Laizismus und Burkini-Verbot in der französischen Debatte

Laizismus und Restriktionen

In Frankreich ist die Gotteslästerung durch die laizistischen bürgerlichen Freiheitsrechte geschützt. In der derzeitigen gesellschaftlichen Debatte wird der Laizismus im Kontext von Blasphemie, aber auch im Zusammenhang mit Burkini-Verboten herangezogen.

In Frankreich steht Charlie Hebdo im Zentrum der Blasphemiedebatte der letzten zehn Jahre. Im Februar 2006 versuchten mehrere muslimische Organisationen, gegen den Nachdruck der Mohammedkarikaturen der dänischen Zeitung Jyllands-Posten durch das Satireblatt vorzugehen. Im November 2011 wurden die Pariser Redaktionsräume mit Brandsätzen attackiert – just als die Zeitschrift eine Sondernummer mit dem Titel »Charia Hebdo« veröffentlichte. Und schließlich wurden bei dem Attentat im Januar 2015 acht Mitglieder der Redaktion von Islamisten ermordet.
Während einstweilige Verfügungen und Klagen gegen die Karikaturenpublikation von den zuständigen Gerichten abgelehnt wurden, riefen die islamistischen Anschläge eine umfassende staatliche und zivilgesellschaftliche Reaktion hervor. Auf dem Spiel standen Grund- und Freiheitsrechte: die durch Artikel zehn und elf der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom August 1789 geschützte Meinungs- und Pressefreiheit. Mit deren Einführung fiel in Frankreich das staatliche Blasphemieverbot. Zumindest für eine kurze Zeit, denn bereits während der Restauration wurde die Meinungsfreiheit wieder beschnitten. Ein Gesetz aus dem Mai 1819 stellte den »Verstoß gegen die öffentliche und religiöse Moral« unter Strafe.
Dauerhaft etabliert wurde das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung in Frankreich erst in der Dritten Republik, die im September 1870 in den Kriegswirren von Léon Gambetta ausgerufen wurde und bis zum deutschen Einmarsch 1940 Bestand hatte. In einer Reihe von Gesetzen wurde neben zahlreichen anderen Freiheitsrechten der Laizismus kodifiziert , der die Verhältnisse zwischen Staat und Religion regelt. Darauf wird in der derzeitigen gesellschaftlichen Debatte in Frankreich zurückgegriffen, sei es im Kontext von Blasphemie oder im Zusammenhang mit Burkiniverboten.
Die erste Etappe der Festigung des französischen Laizismus stellt die Schaffung von öffentlichen Schulen mit säkularem Personal und entsprechenden Lehrinhalten ab 1879 dar. Hinzu kommen die in Folge der Dreyfus-Affäre erlassenen Vereinsgesetze. Sie zielten auf die in ihrer großen Mehrheit antisemitische und republikfeindliche katholische Kirche. So müssen sich Vereine seit 1901 offiziell registrieren lassen, wodurch insbesondere die katholischen Kongregationen genehmigungspflichtig wurden. Verschiedene Separationsgesetze zur Trennung von Staat und Kirche vervollständigen das laizistische Arrangement.
Das bekannteste unter ihnen ist das »Gesetz zur Trennung der Kirchen und des Staates« vom Dezember 1905. Es beinhaltet drei Prinzipien. Erstens die Gewissensfreiheit vorbehaltlich von Einschränkungen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, zweitens die Trennung von Staat und Religion (Artikel zwei des Gesetzes besagt, dass die Republik keine Religionsgemeinschaften »anerkennt, besoldet oder subventioniert«) und drittens die gleiche Behandlung der verschiedenen Glaubensbekenntnisse, wobei von dieser Bestimmung im kolonialen, der französischen Republik einverleibten Algerien für den Islam großzügig abgesehen wurde.
Zentral für das Verständnis des Laizismus ist, dass diese drei Prinzipien nicht einfach nebeneinanderstehen. Sie sind vielmehr hierarchisiert, mit der Gewissensfreiheit an der Spitze. Um diese zu garantieren, weicht der Staat bisweilen sogar vom Trennungsgebot ab und passt sich bestimmten religiösen Praktiken an.
Die bekannteste dieser Abweichungen betrifft öffentliche Einrichtungen, die Anwesenheit erzwingen, wie beispielsweise Armee, Schulen, Gefängnisse und Krankenhäuser. In diesen kommt der Staat für Seelsorgedienste auf. Er gewährleistet die Möglichkeit, Religion auch in geschlossenen Institutionen auszuüben. In der öffentlichen Schule nehmen zudem Stunden-, Speise- und Ferienpläne auf religiöse Bräuche der katholischen Mehrheitsbevölkerung Rücksicht. So findet am Mittwochnachmittag in der französischen Ganztagsschule keine Unterricht statt – eine historische Regelung, die es interessierten Eltern erlauben soll, ihre Kinder zur Katechese zu schicken. Zudem servieren Schulkantinen freitags Fisch. Und schließlich findet an katholischen Feiertagen kein Unterricht statt.
Der Laizismus, so wie ihn das Gesetz von 1905 kodifiziert, kann laut der Politikwissenschaftlerin Cécile Laborde als »eine frühe, pragmatische Artikulation des liberalen Strebens (gelten), den Schutz individueller Freiheit und die Vielzahl der Auffassungen des Guten in der Gesellschaft mit gemeinschaftlichen Normen egalitärer, politischer Zugehörigkeit zu verbinden«. Damit ist die freie Äußerung von Ansichten, die von einigen möglicherweise als blasphemisch empfunden werden, genauso sichergestellt wie die Freiheit, sich religiös nach Belieben zu kleiden. Mehr noch: beide Freiheiten gehören untrennbar zusammen.
Es ist also keineswegs so, dass der französische Laizismus sich vor allem durch »die Vermeidung jeglicher religiöser Einflussnahme auf Staat und Zivilgesellschaft kennzeichnet«, wie zuletzt (Jungle World 36/16) behauptet wurde. Vielmehr wird Religion aus der formell-rechtlichen Koordination öffentlichen Handelns, wie sie sich im Staat vollzieht, weitgehend herausgehalten (keineswegs aber ignoriert). In der Zivilgesellschaft allerdings, in der öffentliches soziales Handeln informell und unverbindlich ist, genießen alle Formen des Gewissens (religiöse sowie nichtreligiöse) eine allein durch das Gebot der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung limitierte Entfaltungsmöglichkeit. Zu behaupten, dass die durch den Laizismus garantierte Freiheit und Gleichheit aufgrund des öffentlichen Tragens von als unterdrückerisch gewerteten religiösen Kleidungsstücken wie Kopftüchern oder Burkinis neuen Herausforderungen ausgesetzt sei, hieße die französische Geschichte zu verkennen.
Historisch haben gerade die Laizisten gegen antiklerikale Versuche, religiöse Kleidung aus der Öffentlichkeit zu verbannen, Stellung bezogen. Ferdinand Buisson, einer der Wegbereiter des Gesetzes von 1905, setzte sich gegen den von Kultusminister Émile Combes in die französische Nationalversammlung eingebrachten Entwurf zum Verbot des Priestergewandes außerhalb des kirchlichen Dienstes durch. Buissons Argument: Das öffentliche Tragen der Soutane sei durch die bürgerlichen Freiheitsrechte geschützt.
In Frankreich liegen die derzeitigen Herausforderungen für Freiheit und Gleichheit derweil woanders, nämlich darin, die Unteilbarkeit des Laizismus zu gewährleisten. So werden den Muslimen immer mehr Einschränkungen zugemutet, die auf keine andere Religionsgemeinschaft Anwendung finden. Diese Restriktionen zeichnen sich maßgeblich dadurch aus, dass der Neutralitätsanspruch vom Staat auf die Zivilgesellschaft ausgeweitet wird.
Ein Beispiel: Im Dezember 2010 tritt der rechtsextreme Front National (FN) eine Kampagne gegen das – aufgrund von Platzmangel in einigen Moscheen und Gebetsräumen – auf offener Straße praktizierte muslimische Gebet los, die entsprechende staatliche Verordnungen nach sich zieht. Die dabei erfolgte Berufung auf den Laizismus durch die spätere Parteivorsitzende Marine Le Pen kann nicht nur aufgrund der historischen Laizismusfeindschaft der extremen Rechten in Frankreich als »feindliche Übernahme« (Jean Baubérot) gelten. Vielmehr spricht die gleichzeitige Beschwörung eines angeblich besonders laizismusaffinen Katholizismus Geschichte und Egalitarismus Hohn. Auch das Schweigen des FN über die zahlreichen auf offener Straße praktizierten Gebete im Rahmen der katholisch dominierten Massenproteste gegen die sogenannte Ehe für alle im Winter 2012/2013 ist auffällig.
Und auch wenn der sich kräftig an den Demonstrationen beteiligende FN es anders empfinden mag: Gerade ein weltliches, geschlechtsneutrales Ehestatut ist – auch entgegen der Burkinidebatte aus dem vergangenen Sommer – ein genuines Laizismusthema.
Angesichts solcher Ungleichbehandlung verschiedener Religionsgemeinschaften gäbe es für Leute, die sich den Widerstand gegen verschiedene Formen autoritärer Regression auf die Fahnen schreiben, nun wirklich mal etwas zu verteidigen.