Die Folgen des gescheiterten Putschversuchs für die türkische Wirtschaft

Der Türkei droht die Pleite

Der gescheiterte Putschversuch zieht die türkische Wirtschaft in Mitleidenschaft. Besonders die Abhängigkeit der Türkei von ausländischem Kapital trägt zu den Problemen der AKP-Regierung bei.

Die Folgen des gescheiterten Militärputsches in der Türkei treffen die Wirtschaft des Landes hart. Doch in jeder Krise gibt es Personen, die von ihr profitieren. Er habe seitdem »rund eineinhalb Millionen Flaggen verkauft«, sagte Orkun Altier, dessen Unternehmen türkische Nationalflaggen herstellt, der Nachrichtenagentur Reuters. Nachdem Präsident Recep Tayyip Erdoğan seine Anhänger aufrief, jeden Tag für die Regierung zu demonstrieren, kennt die Nachfrage keine Grenzen mehr. Altier schätzt, dass er in den kommenden Wochen weitere zehn Millionen Flaggen verkaufen kann.
Während der Flaggenproduzent das Geschäft seines Lebens macht, sieht die Lage bei anderen Unternehmen weniger rosig aus. So leidet die Luftfahrtgesellschaft Turkish Airlines schon seit einiger Zeit unter dem Rückgang von Touristenbuchungen. Viele Passagiere meiden zudem angesichts der zahlreichen Anschläge das Drehkreuz Istanbul und weichen auf andere Verbindungen aus. Nach dem Putsch hatte die US-Luftfahrtbehörde aus Sicherheitsbedenken sogar ein Landeverbot gegen die Airline ausgesprochen.
Dabei symbolisiert gerade das halbstaatliche Luftfahrtunternehmen wie kaum ein anderes die ambitionierten wirtschaftspolitischen Ziele der türkischen Regierung. Mit einem aggressiven Expansionskurs gelang es der Airline innerhalb weniger Jahre, zu einem der erfolgreichsten Wettbewerber in einer heiß umkämpften Branche aufzusteigen. Turkish Airlines sollte nicht nur eine moderne, weltoffene und dynamische Türkei repräsentieren, sondern zugleich über eine Infrastruktur der Superlative verfügen. Mit einem neuen Mega-Flughafen nordwestlich von Istanbul will man die Konkurrenz in Europa und dem Nahen Osten endgültig abgehängen.
Ähnlich wie die Luftfahrt profitierten viele Branchen von enormen staatlichen Investitionen, die vor allem dem Ausbau der Infrastruktur dienten. Prestigeprojekte wie der Bosporus-Tunnel gehörten ebenso dazu wie der Bau einer dritten Brücke, die den europäischen Teil Istanbuls mit der asiatischen Seite verbindet. Ermöglicht wurde der Boom durch umfangreiche ausländische Investitionen, die nach dem Wahlsieg der AKP 2002 sukzessive anstiegen. Die AKP präsentierte sich als moderat-konservative Reformpartei, die eine wirtschaftsfreundliche Politik verfolgte. Sie versprach stabile Verhältnisse für einen lukrativen Binnenmarkt, der zugleich exzellente Verbindungen in den Nahen und Mittleren Osten garantierte. Innerhalb weniger Jahre vervierfachten sich die Investitionen, die sich auch von den Schocks der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 rasch erholten. In den vergangenen zwölf Jahren investierten Anleger dem Institut of International Finance zufolge mehr als 150 Milliarden Dollar in türkische Aktien- und Anleihenmärkte. Zeitweise übertraf die Wachstumsquote der Türkei jene der asiatischen Schwellenländer und sogar die Chinas, während Europa mit der Euro-Krise zu kämpfen hatte.
Zugleich brachte die Regierung die chronisch hohe Inflation weitgehend unter Kontrolle gebracht, während Löhne und Gehälter kräftig stiegen. Die neue konsumfreudige Mittelschicht trieb die Importe in die Höhe. Allein aus Deutschland kamen im vergangenen Jahr Waren im Wert von 22,4 Mil­liarden Euro in das Land, während die Türkei umgekehrt Produkte im Wert von 14,4 Milliarden Euro exportierte. Seit 1980 ist Deutschland der wichtigste Investor für die Türkei, rund 6 500 deutsche Firmen verfügen dort über Niederlassungen.
Die Geschäfte liefen gut, solange die Verhältnisse stabil und die Kreditzinsen auf den internationalen Finanzmärkten niedrig waren. Ohne den stetigen Zufluss ausländischen Kapitals kann das Land jedoch weder seine defizitäre Leistungsbilanz finanzieren noch den Bauboom endlos weiter treiben. Gerade die korruptionsanfällige Baubranche trug wesentlich zum Wachstum in den vergangenen Jahren bei. Die Abhängigkeit von ausländischem Kapital ist das derzeit wohl größte Pro­blem für die türkische Regierung. Sollten sich die Investoren zurückziehen, bliebe von dem vielgepriesenen Wirtschaftswunder wenig übrig. Ohne ein hohes Wirtschaftswachstum kann Präsident Erdoğan wiederum die Bedürfnisse seiner Klientel nicht mehr befriedigen. Nichts muss er daher mehr fürchten, als dass der Geldfluss aus dem Ausland eines Tages versiegen könnte.
Erste Anzeichen gibt es dafür bereits. Die Aktiennotierungen sind in der vergangenen Woche um rund zwölf Prozent eingebrochen, der Kurs der türkischen Lira fällt, die Zinsen steigen. Die brutale Repression gegen alle vermeintlichen und tatsächlichen Gegner Erdoğans bedrängt auch die innovativsten Bereiche der Wirtschaft. So denken immer mehr Start-up-Unternehmen darüber nach, das Land zu verlassen, ebenso wie viele Akademiker.
Die Möglichkeiten für Erdoğan, die wirtschaftlichen Risiken zu kompensieren, sind begrenzt. Seine früheren Hoffnungen, eine Art neo-osmanische Handelszone vom Nahen Osten bis nach Zentralasien aufzubauen, sind gescheitert. Die Türkei ist außenpolitisch isoliert wie selten zuvor.
Im Wesentlichen beschränkt sich die AKP-Regierung nun darauf, die wirtschaftlichen Turbulenzen nach dem Putschversuch dadurch zu bekämpfen, dass die Notenbank die Leitzinsen immer weiter senkt und den Geschäftsbanken unbegrenzte Liquidität in Aussicht stellt. Ewig wird diese Strategie nicht funktionieren, denn die türkischen Devisenreserven sind beschränkt. Erneut hohe Inflationsraten wären unausweichlich.
Erdoğan bleibt derzeit nicht viel anderes übrig, als auf die ökonomischen Probleme in bewährter Manier zu reagieren. Als die Kreditwürdigkeit der Türkei nach dem Putsch fast auf Ramschniveau herabgestuft wurde, unterstellte er der Rating-Agentur Standard & Poor’s politische Motive und warf ihr »Türkeifeindlichkeit« vor. Die Probleme gibt es demnach nur, weil eine ausländische Verschwörung hinter ihnen steckt. Die AKP-­Anhänger mögen dieser Propaganda glauben. Doch auch wenn sie nun die Nationalfahnen eifriger schwenken, die wirtschaftlichen Probleme werden sie dadurch nicht lösen können.