Studentenproteste in Georgien

Agenten auf dem Campus

Die Studentenbewegung Auditoria #115 fordert weitreichende Reformen des georgischen Bildungssystems. Die Regierung gibt sich dialogbereit, doch staatliche Sicherheitsdienste unternahmen Einschüchterungsversuche.

»Ich tue mein Bestes, um alle Seiten am Dialog zu beteiligen«, hatte Bildungsminister Alexander Jejelava kurz zuvor noch angekündigt. Doch dem langersehnten Treffen mit protestierenden Studierenden Anfang Juli folgte die Ernüchterung. »Er weigert sich, die Versprechen einzuhalten, die er und der Premierminister uns zuvor gaben. Damit ist unser Dialog sinnlos und wir haben die Verhandlungen abgebrochen«, so ein Sprecher der Bewegung Auditoria #115.
Die Proteste begannen im Februar und richteten sich zunächst gegen korrupte Strukturen und das universitäre Sicherheitspersonal. »Die studentische Selbstverwaltung der Universität veruntreute 25 000 Lari, das entspricht etwa 10 000 Euro. Außerdem steht sie unter erheblichem Einfluss staatlicher Sicherheitsstrukturen«, erzählt der Psychologiestudent Otto Kobakhidse. Die Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes, die sogenannten ODRs, finden sich in vielen Behörden und Institutionen. Transparency International kritisiert diese Praxis und bezeichnet sie als Hinterlassenschaft der Sowjet­zeit. Die Hauptforderungen des Protests waren zunächst die Auflösung der studentischen Selbstverwaltung sowie neues und unbelastetes universitäres Sicherheitspersonal.
Im April empfing eine Studierendenversammlung der Staatlichen Universität Tiflis in Raum Nummer 115 Premierminister Giorgi Kwirikaschwili, gute anderthalb Stunden nahm sich der Politiker Zeit. Zuvor waren Studierende vor das Regierungsgebäude gezogen, hatten Teile des Universitätsgeländes besetzt und so das Treffen erzwungen.
Es geht längst nicht mehr nur um Belange, die die Tifliser Universität betreffen. »Wir fordern, dass Bildung zu einer Priorität in unserem Land wird«, so Kobakhidse. »Wir wiederholen nur Althergebrachtes, und das ist nicht zeitgemäß, teilweise sogar rassistisch, sexistisch und homophob.« Eine Konferenz zu Gender-Themen und LGBTI-Rechten habe wegen der Ankündigung rechter Gruppen, die Veranstaltung mit allen Mitteln zu verhindern, und der fehlenden Zusage seitens der Hochschulleitung, für ausreichenden Schutz zu sorgen, kurzfristig verlegt werden müssen. »Das ist ein deutliches Beispiel dafür, dass bestimmte Themen an den Universitäten nicht diskutiert werden können. Und das alles nur wegen einiger extremistischer Gruppen«, beklagt Kobakhidse.
Zudem sei es vielen jungen Menschen aus finanziellen Gründen nicht möglich, eine akademische Ausbildung zu erhalten. 900 Euro zahlen Studierende, Kobakhidse zufolge, pro Studienjahr. In einem Land, in dem das monatliche Durchschnittseinkommen zwischen 200 und 300 Euro liegt, ist das viel Geld. Kwirikaschwili sagte der Studierendenversammlung zu, einen größeren Prozentsatz des Bruttoinlandsprodukts für Bildungsbelange aufzuwenden.
Der damals vorherrschende vorsichtige Optimismus ist verflogen. Berichte über Einschüchterungsversuche seitens staatlicher Stellen verunsichern die demonstrierende Studentenschaft. Einige Aktivisten ständen unter Beobachtung, Eltern einiger Beteiligter an Auditoria #115 sei bei Hausbesuchen mit Jobverlust oder sogar Inhaftierung gedroht worden, sollten ihre Kinder ihren Protest nicht aufgeben. »Kwirikaschwili versprach, sich mit Vertretern von Auditoria #115 und Juristen zu treffen, um gemeinsam ein neues Bildungsgesetz auszuarbeiten«, erzählt Guji Gogoberischwili. Er wurde von der Polizei festgenommen, als er das Logo der Bewegung Auditoria #115 auf den Bürgersteig vor der Universität sprühte. »Sie haben mich über Nacht festgehalten und befragt, wer mich beauftragt hat und wie viel Geld ich dafür bekommen würde«, sagt der Student.
Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes teilte auf Anfrage mit: »Die deutsche Botschaft verfolgt die Studierendenproteste und die gesellschaftlichen und politischen Reaktionen darauf aufmerksam.« Die EU-Delegation in Georgien äußerte sich ähnlich. Man sei mit den Forderungen der Protestierenden und den Einschüchterungsvorwürfen vertraut. »Wir haben einen Dialograhmen mit der Regierung, in dem wir Themen besprechen, die vor allem auch Menschenrechte betreffen. In Bezug auf die Studierendenproteste werden wir diesen Rahmen weiterhin nutzen«, so ein Sprecher der EU-Delegation.
Im Oktober finden Parlamentswahlen statt, Bildungsminister Jejelava wirbt derzeit bei einer Rundreise durch Georgien für seine Reformpläne. An der Universität von Tiflis soll der Protest mit Beginn des neuen Semesters im September wieder aufgenommen werden.