Neonazis in der Offensive

»Htlr« schockt nicht mehr

Dortmunder Neonazis machen in jüngster Zeit wieder mit Angriffen auf ihre Gegner von sich reden. Solche Attacken haben in der Stadt Geschichte, offenbaren aber auch die Schwäche des rechtsextremen Milieus.

Dortmund kommt nicht zur Ruhe. Seit etwa einem Monat häufen sich Angriffe von Nazis, die vor allem Jugend­lichen aus dem alternativen Milieu gelten. Im Anschluss an die Pro- und Anti-Erdoğan-Demonstrationen Ende Juli in Köln griffen Neonazis aus Dortmund noch am Hauptbahnhof in Köln ihnen bekannte linke Jugendliche aus Dortmund an. Einer der Antifaschisten musste im Krankenhaus behandelt werden.
Zwei Tage später gab es wieder einen Angriff. Zwei junge Mitglieder von Solid, der Jugendorganisation der Linkspartei, spielten im als »Nazikiez« geltenden Dorstfeld »Pokémon Go«. Dabei wurden sie von Kadern der Partei »Die Rechte« entdeckt und mit Flaschen beworfen. Unter den Angreifern sollen der Ratsherr Michael Brück und das Bundesvorstandsmitglied Christoph Drewer gewesen sein. Wiederum wenige Tage später lauerten Neonazis, mit einem Hammer und einem Teleskopschlagstock bewaffnet, einigen linken Jugendlichen auf, die von einer Veranstaltung nach Hause gingen. Diesen gelang es nur mit viel Glück, zu flüchten.
Der bisher schwerwiegendste Vorfall in der neuerlichen Welle von Angriffen soll sich am 14. August ereignet haben. Mehrere vermummte Neo­nazis sollen einem 24jährigen Mitglied von Solid, das zuvor auch schon in Dorstfeld angegriffen worden war, vor seiner Haustür aufgelauert haben. Sie sollen, so berichtete das Opfer gegenüber Unterstützern, aus einem Auto gestiegen sein, ihn zu Boden getreten und anschließend mit einem Messer auf ihn eingestochen haben. Der Polizei liegt in der Sache eine Anzeige vor. ­Täter konnten bislang nicht ermittelt werden.
Mit dieser Reihe von Angriffen setzen Dortmunder Neonazis mit brutalen Mitteln ihre lange Gewaltgeschichte fort. In der Zeit vor dem Verbot des »Nationalen Widerstands Dortmund« im August 2012 waren solche und ähnliche Attacken beinahe blutiger Alltag. Die Punk-Kneipe »Hirsch Q« wurde mehrfach von großen Nazigruppen überfallen, auch hierbei hatten die Täter in mindestens einem Fall Messer dabei. Rund um die jährlichen Aufmärsche zum »Nationalen Antikriegstag« bildeten Nazis regelrechte Überfallkommandos, die in Autos durch die Stadt fuhren und Linke jagten. Nicht zu ­vergessen bleibt auch der Mord an Thomas »Schmuddel« Schulz, einem Punk, der im Frühling 2005 von dem Neo­nazi Sven K. in einer U-Bahnstation in der Innenstadt erstochen wurde. Insgesamt ermordeten Nazis zwischen 2000 und 2006 fünf Menschen in Dortmund. Sven K. gehörte nach seiner Haftentlassung 2010 wieder zur örtlichen Naziszene. 2013 musste er wegen eines Gewaltdelikts wieder in Haft.
Es wirkt, als wollten die Dortmunder Nazis derzeit an solche gewalttätigen Zeiten anknüpfen. Einen Schub dürfte ihnen dabei der »Tag der deutschen Zukunft« (Jungle World 23/16) gegeben haben. Mit 1 000 Teilnehmern konnten sie im Juni durch mehrere Stadtteile ziehen, die Polizei riegelte ihren Marschweg hermetisch ab, so dass von Gegenprotest nichts zu hören und zu sehen war. Den aktionsorientierten Nachwuchs von »Die Rechte« dürfte der Aufmarsch beflügelt haben.
Aber die Angriffe auf Linke zeigen auch, dass den Neonazis in Dortmund die Ideen ausgehen. Sie kehren zurück zu Mitteln des Kampfes, die sie sicher beherrschen. Öffentliche Aufmerksamkeit für ihre Propaganda erhalten sie so jedoch nicht. Vor etwa einem Jahr unterschieden sich die Dortmunder Rechtsextremen wegen relativ innovativer Aktionen von anderen deutschen Neonazis. Sie stellten provokante Anfragen im Stadtrat und veröffentlichten Aktionsvideos, die inhaltlich darüber hinausgingen, böse auszusehen und Fahnen zu schwenken. Die Aufmerksamkeit der Medien für die Provokationen der Nazis war groß (Jungle World 36/15).
Aber die Rechtsextremen scheinen diese teilweise öffentlichkeitswirksame Strategie nicht mehr zu verfolgen. Während des »Tags der deutschen Zukunft« und zur Provokation einer linken Demonstration nach den jüngsten Angriffen zeigten sie Transparente mit der Aufschrift »Htlr«, was zweifellos für »Hitler« stehen soll. Aber mehr als kurze Empörung konnten die Nazis bei ihren Gegnern damit nicht hervorrufen. Auch eine Kampagne gegen Unterkünfte für Flüchtlinge im vergangenen Jahr verlief ohne Erfolg. Die Nazis hielten zwar im Wochentakt Kundgebungen ab, blieben dabei aber unter sich. Rassistische Bürger anzuziehen, wie es zum Beispiel in Sachsen erfolgreich praktiziert wurde, gelang ihnen nicht.
Personell hat sich bei den Nazis in Dortmund in den vergangenen Monaten hingegen viel verändert. Mit Lukas Bals ist eine der Hauptpersonen der Jahre 2014 und 2015 nach München abgewandert. Dort hat er sich der »Iden­titären Bewegung« zugewandt. Mit Christoph Drewer wartet ein Funktionär der Partei »Die Rechte« derzeit auf seinen Haftantritt. Dafür ist mit Marko Gottschalk ein bekanntes Gesicht zurück. Die vergangenen Jahre verbrachte der Sänger der Band »Oi­doxie« in Schweden, private Probleme bewegten ihn zur Rückkehr ins Ruhr­gebiet. Auch Gottschalks alter Freund Robin Schmiemann ist wieder da. Wegen eines Raubüberfalls im Sommer 2007 saß der Brieffreund von Beate Zschäpe bis vor kurzem im Gefängnis. Es gilt als gesichert, dass Schmiemann und Gottschalk am Aufbau einer Zelle der rechtsterroristischen Organisation »Combat 18« in Dortmund be­teiligt waren. Bei jungen Neonazis genießen beide hohes An­sehen.
Für den 8. Oktober erwartet Dortmund dann ein weiteres Großereignis. »Gemeinsam stark«, ein Ableger der rassistischen »Hooligans gegen Salafisten«, möchte unter dem Motto »Schicht im Schacht – Gemeinsam gegen den Terror« aufmarschieren. Der letzte Aufmarsch des Zusammenschlusses lockte mehr als 500 rechtsextreme Hooligans im April nach Magdeburg. Für die Dortmunder Demonstration sind neben »einigen guten Rednern« auch Musikbeiträge angekündigt. Da Bremer Hooligans bei dem Zusammenschluss federführend vertreten sind, darf man von einem Open-Air-Konzert der Band Kategorie C ausgehen. Beim Aufmarsch in Magdeburg war auch Siegfried Borchardt anwesend, die Mutter Beimer der Dortmunder Naziszene. Man darf gespannt sein, was er und seine deutschen Musterknaben in den nächsten Monaten planen.