Kurzmeldungen

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Das Grauen im Élysée
Vor der Wahl. Können Comics prophetisch sein? In diesem Fall zumindest wünscht man sich eine abschlägige Antwort. Als »La Présidente« im vorigen Jahr in Frankreich erschien, zierte das Cover ein Aufkleber mit der Warnung: »Sie werden nicht sagen können, dass Sie es nicht gewusst haben.« Der Comic unternimmt eine Reise in die nahe Zukunft, es geht um die Präsidentschaftswahl, die im September 2017 in Frankreich stattfinden wird. In dem Szenario, dass der Autor François Durpaire und der Zeichner Farid Boudjellal entwerfen, setzt sich Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National (FN) im zweiten Wahlgang knapp gegen den amtierenden Präsidenten François Hollande durch. Für die Gestaltung der ersten Monate ihrer Amtszeit orientieren sich die Künstler am Wahlprogramm des FN. Einzige Hoffnungsträger in diesem Comic sind die Enkel einer über 90jährigen Veteranin der Résistance. Wirklich überzeugend ist der zaghafte Widerstand, der sich gegen die rechtspopulistische Regierung formiert, allerdings nicht. Und das könnte auch daran liegen, dass den Enkeln nicht viel mehr einfällt als ein Blog im Internet zu initiieren. Passend zum Auftakt des realen französischen Wahlkampfs, den der FN mit dem bezeichnenden Slogan »Au nom du peuple« bestreiten wird, liegt der Comic nun auch in deutscher Übersetzung vor – mit einem Vorwort von Ulrich Wickert. Bevor Wickert »Mr. Tagesthemen« wurde, war er Leiter des ARD-Studios in Paris. Damals dachte man noch, der Job eines Frankreich-Korrespondenten bestehe vor allem in der Kunst des »laissez-faire«. Damals hätte man sich auch noch nicht vorstellen können, Wickert in der Welt des Comics zu begegnen. Früher war nicht alles besser, aber Frankreich schon. mme
Mordlust in Wahlzeiten
The Purge. Brachiale Darstellungen von Gewalt, Menschen geraten in Rage, morden und verwüsten ihre Umgebung. Sie tun es zum Vergnügen, tragen meist skurrile Masken und verwenden Kraftausdrücke. Seit vergangener Woche ist der dritte Teil der dystopischen Filmreihe »The Purge« im Kino zu sehen. Wieder ist alles erlaubt, die Regierung löst für die Dauer einer Nacht ­einen Bürgerkrieg aus. Psychopathen führen ihre Rachefeldzüge, verängstigte Bürger verbarrikadieren sich, auch Söldner der ­Regierung treiben ihr Unwesen. Mag »The Purge – Election Year« auch Nähe zu gegenwärtigen Ereignissen suggerieren, ­Donald Trump tritt in diesem Film nicht auf. Es ist alles nur Marketing.
Obwohl, um ein Wahljahr geht es tatsächlich. Im Washington des Jahres 2022 tritt die Senatorin Charlie Roan als aussichts­reiche Kandi­datin bei der Präsidentschaftswahl an. Ihre Familie wurde in der Purge-Nacht ermordet, sie will die alljährlich ausgerufene Säuberung abschaffen. Die regierende Partei will Roan während der diesjährigen Purge-Nacht aus dem Weg schaffen. Es gibt einen Verrat im Sicherheitsteam, gemeinsam mit ihrem Bodyguard flieht sie durch die Nacht – und wird schließlich entführt. In ­einer Kirche werden sogenannte Märtyrer gerichtet, die Regierungspartei predigt die reinigende Kraft des Mordens. »The Purge« basiert auf einer originellen Idee. Regisseur James DeMonaco gelingt es wieder, eine bedrohliche ­Atmosphäre zu schaffen, und er lässt in »Election Year« auch Touristen auftreten, die aus Tötungslust anreisen. Tiefsinnig ist der Film nicht, aber das soll er auch nicht sein. Doch DeMonaco überspannt den Bogen. So lässt er etwa ein paar Jugendliche ihren Rache­feldzug gegen einen Ladenbesitzer führen, weil sie vorher vergeblich versucht hatten, einen Schokoriegel bei ihm zu klauen. Ein Hauch Gesellschaftskritik: Die Sozialkosten werden durch die jährliche Purge-Nacht gesenkt, weil die schwachen Mit­glieder der Gesellschaft dem Morden überproportional häufig zum Opfer fallen. Platte Dialoge, Waffen und Gewalt – wer der Realität für die Dauer eines Films entfliehen möchte, ist hier ­richtig. Aber man muss schon das Gehirn ausschalten können. saj