Bitte keine Vergleiche mit den Halbtoten von vorgestern

Glückliche Menschen schreiben keine guten Songs: Was im Pop Allgemeingültigkeit hat, trifft auf Punkrock ganz besonders zu. Weil Mish Barber-Way, Sängerin der kanadischen Band White Lung, mit ihrem Leben zurzeit aber total zufrieden ist – Geld, Ehe, Beruf, alles bestens –, sind mehrere Songs vom neuen Album »Paradise« aus der Perspektive von Serienmördern, Gangstern und anderen gesellschaftlichen Misfits geschrieben. Für die eher persönlichen Stücke ließ sie sich jedoch von kitschigen Liebesromanen inspirieren. Herausgekommen ist ein »schizophrenes« Album, so Barber-Way. Vor allem aber: Die abwechslungsreichste, zugänglichste und in Teilen vielleicht sogar optimistischste Platte von White Lung, sofern solche Begriffe überhaupt irgendwie in Verbindung zu bringen sind mit dem wütenden Highspeed-High-Energy-Sound der Band. Doch, klar, das geht: Abwechslung? Jeder Song ist in einer anderen Tonart geschrieben, die klassische Schlagzeug-Bass-Gitarre-Gesang-Struktur wird immer wieder aufgebrochen. Zum Beispiel in »Kiss Me When I Bleed«, das Synthesizer-Einsatz suggeriert. Tatsächlich sind es aber Gitarren. Oder »Below«, eine Ballade. Das ist Mishs großer Diven-Drama-Popmoment. Glamourös und auf Camille Paglias Zitat basierend, nach dem wir Schönheit deshalb so vergöttern, weil sie vergänglich ist. Oder der vibrierende, pulsierende, explodierende Schluss- und Titeltrack. Sie wollten ein Album machen, nach dem sie nicht mehr ständig mit toten Bands von vorgestern verglichen werden, sagen White Lung. Sollte mit der knappen halben Stunde »Paradise« gelingen.
White Lung: Paradise. Domino Records (Goodtogo)