Die Rolle von zwei V-Leuten im NSU-Komplex bleibt weiter ungeklärt

Nazis mit Staatssold

Zwei frühere V-Leute des Verfassungsschutzes hatten Kontakt zum NSU. Weder der Inlandsgeheimdienst noch das Oberlandes­gericht München sind bemüht, die Rolle der beiden Neonazis aufzuklären.

Bei den Untersuchungen zum »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) geht es mal wieder um das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und die von ihm geführten V-Personen. Einer von ihnen, Thomas Richter, seit den frühen neunziger Jahren in der Neonaziszene, arbeitete fast zwei Jahrzehnte lang als V-Mann »Corelli« für den Inlandsgeheimdienst. Richter wurde im Zuge der Arbeit des ersten NSU-Bundestagsuntersuchungsausschusses im Herbst 2012 enttarnt und verschwand im Zeugenschutzprogramm. Keine zwei Jahre später wurde Richter tot in seiner Wohnung aufgefunden. Als Todesursache wurde eine unerkannte Diabetes des 41jährigen genannt. Zu seinem Tod gibt es viele offene Fragen – ebenso wie zu seiner Rolle im Netzwerk des NSU. So tauchte der Name des NSU-Mitglieds Uwe Mundlos bereits 1995 in einer Meldung »Corellis« auf. Zwei Datenträger aus den Jahren 2005 und 2006, die auf das Kürzel »NSDAP/NSU« verweisen, wurden »Corelli« zugeschrieben. Die Datenträger schlummerten über Jahre in den Schränken des BfV sowie des Hamburger Verfassungsschutzes.
Die Causa »Corelli« beschäftigt auch den NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag: Dessen Mitglieder wurden bei ihrer jüngsten Sitzung im Mai über den Fund eines Handys informiert, das Richter zugeordnet wird. Dieser soll das Handy etwa vier Monate lang benutzt und es dem BfV zum Zeitpunkt des Eintritts ins Zeugenschutzprogramm übergeben haben. Dort verschwand es, ähnlich wie andere Datenträger, in der Asservatenkammer. Erst eine erneute Durchsuchung des entsprechenden Schranks durch das Bundeskriminalamt förderte das Beweisstück zutage – und verspricht den Ausschussmitgliedern späte Einsicht in die Vielzahl von Kontaktdaten und Fotos einschlägiger Neonazis, die auf dem Telefon gespeichert sein sollen. Die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linkspartei) erstattete Strafanzeige wegen der Unterdrückung von Beweismitteln.
Und noch ein zweiter ehemaliger V-Mann des BfV beschäftigt den Ausschuss. Berichten der Welt zufolge waren Mundlos und Beate Zschäpe zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Unternehmen des Neonazis und V-Manns Ralf Marschner beschäftigt. Das Beschäftigungsverhältnis von Mundlos soll während der Zeit von Marschners V-Mann-Tätigkeit bestanden haben. Ebenso soll eine Schlägerei unter Beteiligung von Marschner und anderen Neonazis im sächsischen Zwickau während dieses Zeitraums stattgefunden haben. Mit dabeigewesen sein soll auch Susann E., inzwischen Ehefrau des im Münchner NSU-Prozess mitangeklagten André E. Sie soll der Wirtin einer Kneipe mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben. Das Ehepaar E. gilt als einer der engsten sozialen Kontakte Zschäpes, Mundlos’ und Böhnhardts; er bestand bis zur Selbstenttarnung des NSU 2011. Fotos zeigen Zschäpe und Susann E. noch 2011 gemeinsam auf einem Volksfest. Susann E. und andere Frauen waren eng in das NSU-Netzwerk eingebunden – und dabei nicht weniger gewalttätig als ihre männlichen Kameraden. Die Schlägerei im April 2001 ist ein weiterer Hinweis darauf, dass auch Marschner Teil des NSU-Netzwerks war. Vertreter und Vertreterinnen der Nebenklage im Münchner NSU-Prozess halten Marschner deshalb für einen der potentiell wichtigsten Zeugen. Dennoch lehnte das Gericht einen Antrag zur Ladung Marschners im laufenden Verfahren ab.
»Eine Aufklärung des Netzwerks NSU und der Möglichkeit der Verhinderung der Morde und Anschläge wird damit unterbunden: nicht weil man eine Aufklärung nicht betreiben könnte, sondern weil man sie nicht weiter betreiben will«, kritisierte Sebastian Scharmer, Anwalt von Angehörigen des 2006 vom NSU ermordeten Mehmet Kubaşık.