieser ebenfalls Dienstgeheimnisse zu übermitteln. Der Doppelspion Markus R. war geständig und gab unter anderem an, die Sehnsucht nach »Nervenkitzel« habe ihn zu seiner Tat getrieben.
Das passive Wahlrecht, also das Recht, für ein politisches Mandat zu kandidieren, ist Straftätern automatisch verwehrt, die eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr abbüßen. Zudem können jene, die im Rahmen des Maßregelvollzugs in einer forensischen Psychiatrie untergebracht sind, nicht gewählt werden. Hingegen dürfen Gerichte das aktive Wahlrecht, also das Recht zur Stimmabgabe, nur in Ausnahmefällen für zwei bis fünf Jahre entziehen. Dies sieht das Strafgesetzbuch vor allem bei politischen Straftaten vor, etwa Landesverrat, Wahlfälschung oder Abgeordnetenbestechung. Auch bei Vergehen wie der Verunglimpfung des Bundespräsidenten und der Staatssymbole kann diese Sanktion angeordnet werden.
Menschen, die Joachim Gauck einen Ziegenficker nennen und Deutschlandfahnen verbrennen, haben jedoch kaum zu befürchten, dass ein Gericht sie von der Teilnahme an der nächsten Landtagswahl ausschließt. Es gibt statistisch nur zwei bis drei Fälle im Jahr, in denen Verurteilten das Stimmrecht aberkannt wird. In größerer Zahl wurde diese Strafe in Deutschland Anfang der neunziger Jahre gegen ehemalige DDR-Funktionäre verhängt.
Der Berliner Rechtsanwalt Jan Oelbermann wies in seiner Dissertation »Wahlrecht und Strafe« auf die Fragwürdigkeit der Sanktion hin. »Was der Entzug des Wahlrechts bezwecken soll, ist unklar«, sagt Oelbermann im Gespräch mit der Jungle World. »Er ist nicht nur verfassungsrechtlich bedenklich, weil das Grundrecht der Allgemeinheit der Wahl unterlaufen wird. Der Sinn des Strafrechts, die Resozialisierung, wird auch untergraben, wenn Richter Straftätern ein Menschenrecht aberkennen.«
Es handelt sich Oelbermann zufolge um ein historisches Überbleibsel aus der Ära des Deutschen Kaiserreichs. Damals konnten Kriminelle mit dem Entzug ihrer Ehrenrechte gemaßregelt werden. Die Vorstellung vom Delinquenten als einem, der sich vom Konsens der demokratischen Gesellschaft verabschiedet habe und von ihr ausgeschlossen werden könne, wirke als Atavismus im Sanktionsrecht bis heute nach. »Man hat dieses Konzept übernommen, ohne sich Gedanken zu machen. Das Strafgesetzbuch wurde nicht richtig ausgemistet«, sagt Oelbermann. Politischen Druck aufzubauen, um diesen rechtlichen Missstand aufzuheben, dürfte sich jedoch als schwierig erweisen. Wegen der geringen Fallzahlen und ihrer Vernachlässigbarkeit für den Wahlausgang taucht das Thema in rechtspolitischen Debatten kaum auf.
Auch sollten sich Verurteilte keine großen Illusionen machen, dass eine Klage etwa vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ernsthafte Konsequenzen hätte. Die Regelung des Vereinigten Königreichs, das allen Gefängnisinsassen die Teilnahme an Wahlen verwehrt, wurde von dem Gericht 2005 zwar für illegal befunden. Aufgehoben wurde der Wahlrechtsentzug aber bis heute nicht. Im Februar 2015 lehnten die Richter in Straßburg zudem die Forderungen britischer Gefangener und ehemaliger Insassen ab, die für ihren Wahlausschluss auf finanzielle Entschädigung geklagt hatten.