Aus der Birkenstocksandale ist ein Modeobjekt geworden. Styleverbrechen oder Schönheit des Praktischen?

Dürfen die das?

Früher nur etwas für Ökos, heute ein Massenphänomen: Birkenstock-Sandalen sind eine Bankrotterklärung des guten Geschmacks.

Früher hieß es manchmal, ihr Produzent würde eine Nazipartei unterstützen. Eine urban legend, erfunden von der Konkurrenz, um dem Marktführer zu schaden, heißt es im allwissenden Internet. Unwahrscheinlich. Die Absicht dürfte banaler gewesen sein. Nicht den Produzenten, sondern Konsumentinnen und Konsumenten hatte das böse Gerücht im Blick. Was die Mode betraf, setzten die sogenannten Ökos Maßstäbe. Die von Spöttern auch als »Wackersdorf-Kampfstiefel«, von ihren Trägern liebevoll »Birkis« bezeichneten Pflichtlatschen trugen die Ökos im Winter mit handgestrickten dicken Wollsocken und im Sommer ebenfalls mit Wollsocken, nur etwas dünneren, zu kurzen Hosen oder beutelhaften Batikröcken. Furchtbar. Und von ­allen Stilverbrechen der Achtziger waren die klobigen Birkenstocklatschen das größte. Da Ökos als weitgehend immun gegen ästhetische Kritik galten, versuchte man sie an ihrer größten Schwachstelle zu treffen, ihrer über alles und jedes – über Fragen des guten Geschmacks sowieso – erhabenen moralischen Integrität. Die Behauptung, der Produzent ihres Lieblingsschuhs sei Nazisympathisant, traf den Nerv: Ausgerechnet die Ökos, die Erfinder der Unsitte, moralische Gewissheit über den Konsum herzustellen, konsumieren bei den Unmoralischsten der Unmoralischen – bei Nazis. Und Himmler, der war doch sowieso der Ur-Öko. Die Gleichsetzung von gutem und gesundem Leben – extrem nazimäßig. Damit hat man sie manchmal noch gekriegt, diese menschgewordenen erhobenen Zeigefinger. Letztlich war es nur gut gemeint, wollte man doch mit der Behauptung, mit dem Kauf von Birkenstocksandalen würde man die Republikaner oder die NPD unterstützen, ja nur die Ökos vor sich selbst retten – und einen selbst vor ihrem Anblick. Immerhin gehörte damals auch etwas Mut dazu, diese Scheußlichkeiten zu tragen. Männliche Jugendliche riskierten dabei regelmäßig Haue von Skinheads, Punks und den stolzen Söhnen der sogenannten Gastarbeiter. Dann verschwanden die Birkis, fristeten jahrelang eine verschämte Existenz als Haus- und Gartenschuhe. Weil sie ja ach so bequem sein sollen.
No longer. Jetzt sind sie einfach omnipräsent, haben völlig überhandgenommen. Weggucken geht nicht mehr. Wer das im heutigen in Berlin versucht, riskiert einen Verkehrsunfall. Sie werden wieder schamlos in Socken zu kurzen Hosen getragen. Dürfen die das?
Im Hausblatt der guten Ökomoral, der Taz, wollte kein Birki-Träger Stellung beziehen. Verschämt hieß es, man trage sie ja nur wegen der Knieprobleme, berichtet eine Informantin. Klar, da zieht das Gesundheitsargument irgendwie. Schmerzen, dafür soll niemand gehänselt werden. Aber haben Knieschmerzen inzwischen derart pandemische Ausmaße erreicht, dass gefühlt jede dritte Person in dieser Stadt darunter leidet – oder ist es schlicht eine Pandemie des schlechten Geschmacks? Nicht einmal die inzwischen in die Jahre gekommenen stolzen Gastarbeitersöhne schämen sich heute, die Dinger zu tragen. Wie um der Welt zu zeigen, dass sie jetzt richtige Kartoffeln sind, machen die Kanaken ihre Füße zu Kartoffeln. Es kommt aber noch schlimmer.
Denn ginge es nur um Berlin, man könnte wenigstens auswandern. Ein paar Jahre vielleicht – die Stadt hat eh so viel Flair verloren. Aber wohin? In Amerika gelten Börkinstacks schon seit Jahren als der Inbegriff von German chic. Auch amerikanische Juden, die aus guter Tradition ganz selbstverständlich nie ein deutsches Auto kaufen würden, decken sich bedenkenlos damit ein. Gut – Amerika und der Geschmack, ein schwieriges Kapitel. Aber nie, das schien früher gewiss, würden die stilbewussten Italienerinnen, Französinnen und Spanierinnen ihre zarten Füße von den klobigen Monstern verunzieren lassen. Auch sie tragen Birkis, keine Ausnahme, sondern ein Massenphänomen. Keiner zwingt sie zu dieser Unterwerfungsgeste. Stattdessen stolzieren sie in teutonischen Kindersärgen umher, als gelte es, in einer Tour lustvoll »Nimm mich, deutsche Bestie!« zu rufen, ganz freiwillig, aus purem Masochismus, aus Freude an der Demütigung.
Es tut weh, sich das anzusehen. Aber was soll man tun? Das alte Märchen von der Nazi-Connection ist ausgelutscht, leider. Jedenfalls kann man damit niemanden mehr vor sich selbst retten. Angesichts des Durchmarschs der neuen und neusten Rechten in ganz Europa ist der Durchmarsch der Birkenstocklatschen vielleicht auch nicht das dringlichste Problem. Wenn man nicht gerade beim Weggucken gegen eine Laterne läuft.