Der Wahlerfolg der AfD in Sachsen-Anhalt spornt auch gewalttätige Neonazis an

Eskalation in Sachsen-Anhalt

In Städten wie Köthen, Halle oder Merseburg zeigt sich deutlich: Der Wahlerfolg der AfD in Sachsen-Anhalt spornt auch gewalttätige Neonazis an.

Der Erfolg der »Alternative für Deutschland« (AfD) bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt im März stärkt auch die lokale rechtsextreme Szene. Gewalttätige Angriffe auf Flüchtlinge, Antifaschisten und Polizisten häufen sich in dem ostdeutschen Bundesland. In Köthen, einer Kreisstadt im Landkreis Anhalt-Bitterfeld, griffen Rechtsextreme Ende September aus einer nicht angemeldeten Demonstration heraus mehrere Polizisten sowie deren Dienstfahrzeuge an und zündeten Feuerwerkskörper.
Anlass der Demonstration war ein Gerücht in der Stadt, minderjährige Flüchtlinge hätten zwei 15jährige Schülerinnen sexuell belästigt. Die Polizei verwies in ihren Äußerungen auf laufende Ermittlungen. Eine Anklage gegen die Verdächtigen liegt bislang nicht vor. Torsten Hahnel von der Arbeitsstelle Rechtsextremismus beim Verein »Miteinander« weist auf die »unterschiedlichen Beschreibungen des Tatvorgangs« hin. Mitarbeiter der Unterkunft für unbegleitete minderjährige Ausländer haben zudem angegeben, dass die Flüchtlinge provoziert worden seien. In der derzeitigen Situation würden Hahnel zufolge von Neonazis häufig Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs »als Teil der rassistischen Mobilisierung« genutzt. Man solle nicht die Augen verschließen, aber solange »keine bestätigten Informationen« vorlägen, handele es sich aus seiner Sicht um Spekulationen.
Die Organisatoren des gewalttätigen Protests verortet Hahnel in der lokalen Kameradschaftsszene. Sie konnten sich auf die Unterstützung weiterer regionaler Gruppen verlassen. So waren Aktivisten der »Brigade Halle/Saale«, des »Nationalen Kollektivs Anhalt« und der »Freien Nationalisten Dessau« zur Stelle. Bürgerliche Rassisten aus Köthen, die nicht zum Kameradschaftsmilieu zählen, blieben der klandestin organisierten Demonstration hingegen fern.
Die Gewalt gegen Migranten eskalierte auch im sachsen-anhaltinischen Merseburg. Zwei mit Schlagstock und Schlagring bewaffnete Männer überfielen dort Anfang Oktober einen Afrikaner in seiner Wohnung. Mit äußerster Brutalität gingen die Täter im Alter von 63 und 47 Jahren vor. Sie prügelten auf den Mann ein. Die Versuche einer Frau, die Angreifer abzuwehren, misslangen. Ein Kind erlitt ein Hämatom am Kopf und musste stationär behandelt werden.
Erst Mitte September war es in Sachsen-Anhalt zu einem bewaffneten Überfall auf einen 16jährigen Syrer gekommen. Der Junge wurde in Havelberg von einem Unbekannten auf offener Straße erst beleidigt und dann mit einem Messer am Arm verletzt. In Sangerhausen prügelten sich Anfang Oktober etwa 20 Einheimische mit mehreren syrischen Asylbewerbern. Drei Syrer wurden dabei verletzt. Auslöser der Gewalt soll eine Körperver­letzung sein, die ein 15 Jahre alter Syrer einem 16jährigen Sangerhausener einige Tage zuvor zugefügt haben soll. Die Polizei ermittelt, ob ein »fremdenfeindlicher Hintergrund« vorliegt.
Auch Polizisten werden zu Angriffszielen der Neonazis. Anfang Oktober versuchte eine Gruppe rechtsextremer Demonstranten, die Wache der Bundespolizei im Magdeburger Hauptbahnhof zu stürmen. Zuvor hatte die Gruppe auf dem Bahnhof versucht, einen von Polizeibeamten festgenommenen 32jährigen Rechtsextremisten zu befreien. Die teilweise vermummten Personen kamen von einer Demonstration gegen »linken Terror« in Dessau-Roßlau. Auf dem Bahnhof hatte der verhaftete Kamerad einem Unbeteiligten ­einen heftigen Kopfstoß versetzt. Danach konnte er nur »unter Protest und starkem Widerstand« zur Wache gebracht werden. Seine Kameraden versuchten anschließend, in die Wache einzudringen. Dies konnte aber zunächst von Bundes- und Landespolizisten verhindert werden. Die Rechtsex­tremisten wurden des Gebäudes verwiesen. Kurze Zeit darauf gelang es der Gruppe laut Polizei aber doch, bis vor die Wache zu gelangen. Über die Gegensprechanlage des Eingangs drohte sie damit, dass eine Verstärkung von 50 weiteren Personen kommen werde, um den Festgenommenen zu befreien. Letztlich konnte die Bundespolizei die neun Männer und zwei Frauen im Alter zwischen 15 und 33 Jahren in Gewahrsam nehmen.
In Halle kam es am selben Wochenende zu einer Auseinandersetzung zwischen Anhängern der sogenannten Identitären Bewegung und Besuchern eines linken Wohnprojekts. Laut der neurechten Initiative »Ein Prozent« soll ein »linksextremer Mob« neun Personen, darunter auch einige Mitglieder der »Jungen Alternative«, mit Steinen, Flaschen, Schlagstöcken und Pfefferspray angegriffen haben. Die Initiative verschweigt in ihrem Bericht, dass die »neun Patrioten« zuvor die Besucher des Wohnprojektes beleidigt und provoziert hatten. Ebenfalls wird nicht erwähnt, dass die »Identitären« einem Antifaschisten einen sogenannten Hausbesuch abgestattet hatten. Der Versuch, ihn »zur Rede zu stellen«, misslang jedoch.
In sozialen Medien plädiert die Initiative »Ein Prozent« nach der Aus­einandersetzung in Halle »für eine gewaltfreie und ehrliche Debatte«. Auch André Poggenburg, AfD-Landesvorsitzender in Sachsen-Anhalt und Mitglied des Bundesvorstands, sagte einen Tag, nachdem eine Flüchtlingsunterkunft in Köthen gebrannt hatte, dass seine Partei »jede Form von Gewalt auf das Schärfste« verurteile.
Ihre Bündnispartner von der »Identitären Bewegung« bieten auf Facebook ein Selbstverteidigungstraining an. Man freue sich, »ein wöchentliches Selbstverteidigungstraining unter professioneller Leitung anbieten zu können«. Denn »Kampfsport und Selbstverteidigung sind für uns Identitäre ein unverzichtbarer Bestandteil des aktivistischen Lebens«.
Lokale Antifaschisten bestätigen insgesamt, dass die Gewaltbereitschaft der Rechtsextremen wächst. Gestärkt durch die Wahlerfolge der AfD traten diese in den vergangenen Monaten immer dreister auf. Die Kluft zwischen bürgerlichen Rechtspopulisten und militanten Neonazis wird kleiner.