V an Bo Le-Mentzel im Gespräch über die von ihm entworfenen »Hartz-IV-Möbel«

»DIY-Möbel sind original und inkorrupt«

Mit seinen sogenannten Hartz-IV-Möbeln im zeitlosen Bauhausstil hat der Berliner Architekt Van Bo Le-Mentzel schicke Vorschläge zum Selbstbau gemacht (hartzivmoebel.blogspot.de). Im Augenblick beschäftigt er sich mit Wohnräumen und alterna­tiven Baukonzepten. Mit der »Jungle World« sprach er über Gerechtigkeit, Freaks und Ikea.

Sie haben ja vor sechs Jahren die sogenannten Hartz IV-Möbel erfunden. Möbel, die man für wenig Geld nachbauen kann. Wohnen Sie selbst auch in diesen Möbeln? Ich wohne in einer kleinen Zweizimmerwohnung und wir sind zu viert. 56 Quadratmeter mit zwei Kindern. Ein Zimmer davon steht eigentlich immer leer. Ich zwinge meine Frau auch nicht, immer in meinen selbstgemachten Möbeln zu sitzen. Aber durch den Platzmangel hat es sich so ergeben. Wir mussten kreativ werden. Wir haben ein SIWO-Sofa (Single-Wohnungs-Sofa). Tagsüber ist das eine Couch und eine Bank zum Essen und abends ein Bett. Brauchen Sie mehr Platz? Ich habe eher den Eindruck, dass ich zu viel Zeug habe. Man sammelt ganz viel Müll und Zeug an, wenn man viel Fläche hat. Die Wohnung spiegelt deine Seele wieder. Wenn du dich in deinem Alltag zumüllst und belastest, dann tust du das auch in deiner Wohnung. Die meisten Menschen auf der Welt haben ja auch gar nicht so große Wohnungen, geschweige denn das Geld, um sich so viel Kram zu kaufen. Das ist natürlich auch eine Frage der Gerechtigkeit. Warum müssen manche Menschen in einer kleinen Bude leben, während andere eine Terrasse haben, die größer ist als meine ganze Wohnung? Wenn du aber nicht umziehen willst, auch wenn du zwei Kinder hast, bist du in unserer Gesellschaft ein Freak. Wenn du kein Auto hast oder keine Karriere machen willst, bist du ein Freak. Es braucht ein bisschen Mut, sich gegen solche Zwänge zu stellen. Die Leute, die Ihre Möbel bauen, bekommen von Ihnen die kostenlosen Baupläne dafür und geben Ihnen im Gegenzug einige Informationen über sich und ihre Motivation. Wer baut Ihre Möbel nach? Ich kann das grob in vier Gruppen einteilen. Menschen im Umbruch, also Leute, die sich von ihrem Partner oder ihrer Partnerin getrennt haben, mit dem Studium fertig sind oder gerade umziehen. Fachleute, wie Pädagogen oder Sozialarbeiter, die die Baupläne in Workshops und Therapien genutzt haben. Die dritte Gruppe sind Designer und Architekten, die eigentliche keinen Stuhl brauchen, aber die Mechanik verstehen und die Ästhetik studieren wollen. Die letzte Gruppe sind die Hardcore-Heimwerker, die einfach alles bauen, was es so gibt und schon ab sieben Uhr morgens im Baumarkt umherspazieren. In allen vier Gruppen gibt es reiche und arme Leute. Sind Ihre Möbel besonders modern und zeitgemäß, weil sie den aktuellen sozialen und finanziellen Anforderungen gerecht werden? Selbstbaumöbel sind eigentlich nichts Neues. Der italienische Designer Enzo Mari hat in den siebziger Jahren bereits Selbstbaumöbel entworfen. Ich wollte aber im Gegensatz zu Mari gar nichts Neues kreieren, sondern ich wollte die Klassiker, die es gibt, für alle zugänglich machen. Der demokratische und partizipative Gedanke hinter dem Konzept ist mir aber wichtig. ­Do-it-yourself-Möbel sind original und inkorrupt, sie sind nicht käuflich. Wer sie besitzen will, muss sie selber bauen. Wer kein Original braucht, für den gibt es ja mittlerweile auch günstige Nachbauten von klassischen und teuren Designermöbeln. Ich bin der Möbelindustrie auf den Leim gegangen. Früher war es mir wichtig, das Originaldesign zu bewahren, keine Repliken zu kaufen. Die Möbel, die in den fünfziger Jahren entworfen wurden, sind aber heute nicht mehr auf dem Markt. Die heutigen Stücke wurden alle in den Proportionen angepasst, sie sind also nicht original. Letztlich ist es ja nur eine Frage der Lizenzen. Das Gefasel von Original oder nicht ist also eigentlich nur ein Marketinginstrument. Schickes Design, das bezahlbar bleibt. Ist das nicht das Konzept von Ikea? Ikea hat Bauhaus praktisch ausgeführt. Die visionären Gedanken vom guten Leben mit Küche und Balkon. Das hat Ikea umgesetzt. Tatsächlich hat das was mit demokratischem Design zu tun. Weil der niedrige Preis ein schönes Möbelstück möglich macht. Allerdings gilt das eben nur für die Seite der Konsumenten. Die Leiharbeiter, Strafgefangenen oder Weißrussen, die die Möbel herstellen, sind ja oft selbst von diesem Wohlstand ausgeschlossen. Wenn vom Wohlstand aber nur eine bestimmte Gruppe profitiert, dann ist das keine demokratische Idee mehr. Im Augenblick beschäftigen Sie sich mit Wohnraum. Sie haben eine ganze Hartz IV-Wohnung entworfen und die »Tiny Houses«, die gerade mal vier Quadratmeter klein sind. Der Fahrstuhl bei Ikea ist wahrscheinlich größer. Das entscheidende ist aber, dass du selbst entscheidest, ob du das Haus auf vier oder sechs oder mehr Quadratmetern baust. Wir wollten vor allem Wohnraum schaffen, der keine Miete braucht, also kein Grundstück. Da sind wir auf die PKW-Anhänger ­gekommen. Damit kann ich gehen oder fahren wohin ich will: In den Wald oder in die Stadt. Vielleicht wünschen sich die Leute aber viel sehnlicher eine Vierzimmerwohnung mit schicker Einbauküche. Die Vorbilder, die es gibt, pressen uns immer wieder in diese Schablonen. Natürlich ist es auch das Recht eines jeden, sich einen Palast oder ein Schloss zu wünschen. Aber das muss man sich eben leisten können. Viele sparen ja auch jahrelang auf ihren kleinen Palast am Stadtrand. Ich versuche einen Denkanstoß zu geben, wie es anders laufen könnte. Man muss ja nicht auf einem Anhänger wohnen. Aber man sollte den Mut haben, seine Wohnqualität selbst zu bestimmen und das nicht dem Katalog von Ikea oder Vitra zu überlassen. Und vielleicht wollen manche Leute auch nicht nur ­arbeiten, um ihre Miete zu bezahlen. Wenn es bezahlbare Wohnungen gibt, dann sind es meistens auch schlechte Wohnungen. Es muss aber auch möglich sein, anders zu leben. Ich wünsche mir eine alternative Wohn- und Baukultur, die nicht belächelt wird.