Die Bundeswehr versucht, für Frauen attraktiver zu werden

Das Potential zum General

Das Personal ist knapp. Deshalb müht sich die Bundeswehr, ein attraktiver Arbeitgeber für Frauen zu werden – mit zweifelhaften Ergebnissen.

Silber für Hauptfeldwebel Monika Karsch beim Pistolenschießen, Gold für Oberfeldwebel Barbara Engleder im 50-Meter-Dreistellungskampf mit dem Kleinkalibergewehr, und im Rudern holt Stabsunteroffizier Julia Lier gemeinsam mit drei Zivilistinnen ebenfalls Gold. Im olympischen Sportbatallion ist die von Verteidigungs­ministerin Ursula von der Leyen (CDU) für die Bundeswehr insgesamt ausgegebene Vorgabe von einem Frauenanteil von 15 Prozent übererfüllt. Von den 125 Bundeswehrangehörigen, die vom Deutschen Olympischen Sportbund für die Wettkämpfe in Rio de Janeiro nominiert wurden, sind 49 Frauen. Knapp 30 Prozent der deutschen Olympiateilnehmer gehören der Bundeswehr an. Athletinnen und Athleten haben dort ausgezeichnete Möglichkeiten, sportliche Anforderungen, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. Nach diesem Vorbild will von der Leyen das Militär für Frauen attraktiv machen.
Rekrutinnen hat die Bundeswehr bitter nötig. Seit dem Ende der Wehrpflicht für Männer hat die Armee ein ernsthaftes Personalproblem. Es gibt – auch wegen der guten wirtschaftlichen Lage – nicht genug Männer, die das Tötungshandwerk lernen und sich einer Hierarchie unterordnen wollen, in der nur Befehl und Gehorsam gelten. Zurzeit gibt es etwa 19 400 Frauen in der Bundeswehr. Das sind etwas mehr als zehn Prozent der knapp 180 000 Soldaten und Soldatinnen. Von der Leyen will Frauen auch dadurch gewinnen, dass sie Soldatinnen mehr Führungspositionen in Aussicht stellt. Bislang findet man sie kaum in hohen militärischen Rängen. Kürzlich hat die Ministerin ein sogenanntes Mentoring-Programm eingerichtet, durch das Soldatinnen in Aufstiegsfragen von erfahrenen Beratern unterstützt werden. »Nicht die Frauen sind schuld, dass sie nicht in Führungspositionen sind«, sagt von der Leyen. »Wenn ich nie eine Frau Generalin sehe, kann ich mir eben schlecht vorstellen, welche junge Frau in diese Position hineinwachsen wird.« Die Bundeswehr hat ungefähr 200 Generalsposten, bislang haben es nur drei Frauen – allesamt Medizinerinnen – so weit geschafft.
Deutlich wird die Orientierung auf Frauen im neuen Weißbuch der Bundesregierung, dem wichtigsten Dokument zur geplanten Entwicklung des deutschen Militärs. Durchgängig ist hier von »Soldatinnen und Soldaten« die Rede. Das ist überraschend. Denn geht eine Frau zu Bundeswehr, dann als »Soldat (w)«. Wird sie befördert, ist sie »Offizier (w)« oder »Hauptmann (w)«. 15 Jahre nach Öffnung der Armee für Frauen gibt es keine weiblichen Funktionsbezeichnungen, das gilt auch für den Generalsrang. Seit 2001 können Frauen alle militärischen Laufbahnen einschlagen. Bis dahin waren sie nur im Sanitätsdienst und in der Militärkapelle zugelassen. Mitte der siebziger Jahre hatte der damalige Verteidigungsminister Hans Apel (SPD) die ersten Frauen in die Bundeswehr geholt, weil dort großer Ärztemangel herrschte.
Den Zugang zu sämtlichen militärischen Laufbahnen einschließlich denen mit Waffengebrauch setzte eine Frau mit einer Musterklage durch – ­gegen den Widerstand aller Parteien außer der FDP. Als sich die Elektroni­kerin Tanja Kreil 1996 bei der Bundeswehr bewarb, wurde sie abgelehnt. Sie klagte mit Unterstützung der Frauenrechtlerin Alice Schwarzer und des Bundeswehrverbands. In der Frauenbewegung wurde die Soldatinnenfrage sehr kontrovers diskutiert. Die einen sahen die Nichtzulassung als inakzeptables Berufsverbot, denn Frauen müssten selbst entscheiden können, ob sie zum Militär wollen oder nicht. Andere argumentierten antimilitaristisch: Weil die Bundeswehr abgeschafft werden müsse, sollten nicht auch noch Frauen zum Militär. Der Europäische Gerichtshof urteilte im Jahr 2000, der allgemeine Ausschluss von Frauen von militärischen Diensten verstoße gegen das Gleichheitsgebot der Geschlechter. »Kleiner Unterschied abgeschafft«, schrieb die Frauenzeitschrift Emma damals in völliger Verkennung der Tat­sache, dass die Bundeswehr nach wie vor eine Männerbastion war – und ­geblieben ist.
Unter den ersten »Soldaten (w)«, die kurz nach der Jahrtausendwende einzogen, waren vor allem Frauen aus der ehemaligen DDR. Die Bundeswehr war für sie attraktiv, weil sie materielle Absicherung suchten und häufig mangels Job und Vermögen keine Alternative sahen. Es ist ein übliches Phänomen insbesondere bei Freiwilligenarmeen: Vor allem arme Leute verdingen sich. Das ist in Deutschland nicht anders, auch wenn die Bundeswehr unter von der Leyens Führung sich ein Image zu geben versucht, in dem die Armee als familienfreundlicher Arbeitgeber und ganz normales öffentlich-rechtliches Unternehmen erscheint. Militärische Einsätze werden in diesem Verständnis zu Dienstleistungen und nicht als kriegerische Akte, sondern als technisch-bürokratische Operationen begriffen. Dass es bei der Bundeswehr im Ernstfall um Leben und Tod geht, gerät dabei schnell aus dem Blick. Frauen, erst recht Mütter, passen bestens in dieses Verschleierungskonzept.
Im neuen Weißbuch ist von der »Trendwende Personal« die Rede. »Langfristig sind weitere ungenutzte Potentiale zu mobilisieren – denn die wachsende Technologisierung und Digitalisierung werden Expertise erfordern, über die die Bundeswehr bisher nicht oder nicht ausreichend verfügt«, heißt es dort. Zu den ungenutzten Potentialen gehören nicht nur Frauen, sondern auch Migranten und Behinderte, denn die Bundeswehr soll nicht nur weiblicher, sondern insgesammt »bunter« werden. Deshalb sollen von der Leyens Führungskräfte auch vom »Diversity Management« lernen, das in befreundeten Armeen praktiziert wird.
»Bildung und Qualifizierung – optimal vorbereitet für heutige und zukünftige Herausforderungen« steht unter einem Foto von zwei Soldatinnen, die einen Motor reparieren. Optisch sind Frauen im Weißbuch gemessen an ihrem Anteil in der Bundeswehr völlig überrepräsentiert. Auf etwa einem Drittel der Bilder mit militärischem Bezug sind Soldatinnen zu sehen. Ein Foto zeigt eine Soldatin mit ­einem Kleinkind, eine vergleichbare Aufnahme von einem Soldaten gibt es nicht. Auch von der Leyens Bundeswehr verharrt in traditionellen Geschlechterstereotypen, da helfen auch das Eltern-Kind-Zimmer in der Kaserne und das »Soldatengleichstellungsgesetz« nicht.
Das Militär bleibt ein Hort des Sexismus, nicht nur auf der Ebene der Publikationsgestaltung. Einer 2014 veröffentlichten Studie des Bundeswehrzentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften glauben 36 Prozent der Jungs in der Truppe, dass die Anwesenheit von Frauen die Kampfkraft schwäche. 57 Prozent der befragten 1 771 Männer finden, dass sich die Bundeswehr durch Frauen zum Schlechteren entwickelt habe. Von den 3 058 interviewten Soldatinnen gab jede zweite an, schon einmal sexuell belästigt worden zu sein, jede vierte berichtete von körperlichen Angriffen, drei berichteten von sexuellem Missbrauch. Die Zahl der offiziellen Anzeigen liegt deutlich niedriger. Offenbar haben viele Soldatinnen Angst, Übergriffe zu melden.