Nur mehr Kapitalismus hält den Rechtspopulismus auf

Kapitalistischer werden!

Nicht den urbanen »Globalisten« gehört die Zukunft, wie Ivo Bozic in seinem Text »Bye-bye, Westen« behauptet. Wer den Rückfall in autoritäre Politik aufhalten will, muss sich zum Westen bekennen. Eine Replik.

Ein Problem linker Politik ist, dass der Sozialstaat nur in nationalen Grenzen funktioniert. Wer gegen den Nationalstaat ist, muss die Frage beantworten, wie die Lebensverhältnisse der Menschen global verbessert werden können, ohne dass gleichzeitig im Westen mehr Menschen immer ärmer werden.
Ein Grund für den Erfolg der neuen autoritären und nationalistischen Politikerinnen und Politiker, sei es Donald Trump, Marine Le Pen, Wladimir Putin, Norbert Hofer oder Frauke Petry, liegt in ihrer Antwort auf die soziale Frage: Die Rechtspopulisten stellen sich gegen den Freihandel und gegen die EU und erreichen damit auch ehemalige Wählerinnen und Wähler linker Parteien. Diese sind entweder, wie die Führung der SPD, Anhänger des Freihandels und von Abkommen wie TTIP und Ceta, oder sie vertreten, wie die Grünen, eine Politik zumindest teilweise offener Grenzen. Sie bedienen also ­weder die Sorgen ihrer einstigen Anhängerinnen und Anhänger noch die derjenigen, die von mehr oder weniger rationalen Abstiegsängsten geplagt sind.
Viele ehemalige Wählerinnen und Wähler linker Parteien sind für autoritäre Rhetorik empfänglich. Sie als rückständige Localists zu bezeichnen, die sich ohne Aussicht auf Erfolg gegen die Globalisierung und die Verstädterung stellen, wie es Ivo Bozic in seinem Artikel »Bye-bye, Westen« tut, mag einem das gute Gefühl geben, moralisch und entwicklungsgeschichtlich auf der richtigen Seite zu stehen. Aber als politische ­Lösung reicht das nicht.
Dass über die Hälfte der Menschheit heutzutage in Städten wohnt, ist sicher ein Fortschritt, und ja, es sind meistens Städte, in denen neue Ideen geboren werden. Aber deshalb kann noch lange keine Rede davon sein, dass es ein unsichtbares Band gebe, das die modernen Stadtbewohnerinnen und -bewohner verbindet, auch wenn es offensichtlich ist, dass vieles sie von den auf dem Land Gebliebenen trennt.
Auch die von Bozic angeführten urbanen »Globalisten« trennt bei näherer Sicht mehr, als sie eint: Die Hausmädchen in Kuala Lumpur und São Paulo haben sicher »ganz ähnliche Sorgen und Nöte«, aber sie sprechen nicht unbedingt deshalb eine Sprache, das universelle Englisch. Die in prekären Dienstleistungsverhältnissen Beschäftigten haben weltweit Existenzsorgen, leiden unter unsicheren Arbeitsverhältnissen und Unterdrückung und haben oft nur schlechte Aussichten, dass ihre Kinder in Zukunft ein besseres ­Leben haben werden. Sie haben im Gegensatz zu denen, die auf dem Land ­geblieben sind, sicher eine Idee, wie ein Leben in Wohlstand und vielleicht auch Glamour aussehen kann – aber auch die Gewissheit, dass es nie ihr Leben und das ihrer Kinder sein wird, sondern dass sie im Maschinenraum sitzen, während auf dem Oberdeck die Party steigt.
Ihre Probleme sind weitgehend dieselben, wie sie die Menschen auf dem Land haben. Nur weil sie in einer Hütte in einem Slum am Rande einer Großstadt und nicht in einer Hütte am Rand eines Reis- oder Maisfeldes leben, verschafft ihnen das nicht das Bewusstsein der hippen Globalisten. In der Türkei stellt die Regierungspartei AKP die Oberbürgermeister unter anderem in Istanbul und Ankara. Ihre Stimmen bekommen die Autoritären dort von der zugewanderten Landbevölkerung, die immer stärker die Stimmung in den Städten prägt. Metropolen, auch solche wie das kreative und lange Zeit weltoffene Istanbul, können sich provinzialisieren. Hört man sich die Klagen von Freunden aus Berlin über das pietistische Gehabe zugezogener Schwaben an, scheint diese Entwicklung auch hierzulande nicht ganz unbekannt zu sein.
Der ebenfalls globale Trend, die Städte zu entmetropolisieren, sie zu entschleunigen, sie grüner und ruhiger zu machen, wird dieser Entwicklung Vorschub leisten: Ein Mensch mit einem kleinen Garten ist ein Mensch mit einem kleinen Garten ist ein Mensch mit einem kleinen Garten – ob nun in Lawton/Oklahoma, Berlin-Neukölln oder in irgendeinem türkischen Ort. Das wird sein Bewusstsein prägen, und es wird ein anderes sein als das des urbanen Flaneurs, wie ihn Diedrich Diederichsen einst in »Sexbeat« beschrieb.
Will man also den Rückfall in autoritäre Politik aufhalten, will man sich der erneuten Nationalisierung entgegenstellen, wird man nicht umhin kommen, die soziale F rage zu beantworten und es anders zu tun als der Front National, die AfD und die FPÖ – denn nicht zufällig ähneln ihre Rezepte denen der autoritären Linken: kein Freihandel, Zuwanderung einschränken und Schutz der einheimischen Produzenten. Die AfD holte bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg Direktmandate in den Arbeiterbe­zirken Mannheims, der Front National und die FPÖ sind in ihren Ländern die Parteien mit dem größten Arbeiter­anteil unter ihren Wählern. Sicher, man muss sich die Wählerschaft der neuen Autoritären genau anschauen: ein großer Teil sind eingefleischte Rechts­ex­treme. Aber groß werden all diese Parteien nur, weil sie über diese Kernklientel hinausgewachsen sind – und diese hinzugekommenen Wähler gilt es zu erreichen. Nicht nur, weil sie rechts wählen, sondern, weil sie Probleme und Sorgen und damit das Recht haben, dass auch die Menschen, die sich als links oder liberal sehen, ihnen Antworten geben. Es wäre fahrlässig, darauf zu setzen, dass diese Wählerinnen und Wähler nur Modernisierungsverlierer sind, die bald von der Bühne verschwinden werden. Dass man aufhört, ihre Lebensweisen lächerlich zu machen, und sie nicht als ­Objekt ökovolkserzieherischer Maßnahmen sieht, mit denen sie zu nichtrauchenden, Biohirsebier trinkenden Möhrenknabberern gemacht werden sollen, ist dabei selbstverständlich, um überhaupt wieder eine Grundlage für einen Dialog auf Augenhöhe zu schaffen.
Es müssen Lösungen gesucht werden, die Globalisierung so zu gestalten, dass es möglichst wenige Verlierer gibt: in Kuala Lumpur, São Paolo, Detroit und Gelsenkirchen. Es muss darum gehen, globales Wachstum zu beschleunigen und dafür zu sorgen, dass auch in den kommenden Jahrzehnten die Zahl der Menschen, die in Armut leben, weiter zurückgeht und die Lebens­verhältnisse sich in absehbarer Zeit angleichen. Sie werden nie gleich sein, das lässt sich nicht einmal in den engen Grenzen der Nationalstaaten erzwingen, aber auch die Tochter des Dienstmädchens aus Kuala Lumpur hat schlicht das Recht, Ingenieurin werden zu können, wenn sie es mag und kann, und ihre Lebenspartnerin oder ihren Lebenspartner ebenso selbst zu bestimmen wie ihren Lebensstil und ihre ­Regierung.
Dafür muss der Westen kapitalistischer im engeren Sinne werden: auf­hören, Exporte zu subventionieren, seine Märkte öffnen und sein Wissen ­teilen. Aber er sollte vor allem Letzteres an Bedingungen knüpfen: Demokratien sollten im Handel Vorteile gegenüber Diktaturen haben, Unternehmen, die frei gewählte Betriebsräte besitzen, sollten es im Handel mit dem Westen leichter haben als andere. Dieser muss deregulieren – auch im Inland, um Wachstum zu fördern und es den Menschen zu ermöglichen, Ideen umzu­setzen. Ohne Wachstum wird es kaum möglich sein, Flüchtlinge wirtschaftlich zu integrieren und Jobs und Lebensaussichten der Prekarisierten im Westen zu verbessern. Aber es gilt auch die Werte offensiv zu exportieren, die Bozic die der »Globalisten« nennt. Globales Wachstum und eine globale Demokratisierung sind nötig. Einfach wird das nicht, aber es muss gelingen: Der klassische Sozialstaat funktioniert nur in den nationalen Grenzen einer Umverteilungsgesellschaft und ist damit tendenziell rassistisch. Doch nicht nur das, abgeschottete Gesellschaften werden nicht in der Lage sein, vermehrt Wohlstand hervorzubringen, sie können nur Armut verteilen.
Der Aufstieg der neuen autoritären Parteien und Bewegungen zwingt zu neuen Ideen und neuen Bündnissen. Es gilt, schnell zu sein, denn es mag zwar eine lange historische Linie in Richtung Fortschritt geben – das 20. Jahrhundert hat allerdings gezeigt, dass diese unterbrochen werden. In solch einer Bruchphase, wie sie mit dem ersten Weltkrieg begann und für viele Menschen in Europa erst 1989 endete, werden die wenigsten die kommenden Jahrzehnte verbringen wollen.