Rassismus und Rechtsextremismus im deutschen Fußball

Keine anständigen Kurven

Fußball ohne Nazis und Diskriminierungen war auch in der abgelaufenen Saison weiterhin nicht selbstverständlich, weder im Westen noch im Osten.

Weithin sichtbar auf einem Banner konnten am 19. März die Zuschauer des Regionalligaspiels zwischen dem 1. FC Saarbrücken und dem SV Elversberg »Leute denunzieren & Müll von sich geben – so ist das saarländische ›Antifa‹-Leben« lesen. Verantwortlich zeichnete die Fangruppierung »Boys«, Vorgeschichte der Aktion war ein Angriff auf antifaschistische Jugendliche im August 2013 in der Nähe der Saarbrücker Diskothek Garage. Aus einer größeren Gruppe Saarbrücker Fußballfans heraus hatten mehrere Personen junge Antifaschisten angegriffen. Sie bezeichneten ihre Opfer als »scheiß linke Zecken« und schlugen zumindest eine Person mehrfach zu Boden. Die Angreifer ließen erst dann von den Antifaschisten ab, als sich auf der anderen Straßenseite die nächste Gelegenheit zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung bot.
Der Antifa Saar/Projekt AK zufolge waren an dem Übergriff mindestens zwei Neonazis beteiligt. Auf ihrer Internetseite outeten die Antifaschisten zwei Mitglieder des Saarbrücker Fanclubs »Supporters Club 95 – SC95« als mutmaßliche Tatbeteiligte. »Der Übergriff macht deutlich, was passiert, wenn Nazis unter dem Deckmantel des ›Unpolitischen‹ geduldet werden«, erklärte der Pressesprecher der Gruppe, Alexander Breser, und rief dazu auf, sich mit den »antifaschistischen und antirassistischen Fußballfans beim 1. FC Saarbrücken« zu solidarisieren.
Nach dem Überfall ermittelte das saarländische LKA nicht etwa gegen die Angreifer, sondern gegen eine Person, der vorgeworfen wurde, an dem Outing bekannter Neonazis aus der Saarbrücker Fußballszene beteiligt gewesen zu sein. Bei einer Hausdurchsuchung im Mai 2015 beschlagnahmten Beamte mehrere Datenträger, Computer und Mobiltelefone. Hauptzeuge war nach Angaben der Antifa Saar ein eng mit einem der rechten Angreifer befreundeter Saarbrücker Fußballfan. Er habe bezeugt, hieß es, der Beschuldigte hätte ihm gegenüber eingeräumt, den Bericht über den Naziangriff an der Diskothek Garage ver­öffentlicht zu haben. Die bei der Durchsuchung gefundenen Informationen reichten der zuständigen Staatsanwaltschaft allerdings nicht aus, um Anklage zu erheben. Ende 2015 wurde das Verfahren eingestellt.
Mitte März legten die saarländischen Antifas nach. Mit einem weiteren Outing belegten sie Verbindungen der örtlichen rechten Szene in die diversen Fangruppierungen des FC Saarbrücken. Neben der »Saarland-Brigade« und dem »Supporters Club 95« zählen sie die »Saarbrücker Jungs« sowie die »Crusaders« zu jenen Gruppen, in denen das Tragen von Kleidung der Marke »Thor Steinar« und weiterer szenetypischer Symbole zum guten Ton gehöre.
Insgesamt zogen die Antifas jedoch eine recht positive Bilanz der vergangenen Monate. Fans hätten sich beispielsweise bekannten Neonazis in den Weg gestellt, als diese versuchten, in die Kurve zu gelangen. Dem Verein wirft man dagegen vor, dass er »kaum offensive Maßnahmen« treffe, um den Neonazis im Stadion »das Leben so schwer wie möglich zu machen«. Dabei gebe es doch im Profi-Fußball durchaus Vorbilder, wie den Präsidenten von Eintracht Frankfurt, Peter Fischer, der in einem Interview erklärt hatte, dass jede »anständige Kurve« selbstverständlich »das braune Pack« aus »dem Block prügeln« sollte. »Das haben wir früher so gemacht«, so Fischer gegenüber 11 Freunde weiter, »das wird in Frankfurt heute noch so gemacht. Und da bin ich stolz drauf.«
Dass dies nicht immer einfach realisierbar ist, beweist der Erlebnisbericht eines Borussia-Dortmund-Fans von der Auswärtsfahrt zum DFB-Pokalfinale in Berlin. Er berichtete auf Vice Sports, wie zwei bis drei Dutzend Personen auf der Hinfahrt antisemitische und homophobe Lieder angestimmt hätten. »Immer wieder werden weitere Gesänge gegen Juden in Verbindung zum FC Schalke gesungen. Etwa 20 bis 30 Leute singen mit, es könnten auch mehr sein. Der Rest des Waggons schweigt«, so der Autor, der anonym bleiben will. Aus Angst davor, »Prügel zu riskieren«, sei auch er im Zug still geblieben. So wie viele andere Fans von Borussia Dortmund in diesem Augenblick. »Niemand sagt etwas gegen die Parolen. Die Lieder werden lediglich nicht mitgesungen, man versucht, es zu ignorieren.«
Zudem kam es am Rande des diesjährigen Endspiels um den Sachsenpokal Anfang Mai zu diskriminierenden Äußerungen zwischen den seit Jahrzehnten verfeindeten Fanlagern des FSV Zwickau und des FC Erzgebirge Aue. Gleich zu Beginn des Spieles riefen die Fans des sächsischen Kumpelvereins minutenlang »Zwickau, ihr Zigeuner«, ohne dass der Stadionsprecher eingriff, obwohl beinahe die komplette Tribüne in den Gesang einstimmte. Die Lage komplett eskalieren ließ die Aktion eines Auer Fanbeauftragten in der zweiten Halbzeit. Er zerstörte eine Zwickauer Zaun­fahne, woraufhin der wütende Block der Westsachsen mit Pyrotechnik antwortete. Die Bengalos flogen nicht nur auf das Spielfeld, sondern auch in den Block der gegnerischen Fans. Mindestens drei Personen wurden dabei verletzt. Gegen Ende des Spiels kletterten dann die Anhänger beider Seiten über den Zaun, so dass die Polizei direkt vor den Blöcken aufmarschieren musste. Gegen einen Zwickauer Fan leiteten die Beamten ein Ermittlungsverfahren ein, weil dieser den Hitlergruß gezeigt und »Sieg Heil« gerufen haben soll.
Der Geschäftsführer des FSV Zwickau, Lars Schauer, entschuldigte sich noch auf der Pressekonferenz nach der Partie »für das Verhalten ­einiger weniger Mitgereister«. Er kündigte an, man wolle gezielt das Bild- und Videomaterial sichten, »um die wenigen Krawalltouristen dingfest zu machen und vom Besuch unserer Fußballspiele mittels Stadionverboten auszuschließen«. Für die entstandenen Schäden sollten, wenn möglich, die Verursacher aufkommen. »Zur Aufarbeitung gehört jedoch auch, zu klären, wie es möglich sein kann, dass ein Fanbeauftragter des FC Erzgebirge Aue seine Innenraumakkreditierung nutzen konnte, um eine Zaunfahne am Gästeblock zu zerstören und so die Tumulte kurz vor Ende des Spieles maßgeblich auszulösen«, schreibt der FSV in seiner Presseerklärung.
Ein Nachspiel wird auch das Verhalten einiger Fans der BSG Riesa haben. Im Internet kursierten nach dem Spiel gegen die BSG Chemie Leipzig Fotos und ein Video von Fans des Riesaer Fußballvereins, auf dem deutlich zu sehen war, dass einige von ihnen ein Motto-T-Shirt mit der Aufschrift »JDN CHM« trugen. Die trotz der weggelassenen Vokale leicht als antisemitisch identifizierbare Botschaft fiel den Vereinsverantwortlichen während der Partie jedoch erst auf, als die Polizei sie darauf aufmerksam machte. Nach dem Hinweis der Beamten habe der Stadion­sprecher eine Durchsage gemacht, die T-Shirts zu verdecken. Da die Fans dem auch zügig nachgekommen seien, »war das für uns als Verein eigentlich geklärt«, so Vorstandsmitglied Dietrich Hoffmann gegenüber der Sächsischen Zeitung. Warum dann aber ausgerechnet nach der Partie bei der Siegesfeier im Riesaer Vereinsheim der Einpeitscher der ­Ultras mit genau diesem T-Shirt die Spieler und Fans zur Uffta animieren durfte, wurde vom Verein nicht geklärt.